Neun

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Mein Geburtstag war inzwischen zwei Wochen her. Zwei Wochen, die ich ausschließlich zu Hause, in der Schule und bei der Loge verbracht hatte. Und doch war immer noch nichts passiert, bis auf leichte Übelkeit und ein wenig Schwindelgefühl. Die einzigen, die deshalb nicht komplett durchdrehten waren Mum, Mister George, Doktor White und Grandpa Lucas. Selbst Paul, der beim Einlesen seines Blutes in den Chronografen nicht mit der Wimper gezuckt hatte, machte mich verrückt. Dabei stand doch in diesen ominösen Annalen, dass ich jetzt ein Jahr lang Zeit für meinen Initiationssprung hatte!

"Wie geht es dir? Ist dir schwindelig?", begrüßte Paul mich, als ich die Eingangstreppe hinaufkam. "Nein, alles bestens, danke der Nachfrage!", erwiderte ich genervt. "Tut mir Leid, ich mache mir ja nur Sorgen. Wenn ich an meinen Initiationssprung denke..." Paul schüttelte sich. Wie süß, er macht sich sorgen um mich, seufzte ein Stimmchen in meinem Kopf verträumt.

"Miss Lucy! Da sind sie ja. Würden sie beide mir folgen? Mrs. Morrison wartet bereits im Rittersaal mit der Fechtausrüstung. Wir müssen uns ein wenig beeilen, Paul muss heute auch noch elapsieren", unterbrach Mister George meine Gedanken. "Äh, klar!", antwortete ich und lief mit Paul zum Rittersaal. Irgendeine Trainingspuppe verkloppen war meiner Meinung nach eine gute Methode um den Kopf freizubekommen.

Doch Mrs. Morrison verkündete, dass wir heute zusammen einen Übungskampf fechten sollten. Schade.

Nachdem wir eine halbe Stunde lang Florett und Degen gefochten hatten ließ lehnte ich mich gegen eine Säule um kurz zu verschnaufen. "Ist dir schwindelig?", fragten Miss Morrison und Paul wie aus einem Mund. "Nein! Mein Gott, ich muss mich nur kurz ausruhen!", fauchte ich ungehalten. "Könnten vielleicht alle mal aufhören mich wie ein rohes Ei zu behandeln?! Ich hab echt die Nase voll!"

Mister George, der unbemerkt den Raum betreten hatte, räusperte sich. "Ich soll Paul zu Madame Rossini schicken, er soll sich zum elapsieren umkleiden", teilte er mit. Paul warf mir noch einen Blick zu, der wohl eine Entschuldigung sein sollte, doch ich starrte ihn bloß möglichst gleichgültig und wütend an. Neulich hätte er mich fast geküsst und jetzt geht er mir einfach tierisch auf die Nerven!
Miss Morrison hob verzweifelt die Arme: "Ohne Trainingspartner kannst du schlecht weitermachen. Wenn du mir sagen kannst wer Großbritannien nach George dem Ersten regierte bist du für heute entlassen." "George der Zweite", leierte ich herunter und ging zur Tür hinaus.

Ich war schon auf dem Weg zum Ausgang, als ich Pauls Stimme hörte. Sie drang durch die angelehnte Tür aus Falks Büro. Leise schlich ich mich hinter die Tür und spähte duch den Spalt. Paul und Falk lehnten nebeneinander an Falks Schreibtisch und unterhielten sich entspannt. "...hältst du denn für den perfekten Moment?", fragte Falk gerade und grinste seinen jüngeren Bruder neugierig an. Die beiden unterhalten sich jetzt ernsthaft übers Knutschen? Ich hätte beinahe losgekichert, doch dann wäre meine Lauschattacke aufgeflogen. "Ich würde mich nicht lange mit Reden aufhalten. Ich würde es einfach tun. Dann kann sie dir eine runterhauen und du weißt Bescheid", antwortete Paul und grinste verwegen. Falk zog eine Augenbraue hoch und fragte spöttisch: "Und an wen denkst du da so?" "Ach, an niemand bestimmten", murmelte Paul und wurde ein wenig rot. Vielleicht denkt er ja an mich! Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Ich konnte ihm nicht mehr böse sein wegen seiner Übervorsichtigkeit.

Als ich gerade mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Hause durch den Hyde Park fuhr, wurde mir plötzlich furchtbar schwindlig. Ich konnte gerade noch bremsen, da wurde ich auch schon vom Fahrrad gerissen und fiel unsanft zu Boden.

Als ich mich aufrappelte und mir den Staub Jacke klopfte wurde mir bewusst, dass ich tatsächlich in der Zeit gesprungen war! Endlich! Dann kann ich mich ja mal ein wenig umsehen. Ich war allerdings noch nicht sonderlich weit gekommen, da bemerkte ich zwei Jugendliche, ungefähr in meinem Alter, die, aufgrund ihrer Kleidung, nicht ins Bild passten.

In dem Moment begann das dunkelhaarige Mädchen wie wild zu winken. "James! Hier bin ich!" Ich folgte ihrem Blick und entdeckte einen Reiter auf einem Grauschimmel, wohl dieser James. "Geht es vielleicht noch ein bisschen auffälliger?", fragte der Junge neben ihr und blickte sich nervös um. Sein Blick blieb an mir hängen, doch er schüttelte nur kurz irritiert den Kopf, als wollte er leugnen mich zu sehen, und wandte sich dann James zu, der inzwischen bei den beiden angekommen war. "Seid ihr Pferdehändler?", fragte James misstrauisch während der Junge in einem schwarzen Rucksack herumwühlte, der die pinke Aufschrift Hello Kitty must die trug. Wo er recht hat, hat er recht, dachte ich mir, auch wenn ich bezweifelte, dass der Rucksack von ihm stammte. "Nein, er ist Arzt! Jedenfalls so gut wie", versuchte das Mädchen den Reiter zu beschwichtigen. Ich hätte dem merkwürdigen Trio gerne noch länger zugesehen, doch erneut erfasste mich ein Schwindelgefühl.

Ich schloss die Augen und plumpste einen Augenblick später auf die Wiese, mitten auf eine Picknickdecke. Der Besitzer der Decke war glücklicherweise gerade damit beschäftigt in seinem Rucksack zu wühlen, weshalb er mich gar nicht bemerkte. Schnell stand ich auf und eilte zurück zu meinem Fahrrad, das unbeachtet an einem Baum lehnte.

Lucy Montrose ~ Verliebe dich niemals in einen De VelliersWhere stories live. Discover now