Prolog

170 16 6
                                    

Jovin Warenne sah sich im fahlen Licht der Morgendämmerung um. Er beobachtete, wie die Sonne langsam hinter den Bergen hervorkroch und das Tal vor ihm mit goldenen Strahlen flutete. Das schwarze Land schien jedoch jegliches Licht und Wärme zu schlucken und brachte die schon zu diesen frühen Stunden brennend heiße Luft zum Flimmern.

Jovin setzte sich auf und streckte sich. Die Nacht war warm und lang gewesen. Er hatte vor dem kleinen Feuer gesessen und in die Flammen gestarrt, nicht fähig, an den morgigen Tag zu denken. Die Schlacht, das Blut und den Tod. Sein Nacken und seine Schultern schmerzten, er hatte sich die Nachtwache über kaum in der engen und schweren Rüstung bewegt und spürte nun den Tribut. Er fragte sich, wie er so ein Schwert halten sollte.

Langsam erreichten die ersten Strahlen das Camp und erhellten die kleine Anhöhe, auf der die Soldaten ihr Lager aufgeschlagen hatten. Weiter westlich, noch im Schatten, befand sich das Zelt seines Vaters, des Königs, das von vier bis an die Zähne bewaffneten Männern bewacht wurde. Er würde niemandem verraten, dass sie nach den Anstrengungen der Reise eingeschlafen waren. Er selber hatte sich geweigert, die Nacht in dem großen Zelt zu verbringen, auf das sein Vater bestand. Er wollte bei seinen Männern sein, sich mit ihnen auf die Schlacht vorbereiten.

Die schmerzenden Schultern kreisend, machte er sich auf zu dem größten Zelt, das in der Mitte des runden Camps aufgebaut war. Jovin fand es schon fast entmutigend, dass der erste Schritt vor jeder Schlacht der Aufbau des großen Lazarettzeltes war.

In den Farben der Warennes, grün und weiß, wehten die Fahnen über dem Camp, flatterten im heißen Wind.

Schon von dem kleinen Spaziergang geschwitzt, betrat er das große Zelt. Er musste einmal husten, als ihn die stehende Luft im Inneren des großen Zelts wie eine Wand traf, als er die Seitenwand zur Seite schob und eintrat.

Reihe an Reihe standen kleine Betten nebeneinander, weiße Laken sollten als Unterlage dienen. Ein Fass mit Wasser stand in der Mitte, zur Reinigung der Wunden für alle Schwestern und Helferinnen zugänglich.

Bis auf die Frauen war das Zelt leer. Eifrig arbeiteten sie schon daran, Laken und Tücher in Fetzen zu reißen, mit denen sie später Wunden verbinden konnten, säuberten Messer und Pinzetten und füllten Alkohol aus großen Fässern in kleine Fläschchen. Zur Desinfektion und Beruhigung der Soldaten.

Jovin nickte den jungen und älteren Frauen zu, die alle in weißen Schürzen geschäftig durch das Zelt eilten. Wenn sie an ihm vorbeigingen, vermieden sie Blickkontakt und knicksten einmal, ohne dabei den Kopf zu heben.

Jovin hatte dieses Verhalten schon immer gehasst. Als Kind hatte es ihm als geschwisterloses Kind immer an Spielgefährten gefehlt und er hatte sich oft einsam und verlassen gefühlt. Für ihn war der Abstand der Bediensteten kein Zeichen von Respekt gewesen, sondern einfach nur tiefe Abneigung. Er hätte gerne mit den Stallburschen im Stall Verstecken gespielt und den Mägden bei der Arbeit in der Küche zugesehen. Aber sein Vater hatte es ihm nicht erlaubt.

Mit der Zeit hatte er sich daran gewöhnt, dass er als Prinz, als Thronerbe, niemals so sein würde wie die Anderen und niemals wie einer von ihnen behandelt werden würde.

Jovin schob die Gedanken beiseite als er Nieve einige Meter entfernt neben einem noch unbezogenen Bett erblickte. Sie hatte ihre dunklen Locken zurückgesteckt, damit sie sie bei ihrer Arbeit nicht behinderten, und hielt ein Laken in der Hand, das sie langsam und bedächtig ausbreitete und über die kleine Matratze legte.

Als er sich räusperte, zuckte sie zusammen, dann drehte sie sich zu ihm und lächelte.

„Die Sonne ist schon fast aufgegangen, du solltest dich noch etwas ausruhen, bevor ihr heute Abend...", sie beendete ihren Satz nicht, aber das war auch nicht nötig. Jovin wusste gut genug, was ihn bei Anbruch der Nacht erwarten würde.

The King's DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt