Dienstag

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Ich wache auf und bemerke, dass mein Smartphone immer noch in meiner rechten Hand liegt. Nichts Böses ahnend, entsperre ich mein Display und werde direkt benachrichtigt, dass es auf Tinder Neuigkeiten gibt. Für einen kurzen Moment denke ich darüber nach, diese zu ignorieren, doch die Neugierde siegt. Schon bevor ich die App öffne, bekomme ich ein ungutes Gefühl. Denn ein kleiner runder Kreis, der die Zahl 78 beinhaltet und über dem App-Symbol hängt, verdeutlicht mir, dass irgendetwas mächtig schief gelaufen sein muss. Irgendwie muss ich quasi über Nacht 78 neue Matches dazugewonnen haben. Ich kann mir zwar nicht erklären, wie es dazu kommen konnte, bin mir aber dennoch bewusst, dass ich einen Weg finden muss mit dieser neuen Situation umzugehen. Natürlich bestünde die Möglichkeit Tinder jetzt endgültig von meinem Smartphone zu entfernen, aber irgendetwas hält mich davon ab. Vielleicht liegt es daran, dass ich ein optimistischer Mensch bin und glaube, dass unter genau diesem Haufen aus 78 Matches ein riesiger Schatz schlummert. Vielleicht ist der Grund aber auch, dass mein letztes Treffen mit einer Frau schon viel zu lange her ist. Oder, und das ist die wahrscheinlichste Möglichkeit, bin ich einfach nur ein dämlicher Idiot.

So oder so, die Entscheidung ist gefallen: Die App bleibt! Also setze ich mich mit einem frisch gebrühten Kaffe in meinen Lieblingssessel und stelle mich meiner neuen Tagesaufgabe indem ich die App öffne und die erste neue Kandidatin anwähle:

Auf dem Bild strahlen mir eine blonde und eine brünette Frau entgegen. Die eine gefällt mir! ‑Die andere gefällt niemandem. Ich wische über mein Display um weitere Bilder von Katharina (28) anzusehen. Doch auch hier: Dieselben zwei Frauen wie auf dem vorherigen Foto. Dasselbe Schauspiel auch bei den weiteren drei Fotos. Ich versuche zu entscheiden, ob ich Interesse habe oder nicht und wäge dabei ab:
Wenn man nicht weiter darüber nachdenkt, sollte man davon ausgehen, dass eine fünfzig-prozentige Chance besteht, dass Katharina die Frau ist, die ich gerne kennenlernen würde, da ja zwei Frauen auf dem Bild zu sehen sind. Denkt man aber über diesen Schritt hinaus, so kommt man zu einem ganz anderen Ergebnis. Denn wäre Sabrina gutaussehend, so würde sie ihre Chancen ja durch eine solche Verwirrung schmählern. Wäre Sabrina jedoch die andere Person auf dem Bild, so würde eine gutaussehende Freundin ihre Chance auf ein Match erhöhen. Ergo ist es sehr wahrscheinlich, dass Sabrina eher keinen Schönheitspreis gewinnt. Natürlich kann man solche Abschätzungen aber nur anstellen, wenn man davon ausgeht, dass Sabrina sich beim Hochladen ihrer Fotos bewusst war welche Verwirrung sie damit erzeugen wird. Wenn sie das jedoch nicht bemerkt haben sollte, dann ist es wohl auch besser keine Konversation mit ihr anzufangen. Denn diese würde vermutlich nicht über das Niveau eines Gespräches mit dem Pferd von Ina hinausgehen, die ich ja bereits am Vortag gelöscht habe.
Ich entscheide mich dafür, dass Katharina dasselbe Schicksal wie Ina ereilen wird und tippe folglich auf »Match mit Katharina auflösen«. Die App frägt mich dabei glücklicherweise, wieso ich die Verbindung auflöse. Leider gibt es unter den zahlreichen Antwortmöglichkeiten aber keine Option, die das ausdrückt, was ich gerade empfinde. Anstelle von »Heimtückischer Betrugsversuch« tippe ich deswegen auf »Unangemessene Fotos«.

Ein kurzer Kontrollblick auf die Uhr zeigt mir, dass ich für dieses eine Profil bereits zwanzig Minuten meines Tages verbraucht habe. Ich rechne kurz laut nach: »Achtundsiebzig mal zwanzig. Das sind...«
Ich gebe frühzeitig auf, öffne meine Taschenrechner-App und komme zu dem Ergebnis, dass ich sechsundzwanzig Stunden ohne Unterbrechung beschäftigt wäre, wenn ich diesem Tempo weiterarbeite. Mir bleibt also nicht anderes übrig, als meine Taktung drastisch zu erhöhen. Das ist im Prinzip auch nicht weiter schlimm, da die meisten Matches ja ohnehin unsinnig sein sollten. Als Folge dessen schaue ich mir immer nur noch das erste Bild jeder Person an und lese den Profiltext darunter nicht mehr. Auf diese Art und Weise gelingt es mir sehr schnell die nächsten fünfzig Matches auszusortieren. Doch dann passiert das Unglaubliche: Ich sehe eine Frau, die mir gefällt! Ich unterbreche deswegen mein High-Speed-Rejecting für einen Moment und betrachte das Profil im Detail.

Bei Franziska (26), 3km entfernt, steht:

»Ich bin der Suche nach einem Abenteuer. Ich möchte keine Beziehung, aber auch keinen anonymen Sex. Aus einer heißen Nacht dürfen auch gerne mehrere werden. In diesem Sinne: Match me if you can ;-) «

Auf ihrem ersten Foto zeigt sich Franzsika auf einen Boot, während einer Kanaltour in Amsterdam. Es ist aber ihr zweites Bild, was mich gänzlich davon überzeugt sie zu kontaktieren. Denn auf diesem schickt sie mir einen Kuss und streckt gleichzeitig beide Mittelfinger in die Höhe. Ich sende ihr, in einer privaten Nachricht, zwei Mittelfinger-Emojis und einen Kuss-Smilie. Bei einem weiteren Blick auf die Uhr, stelle ich fest, dass seit meiner letzen Kontrolle zweieinhalb Stunden vergangen sind. Um meine Tagesaufgabe also möglichst schnell abzuschließen erhöhe ich die Taktung meines High-Speed-Rejectings noch einmal, indem ich nicht einmal mehr die Bilder der anderen Matches beurteile, sondern einfach alle entferne. Ich gehe sowieso davon aus, dass Franziska mir antwortet, da ich, wie bereits erwähnt, ein ausgesprochen optimistischer Mensch bin.

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⏰ Last updated: Jul 04, 2016 ⏰

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Nie wieder Tinder!Where stories live. Discover now