Meta stand in dem Kellerverließ und starrte die feuchten, schimmligen Wände an. Sie wusste nicht, wohin mit sich und ihrer schmorrenden Wut. Diese Scheißdämonen trieben sie zu Dingen, die sie niemals sonst tun würde! Und dennoch fühlte sie sich nicht schlecht, nur wütend. Auf alle und jeden! Sie ballte die Hände zu Fäusten und atmete zischend aus. "Scheiße!", mit der rechten Hand presste sie den linken Arm an ihre Brust. Der Schnitt war nicht tief, brannte aber wie Feuer. Sie schluckte die Tränen herunter und wartete weiter. Der Gang, in dem sie stand war schmal, rechts und links gingen einzelne noch schmalere Zimmer ab, die momentan als Krankenstation genutzt wurden. Es war sicherlich nicht förderlich für die Gesundheit, aber sie hatten keine anderen Möglichkeiten. Meta wusste das, aber auch darüber war sie wütend. Wie sollte hier unten, in diesem Loch, jemand gesund werden? Das konnte nicht funktionieren. Und doch war das Versteck unter dem alten Schulgebäude, das einzige, was ihr Überleben sicherte.

Neben ihr wurde eine verschlissene Decke beiseitegeschoben und Astrid trat heraus. Die grauen Haare hingen in Strähnen aus dem schnell zusammengebunden Zopf. Dreck klebte an der Wange und sie sah einfach nur müde aus. Während Moritz und Silas einen kleinen Jungen heraustrugen und mit ihm in einem der kleinen Zimmer verschwanden, wand Astrid sich Meta zu. »Komm. Du bist dran.«

Meta schluckte. Ihre Zunge klebte ihr am Gaumen. »Wenn sonst noch jemand da ist, komme ich einfach später wieder.«

Astrid lachte bitter auf. »Komm rein Meta. Es ist immer jemand anders da, und nun eben du.«

Bring es hinter dich! Meta atmete tief durch und setzte sich auf die Liege. Aus vielen Löcher quoll das Innenleben. Astrid ließ sich auf einen Hocker fallen. »Was ist dir passiert?«

»Hab mich geschnitten.«

Kaum das sie es ausgesprochen hatte, wusste Meta, dass Astrid ihr nicht glaubte. Dennoch blickte sie die Ärztin herausfordern an.

»Okay. Lass mal sehen.«

Meta streckte den Arm aus und Astrid betastete den Schnitt. Mit einem relativ sauberen Tuch und etwas Wasser reinigte sie die Fläche um die Wunde herum, träufelte etwas Jod hinein und beobachtete Meta, die nicht mit der Wimper zuckte.

»Schneid die blutige Ecke ab, ich hole einen Verband.« Astrid sah Meta noch eine Sekunde länger an, bevor sie aufstand und den Raum verließ. Meta atmete aus, vielleicht hatte die Ärztin ihr doch geglaubt. Solche Verletzungen kamen vor, das war nichts neues, hier unten. Und dennoch fühlte sich Meta bei der Lüge nicht wohl Aber alles andere wäre nicht infrage gekommen.

Astrid wickelte den Stoffstreifen straff um Metas Arm. »Komm morgen wieder, ich muss es kontrollieren. Es ist nicht tief, aber kann sich trotzdem entzünden. Und belaste ihn nicht zu sehr.«

Wieder ließ sich die Ärztin auf den Hocker sinken. Ihre Hände strichen langsam über ihr Gesicht, banden den Zopf neu und blieben zitternd auf den Beinen liegen. Mit roten Augen sah sie Meta an. »Ich will nicht wissen, wie das passiert ist, aber lüg mich nicht an, Meta!« Astrid war zu erschöpft, um mit ihrer Tochter zu schimpfen, aber die Enttäuschung kam auch so bei Meta an. Sie nickte, schwieg aber weiter.

