"Notausgang"

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Ich stand eine ganze Weile im Krankenhaus und blickte durch die einseitige Scheibe ins Behandlungszimmer. 

Joker lag auf dem Operationstisch und obwohl er sich Mühe gab immer wieder Witze zu reißen, krümmte er sich vor Schmerzen.
Ein paar Securities waren damit beschäftigt ihn festzuhalten, während der Arzt vorsichtig die Kugel aus seiner Schulter entfernte.
Die Wunde war riesig geworden und beinahe ächzte ich mit ihm mit, sobald der Doktor wieder mit der Pinzette in die Wunde ging.
Victor kam still neben mich, verschränkte die Arme und sah dann ebenfalls durch die Scheibe.
„Wieso hat er keine Narkose bekommen, oder wenigstens Schmerzmittel?", fragte ich durch zusammengeknirschte Zähne um nicht wütend zu klingen, „Das ist Wahnsinn."
Was ich war, aber nicht auf ihn sondern auf mich.
Er litt.
Nein, das hatte er verdient.
„Ich habe sie ihm verweigert. Den Umständen entsprechend. Andere Patienten haben es nötiger.", antwortete er kalt.
„Wenn er Ihnen auf dem OP stirbt haben Sie auch nichts davon.", murmelte ich verärgert.
„Er wird nicht sterben.", sagte er knapp, „dafür haben Sie gesorgt."
Ich sagte nichts.
„Sie hätten ihn erschießen können.", fuhr er fort.
„Dann wäre ich eine Mörderin.", murmelte ich nur.
„Sie hätten ihn sich selbst erschießen lassen können.", erwiderte Victor.
„Dann wären wir alle Mörder gewesen."
Er stockte, einen Moment und ich begriff, dass er genau wusste, was all das für Konsequenzen gehabt hätte. Ich begriff, dass keiner außer mir ihn aufgehalten hätte und keiner hätte den Finger erhoben, wenn es um die Frage gegangen wäre, wer für Jokers Tod verantwortlich gewesen war.
Alleine ich hätte mich verantwortlich gemacht.
„Sie wissen, dass keiner geurteilt hätte, Detective. Wir alle haben gesehen, was er Ihnen angetan hat. Niemand von uns hätte..."
„Es wäre trotz allem eine Straftat, Victor.", murmelte ich, „Und ich hätte sie nicht nur selbst begangen, ich hätte euch alle zu Mittätern gemacht. Hätte er sich erschossen, wären wir schon längst auf der Anklagebank."
„Recht hin oder her. Der Joker hat sich auch nicht ans Gesetz gehalten, als er Sie gefoltert hat!", antwortete mein Boss lauter werdend.
„Sie haben keine Ahnung!"; fauchte ich zurück, „Denken Sie wirklich ich würde ihn deshalb erschießen, oder dabei zusehen wie er sich erschießt?"
„In seinem Fall..."
„Gerade in seinem Fall!", gab ich zurück, „Er weiß, es würde mich zerreißen, er würde gewinnen.", ich schüttelte den Kopf „Das gönne ich ihm nicht."
„Gott verdammt, Kassia!", brüllte Victor auf einmal, hämmerte mit der Faust gegen die Scheibe und drehte sich zu mir, „Sie wissen, dass ich meine Hand für Sie ins Feuer legen würde. Aber die Leute stellen Fragen. Was soll ich ihnen sagen, wenn sie mich fragen, wie es einer jungen Agentin in Ihrem körperlichen Zustand gelungen ist vom Boden mit Ihrer schwachen Hand einen derart gezielten Schuss abzufeuern? Und wie soll ich erklären, warum Sie lieber selbst eine ungefährliche Kugel abgegeben haben, nur um zu verhindern, dass ausgerechnet der Joker sich selbst erschießt?"
„Sagen Sie, dass die Leute sich um ihre eigenen Probleme kümmern sollen.", erwiderte ich und ging bewusst nicht auf das ein was er sagte. Denn dann müsste ich erkennen, dass ich genau wusste, von was er sprach.
„Detective, Sie liegen mir am Herzen, deshalb habe ich Ihnen Zeit gegeben und Geduld. Aber so langsam gelange ich an einen Punkt, an dem ich nicht mehr weiß, ob Sie noch die sind, die Sie einmal waren.", seine Stimme wurde leiser, einfühlsamer, „Ich weiß, dass Sie innerlich einen Kampf der grausamsten Art mit sich selbst führen. Aber dennoch sind Sie hier, wie auch immer Sie es geschafft haben. Reden Sie mit mir."
Ich wollte mit ihm reden, aber etwas in mir verweigerte sich. Ich wusste tief in mir drinnen, was los war. Ich wusste es bereits seit dem Moment, in dem ich geflohen war.
Joker hatte es mir indirekt sogar bestätigt.
Jetzt sah er mich durch die Scheibe hindurch an und grinste, obwohl sie einseitig verspiegelt war. Victor stand noch immer geduldig da und wartete auf eine Antwort, auch er bemerkte Joker jetzt.
Aber ich war noch nicht bereit, darüber zu sprechen, also wandte ich mich ab und verließ wortlos den Raum.
Es schauderte mich bei dem Gedanken das FBI Gebäude wieder zu betreten.
Es würde das erste Mal sein, seit ich wieder zurück war, dass ich mein Team und den Rest meiner Kollegen wieder sah. Noch wusste ich nicht, wie ich Delia je wieder in die Augen sehen konnte, nachdem Clark meinetwegen gestorben war. Sie hatte ihn geliebt und jetzt war er fort.
Doch noch ging ich dort nicht hin zum arbeiten.
Vorerst nicht. Zunächst musste ich die physischen und psychischen Leistungsstests bestehen und dazu kam noch das Gutachten von Dr.Maxwell, zu dem ich gerade auf dem Weg war.
Als ich vorsichtig an sein Zimmer klopfte und er herein rief und mich dann sah, verdunkelte sich seine Miene für einen Augenblick.
Dann wurde er wieder professionell und stand auf um mir die Hand zu reichen.
Nach unserem letzten Gespräch, welches in einem Aussetzer meinerseits endete hatte er die Therapie eigentli h für unerfolgreich beendet erklärt, weil er sich nicht mehr sicher fühlte. Aber auf einmal, schien er ganz epicht darauf mich zu sehen.
„Also, was ist passiert, Detective?", fragte er, überkreuzte die Beine und machte sich bereit Notizen zu machen.
Wie gerne ich mir einfach alles von der Seele geredet hätte.
Aber wie sollte ich ehrlich reden, ohne dazustehen wie eine Psychopathin? Was wenn wir überwacht wurden und jemand das Band sehen würde? Aaron, oder Victor oder noch schlimmer Joker selbst.
Wäre das denn wirklich so schlimm, Kassia?
„Ich habe ihn gesehen.", murmelte ich schließlich, jedes einzelne Wort war wie Feuer auf meiner Zunge, „Er ist hier, er verfolgt mich, als ich auf dem Dach war, hat er mich aufgefangen und als ich draußen war kam er zu mir und hat mir das Jackett gegeben und, ich weiß nicht was mit mir los ist, ich habe eine Stimme in meinem Kopf, die schreit und gleichzeitig habe ich ihn nicht getötet, was ich doch eigentlich hätte tun sollen, und ich..."
„Detective.", unterbrach Dr.Maxwell mich beschwichtigend, aber blass wie eine Leiche.
Was hatte ich gesagt? Die Worte waren nur so aus mir rausgesprudelt, ich konnte sie nicht aufhalten.
„Worauf ich hinaus will..."; begann ich und atmete tief durch um die letzten Worte auszusprechen, die mich seit Tagen beschäftigten, die Frage, die mich quälte, „Ich kann ihn nicht hassen."
Ich hatte das Gefühl, dass mit den Worten ein riesiges Gewicht von meiner Brust wich und ich fühlte mich so viel leichter, einfach all das loszuwerden.
„Selbst nachdem er Clark getötete hat, nach all den Morden, und ich weiß nicht, macht mich das zu einer schlechten Person, ich weiß nicht, Doktor. Vielleicht haben alle Recht und ich werde wie er, ich werde wahnsinnig, die Stimmen in meinem Kopf, aber ich kann sie nicht kontrollieren, sie ziehen mich zu ihm, und diese..."
Ich stockte, „Diese Neugierde, diese Besessenheit, diese Abhängigkeit, die er in den letzten Monaten mit mir hatte, ich glaube ich werde wie er.", murmelte ich, „besessen."
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich aufgestanden und umhergelaufen war.
Mein Atem ging schneller von dem Fluss an Wörtern und all den Dingen, die ich mir von der Seele geredet hatte. Dr.Maxwell sah mich mit einem Blick an den ich nicht richtig einordnen konnte.
Irgendwie verstört.
„Sie wollen damit sagen..., dass Sie Gefallen an ihm finden."
Ja!
„Ja, - ich meine nein, ich..."; ich seufzte und saß mich wieder, vergrub den Kopf in den Händen, „Ich bin nur so durcheinander..."
Dr.Maxwell musterte mich, zog sich die Brille von der Nase und klappte sein Buch zu.
„Es ist wichtig, dass Sie mir jetzt gut zu hören, Mrs. Jester.", sagte er ruhig und so ernst, dass ich verzweifelt aufsah.
„Was Sie empfinden, mag Sie im ersten Moment vielleicht verstören. Aber ich kann Ihnen versichern, dass die „Besessenheit" die Sie verspüren eine ganz natürliche Reaktion Ihres Körpers und Ihres Verstandes ist, die Ihnen einreden sie benötigten etwas, von dem sie sich in den letzten Monaten abhängig gemacht haben. Etwas oder jemanden."
Ich hob die Brauen. Seine Worte klangen so vernünftig.
Dabei sprachen wir hier von Joker.
Meinem Joker.
„Damit wollen Sie sagen, dass..."
„Dass ich nicht glaube, dass Sie wahnsinnig werden, Detective. Sie haben lediglich eine traumatische Erfahrung gemacht und sind verwundert, wie verletzlich Sie sein können, von Ihrem sonst so selbstbewussten Ich distanziert."
Er beugte sich weiter zu mir vor, senkte seine Stimme, als ob er nicht wollte, dass jemand es hörte. „Ihr Herz sieht den Joker nicht als Monster, sondern als Retter, es glaubt, dass nur er Ihnen helfen kann, weil er derjenige ist, an den es sich geklammert hat, als ihm nichts anderes mehr blieb. Damit ist er auch derjenige der Ihnen helfen kann aus Ihrer aktuellen Misere wieder herauszukommen. Sie wollen es sich nur nicht eingestehen. Es ist normal, dass sie einerseits panisch auf ihn reagieren. Aber es ist ebenso nicht selten, dass Opfer von brutalen Straftaten oftmals eine Art ... Zuneigung  gegenüber dem Täter empfinden."
„Damit sagen Sie, dass er mein Untergang ist, schon klar.", murmelte ich.
Er schüttelte den Kopf „Nicht Untergang – Notausgang." 

"You're going mad"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt