2. Kapitel - Part IV

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Jetzt komm endlich!" drängte Liz und tänzelte aufgeregt auf der Stelle herum. „Sonst ist es zu spät!"

Lysa seufzte entnervt, während sie in ihre Schuhe schlüpfte. Vor etwa zehn Minuten hatte Liz ihr offenbart, dass sie eine Überraschung für Lysa hätte – seitdem gab sie keine einzige Sekunde Ruhe.

Doch auch, wenn sie genervt war – gespannt war sie ebenso, denn sie mochte nette Überraschungen.

Als sie auch ihren zweiten Schuh erfolgreich zugeschnürt hatte, war Liz bereits aus der Tür. Innerlich verdrehte Lysa die Augen.

Mit einem letzten Blick nach hinten verabschiedete sie sich von Aazar und Dó, die ihnen viel Spaß wünschten, dann betrat auch sie den Flur.

Liz führte sie aus dem Mädchentrakt hinaus, durch die Aufenthaltsräume hindurch, die sie an diesem Tag bereits mehrmals auf dem Weg zum Speisesaal und wieder zurück passiert hatten und von dem aus man anschließend in einen kurzen Korridor und dann in einen Hohen Turm gelangte.

Wenn es nach Liz gegangen wäre, wären sie die ganzen Treppen bis zum Ende hinaufgejoggt. Lysa hingegen schnaufte ziemlich und musste – sehr im Missfallen Liz', was diese unmissverständlich durch Nörgeln zum Ausdruck brachte - mehrmals stehen bleiben, um wieder zu Atem zu kommen.

Trotzdem hielt Lysa ehrfürchtig die Luft an, als sie endlich durch eine Luke das Turmdach erreichten und vergaß für einen kurzen Augenblick, wie sehr sie außer Atem war.

Sie befanden sich auf einer Art Plattform, deren Grenze die Turmzinnen des Turmes bildeten, die bereits lange Schatten warfen. Lysa blickte exakt gen Westen, wo sich die untergehende Sonne immer mehr Richtung Erdboden neigte. Der orange Feuerball tauchte alles in ein warmes Sonnenuntergangslicht, malte die Grünen Blätter der Bäume, das Grau des Grundes, auf dem Lysa und Liz standen und das ganze Schloss östlich des Turmes golden an.

Lysa hatte schon öfter Sonnenuntergänge gesehen, vom Rücken eines Pferdes aus, am Meer, auf ihrem Balkon zu Hause. Doch nichts war vergleichbar mit dem, was sie in gerade eben sah.

Die Sonnen stand bereits sehr tief, sodass Lysa anfing zu frösteln, als ihre letzten Strahlen genau durch zwei Turmzinnen hindurch schienen, sodass der einzige Sonnenbeschiene Fleck Das Animi-Paar in der Mitte des Turmdaches war.

Es juckte Lysa in den Fingern, ihr Handy herauszuholen, um diesen wunderschönen Moment für immer festzuhalten und ihn vielleicht später einmal auf Leinwand zu malen. Doch ihr Smartphone lag im Moment irgendwo zu Hause.

Auf einmal schien ihr der Richtige Augenblick gekommen zu sein, um endlich die Frage zu stellen, die sie den ganzen Tag nicht in Ruhe gelassen hatte. Jetzt war niemand außer Liz da, der ihre Reaktion sehen konnte, denn sie spürte, dass ihr die Antwort nicht gefallen würde.

Ihre Stimme war fast ein flüstern, als sie die Frage endlich aussprach: „Was ist eigentlich mit meiner Familie?"

Sie mussten inzwischen krank vor Sorge um sie sein. Lysa war niemals aus dem Haus gegange, ohne dass irgendjemand wusste, dass sie Weg war. Es hätte auch kein Grund für sie bestanden, einfach abzuhauen – ihre Eltern hatten sich stets gut um sie gekümmert und immer darauf geachtet, dass sie und ihre Brüder glücklich waren.

Liz ließ sich mit der Antwort ein wenig zeit, suchte nach den richtigen Worten, um ihr alles so schonend wie nur irgend möglich beizubringen. Dieses eine Mal wenigstens wollte sie nicht der Elefant im Porzellanladen sein, der den Augenblick für immer und ewig zerstörte, doch kam sie zu dem Schluss, dass es keinen schonenden Weg gab.

Sie glauben, du seist tot", sagte sie deshalb gerade heraus. Schlagartig fühlte es sich an, als sei die Temperatur auf einige Grad unter null gesunken.

„Bitte, was?" Hauchte Lysa, in der aussichtslosen Hoffnung, dass alles nur ein schlechter Scherz ist. Doch Liz blieb bei ihrer Aussage.

Sie glauben, du seist tot."

Lysas Augen füllten sich mit Tränen. Sie machte sich nicht die Mühe, diese zurückzuhalten. Sie wollte weinen. Wollte ihren Schmerz spüren. Viele versuchten immer, den Schmerz zu verdrängen, ihn zu vertuschen. Aber nicht sie. Schmerz verlangte, gespürt zu werden. (Zitat: John Green, Das Schicksal ist ein mieser Verräter) Zumindest, wenn niemand dabei war, der den Schmerz nicht sehen durfte.

Binnen Sekunden war ihr Gesicht tränennass. Und das, obwohl sie – trotz ihrer Einstellung – nur selten weinte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 24, 2017 ⏰

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