»Komm, lass uns eine Runde gehen. Ich brauch eine Pause, bevor ich weiter gegen Durchfall und Erbrechen kämpfe.«

Dankbar nahm Meta den Themawechsel und das bisschen Zeit, was ihre Mutter ihr schenkte an. Sie verließen den Gang und drehten in dem großen Hauptraum am Rand eine Runde. Das war der einzig mögliche Weg, einen Spaziergang zu machen. Im Raum verteilt brannten kleine Feuer und sorgten so für etwas Wärme und Licht.

»Wie kommst du gegen die Krankheiten an?«

»Gar nicht«, sagte Astrid. Die Resignation traf Meta nicht unvorbereitet. Alle hier resignierten auf kurz oder lang.

Eine Weile schwiegen sie. Nach der ersten Runde, drehten sie noch eine zweite. Der Anblick des Hauptraumes war genauso trostlos, wie alles andere hier unten. In der Mitte war ein Viereck aus Steinen aufgebaut. Darin hatte jeden Tag jemand anderes Kochdienst. Daneben schenkte eine andere Person Wasser aus. Ringsherum standen oder saßen Frauen mit ihren Kindern. Beschäftigten sie, lehrten ihnen etwas oder hielten sie einfach nur fest. Momentan befanden sich vielleicht zehn Frauen hier, die Hälfte hatte Kinder dabei. Meta vermutete, dass die restlichen fünf Frauen in ihren Unterkünften waren und versuchten, nicht der Verzweiflung zu erliegen. Das ewige nichts tun und das Leben hier unten forderten eine Menge und irgendwann hatte man nichts mehr zu geben.

»Wann kommen die Teams wieder?«, fragte sie ihre Mutter, um auf ein anderes Thema als die Kranken zu kommen.

Astrid zuckte mit den Schultern. »Sofern mich mein Gefühl nicht trügt, müssten sie eigentlich bald eintreffen. Die Sonne müsste schon aufgegangen sein.« Sie seufzte. »Hoffentlich haben sie Medikamente gefunden.«

Meta drehte sich zu Astrid um. Tiefe Sorgenfalten gruben sich in ihre sonst glatte Haut. »Wie schlimm ist es?«

»Schlimm. Ich bin am Ende. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll. Ohne Medikamente komme ich nicht weiter.« Astrid ging ein Stück in den Raum rein und ließ sich auf einer alten Bank nieder. »In letzter Zeit denke ich oft an früher. In einem Fall wie diesem wären Schwestern und Ärzte da gewesen. Medikamente. Behandlungsmöglichkeiten. Aber jetzt bleibt nur die Hoffnung. Meistens nicht mal die.« Ihr Blick lag auf einer Frau, die ein in Lumpen gehülltes Bündel in den Armen hielt. Tränen rannen ihr über das schmutzige Gesicht, langsam wippte sie vor und zurück. Vor und zurück. Vor und zurück, während ihre Lippen sich unaufhörlich lautlos bewegten. Der Anblick hatte etwas Hypnotisches und Meta musste sich zwingen, woanders hinzusehen.

Astrid drehte den Kopf und sah Meta direkt an. Diese erschrak etwas über den fixierenden Ausdruck. »Erinnerst du dich? An das Leben früher? Ohne diese ... diese Plage?«

Das fragte ihre Mutter in letzter Zeit öfter und wieder nickte Meta. »Ein bisschen. Ich war dreizehn, als sie aus ihren Löchern krochen. Ich erinnere mich an den Sommer. An Eis. Und an Großmutter«, flüsterte sie. Sie sprach nicht gern von früher. Es war nicht Schmerz, der sie davon abhielt, sondern das Wissen, dass es nie wieder so werden würde. Es gab keinen Grund, in der Vergangenheit zu leben, wenn die Gegenwart die volle Aufmerksamkeit forderte und es keine Zukunft gab. Vergangenheit sorgte nicht dafür, dass man überlebte.

DämonentanzWhere stories live. Discover now