Besuch zu Hause

566 35 5
                                    

Lily Evans:

Inzwischen war es Winter geworden und draußen tanzten weiße Schneeflocken im Wind. In den Klassen- und Gemeinschaftsräumen war es wohlig warm, doch auf den Fluren herrschte eisige Kälte. Wir hielten uns dort nur auf wenn es sein musste und versuchten so schnell wie möglich von einem Raum zum anderen zu kommen. Besonders schlimm waren Pflege magischer Geschöpfe und Kräuterkunde. Beide Fächer fanden draußen statt und weil wir uns kaum bewegten, froren einem fast die Hände und Füße ab. Ich hatte versucht einen Wärmezauber zu lernen, hatte es aber nur zu einer lauen Wärme gebracht, die nicht mal eine viertel Stunde anhielt. Mein Vorsatz für die Weihnachtsferien lautete also, sich mit diesem speziellen Zauber auseinanderzusetzen, um wenigstens im neuen Jahr nicht frieren zu müssen.
Über die Ferien waren nur wenige Schüler in der Schule geblieben. Ich hatte damals im Krankenflügel den Entschluss gefasst, nicht nach Hause zu fahren und ich war auch nicht davon abgewichen. In einem kurzen Brief hatte ich meinen Eltern mitgeteilt, dass ich über die Ferien in der Schule bleiben würde, weil ich noch viel zu lernen hätte und dass sie Weihnachten leider ohne mich feiern müssten. Ihre Antwort war ein paar Tage später gekommen. Sie bedauerten es, dass ich nicht kommen würde und fragten, ob ich sie nicht wenigstens besuchen kommen könnte. Außerdem schrieben sie, dass sie immer noch mitten in den Hochzeitsvorbereitungen steckten (Was es so alles vorzubereiten gab. Es ist doch nur ein einziger Tag...). Ich hatte mit ihnen einen Termin zu Beginn der Ferien vereinbart und nun stand ich hier in eine dicke Jacke, Mütze, Schal und Handschuhe eingemummelt und konzentrierte mich auf mein Zimmer. Eigentlich gehörte es sich nicht, mitten im Haus zu apparieren, aber das war mir egal. Es war schließlich mein Zimmer! Nach ein paar Sekunden spürte ich das beengende Gefühl, in einen Schlauch gesogen zu werden und kurz darauf fiel ich mit einem lauten Knall auf mein Bett. Immerhin eine weiche Landung! Ich hörte einen erstickten Schrei aus dem Nachbarzimmer und ein Poltern im Flur. Meine Tür wurde aufgerissen und meine Eltern kamen herein. „Hallo Mäuschen!" Mom trat auf mein Bett zu und schlang ihre Arme um mich. Ich erwiderte die Umarmung etwas zurückhaltend. „Es tut uns leid, dass wir uns nicht persönlich von deiner Gesundheit überzeugen konnten, aber wir hatten an dem Tag einen Termin zur Besichtigung eines Ballsaals", sagte sie entschuldigend. „Ich freue mich ja so, dass Petunia und Vernon heiraten wollen!" Nachdem ich auch Dad umarmt hatte, verließen wir mein Zimmer und gingen ins Wohnzimmer. Petunia hatte sich auch dazu bequemt, ihr Zimmer zu verlassen und leistete uns eisig wie immer Gesellschaft. „Deine Klamotten sind heute ja ganz in Ordnung", erwiderte sie auf meine freundliche Begrüßung. „Aber wenn wir essen gehen sollte es etwas schicker sein. Nicht dass die Leute denken, wir wären arm". Da ich keinen Streit wollte, nickte ich einfach und setzte mich auf das Sofa. Auf dem Stubentisch standen selbstgebackene Plätzchen, Spekulatius und Lebkuchen. Ich griff ordentlich zu, während mich meine Eltern über die Schule ausfragten und zwischen durch immer wieder Petunias Hochzeit mit ins Gespräch mischten.
„Wo wir gerade schon von Heiraten sprechen. Hast du eigentlich schon einen Freund?", fragte meine Mutter und ich verschluckte mich so heftig, dass ich ein paar Minuten damit beschäftigt war, mich von dem Hustenanfall zu erholen. Petunia, die neben mir auf dem Sofa saß, war natürlich nicht so nett gewesen, mir auf den Rücken zu klopfen. Stattdessen sah sie mich von oben herab an. „Hast du etwa noch keinen Freund? Anscheinend will dich keiner haben. Ist ja auch kein Wunder", sagte sie mit einem gemeinen Funkeln in den Augen. Das war wie ein Boxhieb in die Magengrube. Der Schmerz, den mir diese Worte zufügen, war so heftig, dass ich glaubte, mein Herz sei in der Brust zersplittert. Wie konnte sie so etwas sagen?! Ich war schwer gekränkt. „Natürlich habe ich einen Freund", log ich deshalb und setzte ein künstliches Lächeln auf. Ein Glück, dass ich nicht die ganzen Ferien hier mit Petunia, der Giftspritze verbringen würde. „Oh", seufzte meine Mutter entzückt. „Davon hast du uns ja noch gar nichts erzählt. Wer ist es denn?" „James Potter", hörte ich mich selbst sagen, bevor ich richtig nachdenken konnte. Scheiße! Scheiße, Scheiße, Scheiße! Noch tiefer konnte ich mich gar nicht in die Scheiße reiten! Leider war ausgerechnet das der Name gewesen, der mir als erstes in den Sinn kam und meine eigene Dummheit hatte mich ihn laut aussprechen lassen. „Ist das nicht dieser schwarzhaarige Junge mit der Brille, den du nicht leiden kannst?", fragte mein Dad irritiert. Weil ich jetzt auch keine andere Wahl mehr hatte nickte ich und setzte ein strahlendes Lächeln auf. „Ja!", sagte ich vielleicht ein bisschen zu verträumt. „Er ist mein Schulsprecherpartner und wir sind seit einem Monat zusammen. Ich habe gemerkt, dass er gar nicht so verkehrt ist, wie ich immer gedacht habe". Das war nicht mal gelogen. Außer das mit dem zusammen sein... Meine Mutter seufzte und murmelte etwas, dass wie „Meine Kinder werden erwachsen" klang. Die nächste Stunde verbrachte ich damit, erfundene Storys von James und mir zum Besten zu geben und dabei möglichst überzeugend zu wirken. Als meine Mutter schließlich verkündete, dass sie kurz aufs Klo müsse, atmete ich erleichtert auf. Hoffentlich würde ich, wenn sie wieder kam, das Gespräch in eine andere Richtung lenken können.
Doch Petunia hatte nicht vor mir eine kurze Pause zu gewähren. „Wie süß!", zwitscherte sie und ich konnte deutlich den Sarkasmus aus ihrer Stimme heraushören. „Wenn ihr euch so sehr liebt, dann macht es dir bestimmt nichts aus, diesen James mit zu unserem Essen zu bringen, oder?" Verdammt! Vielleicht hatte ich bei meinen Erzählungen doch ein wenig übertrieben... Was sollte ich denn jetzt machen? Würde ich Nein sagen, wusste sie sofort, dass ich gelogen hatte, und diese Blöße wollte ich mir nicht geben! Würde ich Ja sagen, hätte ich ein wirkliches Problem was meinen NICHT VORHANDENEN Freund betraf. Ich könnte ja einfach sagen, dass James keine Zeit hatte oder kurzfristig krank geworden sei. Genau, dass war es! Eine weitere Lüge um die erste zu retten. „Ja, gerne doch. James wird sich freuen", erwiderte ich und genoss, wie Petunias Mundwinkel nach unten zuckten.

Jily Idiot, oder nicht? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt