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„Sofort.", sagte er.
Ich musste mir ein Seufzen verkneifen.
„Ja, ich bin auf dem Weg.", antwortete ich. Wahrscheinlich könnte er mir anhören, dass ich genervt war. Aber Drake sagte nichts. Früher hätte ich mir die Mühe gemacht interessiert oder bemüht zu klingen. Aber früher hatte ich ja auch gehofft, dass Drake mich irgendwann gehen lassen würde. Diesmal seufzte ich. Ich hatte aufgelegt, also war niemand da, der es hätte hören können, wenn man mal von dem Obdachlosen an der Laterne und der jungen Frau zu meiner Rechten absah. Und um ehrlich zu sein, sagen beide nicht wie die Sorte Leute aus, die mir jetzt noch Probleme bereiten könnten. Er schwankte hin und her – war wahrscheinlich betrunken – und klammerte sich an den Laternenpfahl. Und sie; ja, sie sah nicht gerade nach dem Typ Mensch aus, der hierher gehörte. Glatte, ordentlich geschnittene Haare kombiniert mir einer schlichten, aber definitiv hochwertigen Jeans und einem nervösen Blick. So gebückt, wie sie da stand und sich immer wieder kurz nach rechts und links umsah, hatte sie sicher auch Angst vor dem eigenen Schatten. Überrascht hätte es mich zumindest nicht. Egal, sagte ich mir, du musst los. Und das stimmte. Drake würde, gelinde gesagt, wütend werden, wenn ich zu spät kommen würde. Denn obwohl er sich weigerte Uhren zu tragen hatte er trotzdem ein erschreckend genaues Zeitgefühl. Bei der Vorstellung, wie mich sein zusammengekniffenen Augen verfolgen würden, während ich den Raum als letzte betrat, drehte sich mein Magen um. Aber ich zwang mich aufrecht zu stehen und meinen Weg anzutreten. Wenn ich mich nicht irrte, dann gab es am Ende der Straße links irgendwo eine Bushaltestelle. Sicher; es war noch lange keine Garantie, dass es auch einen Bus geben würde, der in meine Richtung fahren würde. Aber wo Busse führen könnten auch Autos und Taxis nicht weit weg sein. Also ging ich zügig in Richtung der möglichen Bushaltestelle. Die Nacht war verhältnismäßig ruhig; nur die paar Sirenen in der Ferne und gedämpfte Stimmen, da, wo Fenster offen standen. Aber sie alle fielen in den Hintergrund und wurden zu einer grauen Masse, nur unterbrochen von meinen steigen Schritten. Ich stand schon fast an der Ecke, als ich die Stimme hörte. Wäre sie nichts weinerlich und verängstigt gewesen, und hätte ich nicht eben noch diese Frau gesehen, zu der die Stimme nur zu gut gepasst hatte, dann hätte ich mich vielleicht nicht umgedreht. Aber ich tat es und sah gerade noch so, wie zwei Beine in Jeans in eine abgelegene Gasse gezerrt wurden. Für den Bruchteil eines Moments hielt ich inne. Vielleicht war die Frau ja schon tot. Oder vielleicht... Aber nein. Da war sie wieder – diese Stimme. Was ich hörte klang erstickt. „-ilwe!" Aber als ich es dann zum zweiten Mal hörte verstand ich. Hilfe. Die Frau hatte wirklich Pech. Ausgerechnet in dieser Gegend, wo sich die meisten nicht einmal nachts auf die Straßen trauten, hatte sie da gestanden – Nachts – offensichtlich unsicher und verängstigt. Sicher war es nicht ihre Schuld, dass sie... dass ihr das hier passierte. Aber ein kleiner Teil in mir; der, der kein Auge zudrückte, wenn er von Schwangeren hörte, denen Babys aus dem Körper geschnitten wurden und Kinder, die von ihren Freunden vor Züge gestoßen worden waren; dieser Teil dachte sich: Was hat sie denn erwartet? Und: Wie dumm ist sie eigentlich? – Wer so dumm ist, der hat es verdient, wenn ihm schreckliche Dinge passieren. Kaum hatte ich dies gedacht setzte der Scham ein. Ich konnte nicht wissen, warum sie hier war. Und da war noch etwas. Etwas, worüber ich nicht nachdenken dürfte, wenn ich nicht hier und jetzt zu einem heulenden Haufen Elend werden wollte. Also biss ich die zähen zusammen, seufzte auf und rannte in Richtung der Frau. Du wirst das hier so was von bereuen!, dachte ich. Aber es war auch das einzige, das richtig war. Ich schoss an dem Obdachlosen vorbei und folgte den verzweifelten schreien in die Dunkelheit. Abrupt blieb ich stehen. Der Typ, der die Frau mit seinen Ellenbogen auf den Biden gepresst hielt; dieser Typ mir dem vernarbtem Rücken und den kurzen Haaren – ich kannte ihn.
„Nick?" Ich erkannte meine Stimme fast selbst nicht mehr. So schwach hatte ich schon seit Jahren nicht mehr geklungen. Wahrscheinlich hatte Nick mich nicht einmal gehört. Also wartete ich nicht lange, ging schnurstracks auf ihn zu und schubste ihn von der armen Frau weg. Er wollte sich gerade auf mich stürzen als ich wieder seinen Namen rief. „Nick!" Er hielt inne, legte den Kopf schief und trat nach vorne.
„Merce?" Ich schenkte ihm ein wunderschönes, herablassendes Lächeln.
„Die einzig wahre.", scherzte ich. Er schnaubte.
„Was soll der Mist, Merce?" Ich stemmte meine Hände auf meine Hüfte und nickte in die Richtung der Frau, die jetzt in einer Ecke zusammengekauert saß und ihr Gesicht in ihren Händen versteckte.
„Ja, Nick, was soll der Mist?", schoss ich zurück. Dabei betonte ich seinen Namen, weil ich genau wusste, wie nervös es ihn machte. Heute war ich ihm im Vorteil. Ich kannte seinen echten Namen. Nick hingegen kannte nur den Namen, den ich mir über die Jahre erarbeitet hatte. Mercy – Gnade -, oder kurz, Merce. Sein Blick huschte kurz zu der Frau, bevor er noch einen Schritt auf mich zu machte und seine Hände wie zum Schutze, vor seinen Körper heilt.
„Ganz ruhig, okay?", fragte er, „Das hier ist doch wirklich..." Er überlegte.
„...keine große Sache?", schlug ich vor. Er nickte hastig.
„Genau.", sagte Nick, „es ist doch nichts, Merce." Normalerweise war Nick ein sehr gelassener Mann. Aber angesichts der Tatsache, dass er gerade versucht hatte einer armen Frau ‚etwas' anzutun und ich jetzt seinen Namen in ihrer Hörweite hatte fallen lassen, sah er angemessen unruhig aus. Nicht, dass ich wirklich glaubte, dass sie eine Anzeige gegen ihn erheben würde. So wie sie aussah war sie gerade nicht fähig einer Konversation zu folgen, geschweige denn sich Informationen zu ihm zu merken. Ich atmete einmal tief durch – eigentlich hatte ich keine Zeit hierfür – und räusperte mich.
„Also", sagte ich, „wie wäre es damit, dass du diese... Diese arme Frau in Ruhe lässt." Nick schluckte.
„Also – ich – äh – Merce, bitte – ich-" Bevor er noch weiter vor sich hin stottern könnte schüttelte ich den Kopf und sagte: „Kein ‚aber' jetzt, Nick. Ich bin eh schon auf dem Sprung und wenn ich wegen dir zu spät komme, dann ist Drake sicher nicht gerade glücklich." Nick sog scharf Luft ein. Drake's Name hatte eine Art magische Wirkung.
„Aber... Aber er will nicht, dass du dich bei mir einmischst.", erklärte Nick. Er klang Beine schon triumphierend, doch davon ließ ich mich keineswegs einschüchtern.
„Ja.", antwortete ich, ganz sachlich und ruhig. Nicks Haltung änderte sich und er sah wieder kurz zu der Frau hinüber.
„Na also.", lächelte er. Das Licht der Strassenlampe wurde von seinen silbernen Zähnen reflektiert und blendete mich kurz. Sehr, sehr langsam lehnte ich mich zu ihm nach vorne, platzierte meinen Mund nur Millimeter von seine, Ohr weg und flüsterte: „Nur frage ich mich gerade, wem Drake eher glauben wird. Dir, oder mir?" Augenblicklich versteifte er sich.
„Du würdest-" Ich schnitt ihm das Wort ab. „Ich würde nicht mehr und nicht weniger tun, als ihm zu sagen, dass ich so spät an bin, weil ein gewisser Nick Laurie mir ungewollte Avancen gemacht hat." Das war der letzte Schuss, den es gebraucht hatte um ihn zum Rückzug zu zwingen. Nick schreckte zurück und hielt seine Hände schützend vor sich.
„Bitte - das kannst du nicht machen – Bitte!" War es falsch von mir, sich an seiner Panik zu freuen? Und selbst wenn; er hatte es verdient. Und die Frau – naja – wenigstens war sie so aufs erste sicher. Ich sah kurz zu ihr. So wie sie aussah schaffte sie es wahrscheinlich nicht nachhause. Zumindest nicht aus eigener Kraft. Also entschied ich noch ein drauf zu legen und wendete mich wieder an Nick, der schon Anstalten machte abzuhauen.
„Nicht so schnell, Cowboy.", schnurrte ich. Die Angst stand ihm immer noch ins Gesicht geschrieben, als er sich wieder zu mir umdrehte.
„Was?", fragte er. Ich deutete in Richtung der Frau.
„Ich würde mal sagen, dass du ihr mindestens eine Taxifahrt..." Ich überlegte. Wohin sollte sie denn gebracht werden? Ich ließ meinen Blcik wieder kurz über sie wandern. Wahrscheinlich wohnte sie irgendwo in den Suburbs. Das typische ‚gehobene Mittelklasse'-Aussehen hatte sie zumindest.
„Weißt du was", sagte ich, „Sorg dafür, dass sie irgendwo landet, wo sie niemand mehr irgendwie nervt." Dann, wieder zu ihm gedreht, fügte ich hinzu: „Geht das klar, Nick?" Ich sah, wie sein Kiefer imaginäre Steine zermahl, aber letztendlich sagte er: „Geht klar, Merce." Und dafür schenkte ich ihm mein bezauberndstes Lächeln.
„Großartig!", flötete ich, „Man sieht sich, Nick." Und damit ließ ich die beiden zurück. Sicher; das hier war wohl nicht gerade die Sorte Rettung, die man in Märchen gefunden hätte. Aber letztendlich war es wohl doch besser als sie einfach hier sitzen zu lassen. Denn auch, wenn die meisten Menschen diese Frau nicht der Obhut von Nick überlassen hätten, war ich mir doch ziemlich sicher, dass Drake's Ruf die Frau beschützen würde. Nicht einmal Nick wäre so dumm Drake zu verärgern. Ach ja, wo ich schon gerade dabei war.
Wie spät war es eigentlich?

His BodyguardWhere stories live. Discover now