Samstag, 6. Mai 1848

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Heute war es also so weit: Der «grosse Tag», an dem ich meinen zukünftigen Ehemann treffe.

Es hätte schlimmer sein können.

Eugene Gladstone machte den Eindruck eines getretenen Welpen. Ganz offensichtlich war auch er vorrangig auf Wunsch seines Vaters hier.

Seine Stimme war leise und seine Worte wohl überlegt, aber häufig von Denkpausen und seine Unsicherheit verratendem Räuspern unterbrochen, was ihn nicht gerade über die Massen eloquent erscheinen liess.

Zweifellos ist dies der Grund dafür, dass er bei den Damen der Gesellschaft nicht besonders populär ist, denn wenn er auch mit fünfundzwanzig Jahren noch mehr Knabe als Mann ist, so ist er immerhin ein hübscher Knabe.

Rotbraune Locken fallen ihm in die Stirn und im Abendlicht, das durch die Fenster des Esszimmers hereinfiel, erglänzten sie in einem phänomenalen Kupferton.

Sein Kinn sieht aus, als hätte er versucht, die markanten, strengen Züge und den schmallippigen Mund seines Vaters zu erben, was ihm jedoch nicht gelang. Dies ist ganz bestimmt Mrs. Gladstones äusserst freundlichem Gesicht mit den weichen, runden Formen und den schönen, vollen Lippen geschuldet.

Das Kinn des jungen Mr. Gladstone kommt dem seines Vaters in der Form also nahe, ist jedoch ungleich weicher und seine Unterlippe ist um ein ganzes Stück voller als die Oberlippe, was ihm ein wenig den Ausdruck permanentem Schmollens verleiht. Es ist nicht unansehnlich, aber eben auch nicht besonders männlich.

Sehr angetan bin ich von seinen Augen. Sie sind gross, doch keine albernen Glubsch- oder Kulleraugen und sehr klar. Ihre Farbe ist wirklich ganz aussergewöhnlich. Sie erinnert mich an Sturmwolken an einem Herbsttag.

Während des Abendessens pries Vater mich an, wie ein Stück Vieh auf dem Markt.

Und als wäre das noch nicht schlimm genug, pflichteten Dolly und Mutter ihm auch noch eifrig bei.

«Sie müssen Amandas Klavierspiel hören.» - «Oh ja, sie spielt so wohltemperiert. Selbst Bach könnte es kaum besser.»

Was hätte ich darum gegeben, etwas nach Dolly werfen zu können um meiner Verdrossenheit Ausdruck zu verleihen. Aber das wäre natürlich ganz und gar gegen die guten Sitten gewesen.

Und so blieb mir nichts anderes übrig, als peinlich berührt in meiner Suppe zu rühren, während die anderen über den albernen Wortwitz lachen.

Vater verkaufte mein hartnäckiges Schweigen als schüchterne Bescheidenheit – erfolgreich, wie ich befürchte.

Die Malerei sprach niemand an. Vielleicht fürchteten sie, die Gladstones mit meinen düsteren, «morbiden» Geisterbildern zu verschrecken.

Ich begreife das nicht. Wäre es einfach nur ein Gemälde eines Zimmers oder einer Landschaft, fände niemand etwas Besonderes daran. Aber sobald in diesem Zimmer oder dieser Landschaft eine transzendente Gestalt steht, etwas was dort nicht mehr hingehört und dennoch da ist, ist es auf einmal «morbiden». Ja, fast schon anrüchig.

Es ist, als fürchteten sie die Vergangenheit. Doch die Geister vergangener Zeiten, flüchtige Schatten der Erinnerung, sind überall um uns herum. Und ich werde sie malen, egal wem es gefällt oder nicht gefällt. Denn ich fürchte, dass sie nur allzu schnell in Vergessenheit geraten, wenn ich nicht an sie erinnere. Und nur die wenigsten von uns verdienen es, vergessen zu werden.

Dolly empfahl sich nach dem Abendessen; Dean führte sie noch zum Tanzen aus.

Unsere Väter zogen sich zu einem Brandy und einer Zigarre ins Studierzimmer zurück und liessen Mr. Gladstone und mich in der Obhut unserer Mütter. Zweifellos um «dem jungen Paar» genügend Privatsphäre zu gönnen, damit es sich kennen lernen kann, aber nicht genug um für einen Skandal zu sorgen.

Ich gebe zu, ich war nicht besonders erpicht darauf, mich mit Eugene Gladstone zu unterhalten, aber was blieb mir anderes übrig?

Obwohl er nach wie vor keinen besonders redegewandten Eindruck machte, erwies er sich nicht als der unangenehmste Gesprächspartner, den ich jemals hatte.

Er sprach eine gewisse Bewunderung für Handarbeiten, insbesondere Stickerei, aus, erzählte mir von den Stickereien seiner Schwester Catherine. Als er unvorsichtigerweise bemerkte, dass er wünschte, sie stickte etwas aufregenderes als Rosen und Bibelsprüche, erntete er einen tadelnden Blick von seiner Mutter, von mir jedoch ein verhaltenes Lachen.

Er merkte an auch, viel zu lesen und obwohl er eigentlich keinen belesenen Eindruck macht, glaube ich ihm. Aus seinen wolkengrauen Augen spricht eine geradezu kindliche Ehrlichkeit.

Alles in allem erscheint mir Eugene Gladstone ein feinsinniger und sensibler Mensch zu sein.

Mutter war es indes sehr wichtig, Dinge über die berufliche Situation ihres zukünftigen Schwiegersohnes zu erfahren. Als er ihr sagte, dass er einen Buchhalterposten in einer Weberei inne habe, sah sie mich auffordernd an, als wollte sie sagen «Siehst du, Kind, ich sagte dir doch, dass er gut für dich sorgen wird.»

Das Treffen hätte wahrlich weitaus schlimmer sein können und doch hinterlässt mich dieser Abend insgesamt heiratsunwilliger denn je. Denn es ist auch Mr. Gladstone gegenüber ungerecht, dass man diese Heirat erzwingen will. Er hätte eine Frau an seiner Seite verdient, die ihn aufrichtig liebt. Ich hingegen fühle mich nicht einmal in der Lage, ihm zärtliche Gefühle vorzugaukeln, wenngleich ich ihn gewiss gern zum Freund hätte. Wären bloss die Umstände andere.

Aber wenigstens haben die Unterleibskrämpfe der letzten Tage wieder nachgelassen, so dass mein Unwohlsein heute Abend hauptsächlich geistigen Ursprungs war. Die Blutungen haben noch nicht wieder aufgehört, aber auch sie haben – Gott sei Dank – nachgelassen.

Es gibt nichts Widerlicheres, als das Gefühl von Blut, das einem den Oberschenkel hinabrinnt.

Was haben wir Frauen der Welt getan, dass wir derlei durchmachen müssen?

Wenn ich die ekelhaften, rostfarbenen Flecken auf meinen Unterröcken sehe, wundert es mich nicht, dass viele Kulturen menstruierende Frauen für unrein halten. Es ist unrein, wenn auch nicht im spirituellen Sinne...

Ich frage mich, ob solch reine Geschöpfe, wie Gabrielle eines zu sein scheint, diese Tortur ebenfalls über sich ergehen lassen müssen oder ob ihre spirituelle Reinheit sie vor körperlicher Unreinheit schützen kann.

Ich bezweifle es, aber es ist dennoch eine hübsche Vorstellung...

Mandelblüten im SchneeTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang