Ein letzter Rumtreiber

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Triggerwarnung: Dieses Kapitel behandelt das Thema Tod.

Es schepperte. Es krachte. Die Decke stürzte ein. Steine fielen hinunter. Brökelten. Würfelten sich über die Anderen.

Er hatte gelacht. Gelacht über einen Todesser, den er soeben versenkt hatte. Wie bei 'Schiffe versenken'.

Er hatte gelacht, dabei hätte er es besser wissen müssen. Er hätte wissen müssen, dass der Krieg nicht vorbei war. Dass jederzeit aus allen Richtungen ein neuer Angreifer springen könnte. Doch er hatte sich gut gefühlt. Wie ein kleiner König. Er verteidigte seine Familie. Sie verteidigte ihn.

Doch nun hatte Molly Weasley nur noch sechs Kinder. Ihr Sohn, tapfer, Streichekönig, Zwilling, war im Kampf gestorben. Lächelnd. Eine einstürzende Decke war sein Todesurteil gewesen.

Noch wussten sie es nicht. Noch lag er unter Schutt und Asche begraben. Noch wusste sein Zwillingsbruder nicht, dass er gerade seine andere Hälfte verloren hatte. Rothaarig, sommersprossig, liebenswürdig.

Fred Weasley lag da, lächelnd, doch seine Seele war woanders. Sie hatte sich, wie alle vor ihr hinauf begeben. In den Himmel.

Dort begegnete er ihnen allen. Allen. Lily und James Potter. Remus und Nymphedora Lupin. Sirius Black. Marlene McKinnon. Mary MacDonald. Severus Snape. Dorcas Meadows. Albus Dumbledore.

Fred durchschritt einen scheinbar bodenlosen Raum, auf die einzige Kerze zu, die diesen 'Raum' erhellte.

"Sirius?", fragte er unsicher.

Dieser grinste. "Willkommen, Mister Weasley, wir haben schon auf dich gewartet"

Fred schaute ihn perplex an und drehte sich zu Professor Dumbledore. "Professor?"

Dieser nickte. "Fred, schön zu sehen, dass du unversehrt bist" "Ich wurde von einem Steinklotz erschlagen, und sie sagen, ich bin unversehrt. Ich bin... Ich bin... tot"

Noch ehe er diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, fing er restlos an, zu schluchzen. "M...meine Familie, Ge...Georgie, w... warum?"

Sirius legte ihm einen Arm auf die Schulter. Eine müde Geste der Tröstung? "Fred, es ist vorbei"

Fred schaute zu ihm auf. "Vorbei?", fragte er leise und eine Träne rann sein Kinn hinunter.

Sirius nickte. "Vorbei. Diese Welt. Und jetzt beginnt das Leben hier" Er lächelte.

"Aber, meine Familie- George- auf der Welt ist Krieg. Ich muss helfen! Ich... Ich kann doch George nicht alleine lassen!" Er ließ sich fassungslos auf den Boden sinken und fing wieder an, leise zu weinen.

Lily Potter setzte sich schweigsam neben ihn. Sie wusste, wie er sich fühlte. Sie hatte auch nicht fassen können, dass ihr Leben hier, irgendwo außerhalb der Erde, einfach weiter gehen könnte. Ohne Krieg. Ohne Todesser. Glück. Zufriedenheit. Zusammen alt werden. Mit James. Mit Marlene und Mary und Dorcas. Mit Sirius und Remus. Und seiner Frau Nymphedora. Die beiden waren gerade eben erst angekommen. Hand in Hand. Lily hatte lächeln müssen, es freute sie, dass Remus endlich jemanden gefunden hatte.
Eigentlich, fand sie, war der junge Weasley viel zu früh eingetroffen. Er hätte noch ein ganzes Leben vor sich gehabt. Mit seinem Bruder. Mit seiner Familie.
Lily seufzte kaum hörbar und schaute sich um. Wenn man aus dem dunklen Raum trat, sah die Welt aus, wie immer. Hogwarts, Hogsmeade, Godric's Hollow. Es herrschte Sommer. Das ganze Jahr über. Lily fand das ein bisschen schade. Sie hatte den Winter gemocht. Und der Gedanke, dass hier eigentlich nur Tote lebten, eine Ironie, hatte ihr am Anfang auch nicht behagt. Aber man gewöhnte sich daran. An das öde Leben. Voller Liebe und Glück und Verständis. Diese Welt hier war voll. Eigentlich viel zu voll. Aber trotzdem lebte man in einer Gemeinschaft, alle miteinander, jeder mit jedem. Alle kannten und verstanden sich. Warum sollte es Fred nicht auch so gehen? Warum sollte er sich nicht wie alle anderen anpassen und gewöhnen?
Weil er noch nicht bereit ist, und etwas auf der Erde ist, was er nicht loslassen kann. Noch nicht, beantwortete sich Lily ihre Frage selbst. Sie würde ihm so gern helfen. Aber hier war sie machtlos. Auch mit Zauberstab.
Lily stand langsam wieder auf, spielte mit dem Gedanken, Fred zu trösten, aber sie wusste, dass es nicht helfen würde. Sie war nicht Molly. Sie war nicht Arthur. Sie war nicht George.

Stattdessen hielt sie ihm ihre Hand hin, welche er ergriff und mit hängendem Gesicht aufstand.
"Ich kann es nicht ändern, oder?", fragte er leise und drehte sich zu James.

Dieser lächelte leicht. "Nein, das stimmt. Du kannst nichts tun. Nicht für die, die nicht hier sind"

Fred öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ihm fielen keine Worte ein, die seine Gefühle, seine Trauer und Wut, auch nur im Ansatz beschreiben konnten.
Er wollte und musste wieder zurück. Er war noch nicht soweit. Er wurde gebraucht. Und er brauchte. Seine andere Hälfte.

Auf einmal spürte er einen Tropfen auf seiner Wange. Finger, die zärtlich darüber strichen. Es waren nicht seine Tränen und auch nicht seine Finger. Und niemand in seiner näheren Umgebung berührte ihn auch nur im Entferntesten. Fred sah sich entsetzt um. Was war hier los? Wer fasste ihn an. Wer weinte? Und warum?

Sein Blick verhakte sich mit dem seines ehemaligen Direktors. Blaue Augen. Halbmondbrille.

"Dein letzter Moment, Fred. Dein letzter auf Erden" Er lächelte traurig.

Fred starrte ihn an. "George!" Er fasste sich an die Wange, er erfasste die Finger und drückte.

"Mum! Fred- er lebt, Mum schau doch! Mum, Fred ist am Leben!", hörte er auf einmal eine verschwommene Stimme. Unverkennbar sein Bruder. "George", wollte er sagen, "George, ich bin da". Doch kein Laut verließ seine Lippen. Er war wie stumm.

"Mum, hilf mir, er... Er verkrampft sich. Er ist eiskalt. Freddie, bitte, bleib hier. Fred! Bitte! Bleib, verdammt noch mal hier! BITTE!", schrie eine verzweifelte Stimme, dann brach der Kontakt, Fred spürte nichts mehr und lies die Hand sinken.

"Das war George" Es war keine Frage, es war eine Feststellung. Dumbledore nickte. "Wie ich eben sagte, dein letzter Moment. Und du hast ihn mit ihm verbracht, äußerst wunderbar" Er lächelte besonnen.

"Wunderbar? Ich bin gerade gestorben, und das nennen sie wunderbar?", fragte Fred.

"Nicht doch. Wunderbar ist, dass deine Seele weiterlebt. Und das ist doch schließlich etwas wert, oder nicht? Und wie ich gehört habe", sein Blick schweifte von James zu Sirius und Remus, "Wie ich gehört habe, wird hier ein letzter 'Rumtreiber' gebraucht" Er schmunzelte.

Fred sah ihn einfach nur an. Sein Leben war futsch. Und er war ein Rumtreiber. Wie überaus... nett.
Leise erwiderte er: "Lieber würde ich sterben, anstatt George leiden zu sehen."

Dumbledore lächelte ihn mitleidig an.

"Wie du vielleicht vergessen hast, bist du bereits tot. Aber, wie ich es zu sagen pflege: Für einen gut vorbereiteten Geist ist der Tod nur das nächste große Abenteuer."

Er begab sich nach draußen, die anderen folgten langsam.

"Jemand ein Brausebonbon?" Dumbledore hielt eine Schale in der Hand. Fred griff mechanisch danach.
Vielleicht, dachte er, vielleicht helfen saure Bonbons ja gegen bitteren Schmerz.

Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin! ~Harry Potter Oneshots~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt