Kapitel 3 - Aufbruch

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Ich hatte das Gefühl, zu ersticken. Ich musste sofort hier weg.
Weg von diesem Häuschen, weg von Ventura. Weil mich meine Emotionen grad zu zerreissen drohten, unterdrückte ich sie. Ich versuchte einfach nichts zu fühlen. Ich musste nach vorn sehen und handeln - jetzt gleich.
In den alten Reiserucksack meines Vaters packte ich unser weniges Geld und meinen zweiten und dritten Satz Klamotten. Ich durchwühlte die Vorräte nach idealen Lebensmitteln und stopfte diese ebenfalls dazu. Den Ring band ich an eine Schnur und hängte ihn mir um den Hals. Fukano folgte mir auf Schritt und Tritt, während ich in der Hütte umherwuselte.
Ich war wahrscheinlich verrückt geworden. Ja natürlich, wer sonst würde einfach abhauen, wenn er die eigenen Eltern tot vorfinden würde?
Ich konnte womöglich bei dem Müller oder beim Bisofankhirten unterkommen, wenn ich mich darum bemühen würde. Doch das wollte ich nicht. Ich wollte weg von Ventura und herausfinden, was es mit diesem Ring auf sich hatte. Ich wollte wissen, ob er mich zum Mörder meiner Eltern führen können. Und vor allem wollte ich wissen, wieso man sie getötet hatte. Das ergab doch einfach keinen Sinn.

Mit dem riesigen Rucksack am Rücken und einer Wolldecke unter dem Arm stand ich vor der Hütte, in der ich mein ganzes Leben verbracht hatte. Ich starrte auf die hölzerne Fassade und überlegte mir, ob ich wirklich nicht übergeschnappt war. Es war durchaus eine blöde Idee, einfach loszuziehen. Aber ich hätte es keine Stunde länger in diesem Haus ausgehalten. Und ich würde es auch nicht mehr lange in Ventura selbst aushalten.
Fukano schmiegte sich tröstend an mein Bein und stupste mich mit seiner Nase an. Als ich hinabschaute, bemerkte ich, wie traurig mein Kumpel aussah. Natürlich, schliesslich hatten Mum, Dad und Sichlor auch zu seiner Familie gehört.
Ich streichelte ihm sanft über den Kopf. Sein Fell war flauschig und warm, so vertraut.
"Danke, Buddy", sagte ich leise. "Du bist der Beste, weisst du das?"
Fukano bellte leise.

Wir gingen langsam die Pflastersteinstrasse hinunter und ich versuchte, so viel wie möglich von dem Dörfchen in meinem Kopf einzuprägen. Ich hatte nämlich nicht vor, wieder hierher zurückzukehren.
Was würden die Nachbarn tun, wenn sie Mums und Dads Leichen finden würden? Würde sich irgendjemand dafür interessieren, wer Mr. und Mrs. Cartwright umgebracht hatte? Würde man mein Verschwinden überhaupt bemerken?
Am Teich neben dem Haus der Schneiderin blieb ich stehen. Sogar im schwachen Sternenlicht erkannte ich, wie übel ich aussah. Mein schmales Gesicht war schmutzig und ich hatte deutlich sichtbare Augenringe, meine kastanienbraunen Haare standen in alle Richtungen ab. Ich trug meine dreckigen Arbeitslumpen und wirkte vermutlich wie ein verängstigter Betteljunge. Was ich ja gewissermassen auch war.
Und ohne noch ein mal darüber nachzudenken, drehte ich meiner Heimat den Rücken zu und ging nach Süden, den Bronzering an meiner Brust und eine lodernde Glut im Herzen.

20.11.16

Golden Fire - Eine Pokémon FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt