Prolog

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"She was a taker, you need a giver."
- Queenie, Fantastic beasts

1926, New York

Liebe Leta,
ich weiß selbst nicht, warum ich dir schreibe. Ausgerechnet jetzt, nach all den Jahren. Nein, warte, eigentlich weiß ich es ganz genau. Weil wieder ein Jahr vergangen ist und ich noch immer an dich denken muss. Auch wenn wir uns einig darüber waren, dass wir uns nichts mehr zu sagen hatten, nachdem, was geschehen ist, wissen wir doch, dass es eine Lüge war.
Es gibt so Vieles, was ich dir hätte sagen können, auch wenn ich sicher nie die richtigen Worte gefunden hätte. Ich bezweifle, dass das diesmal der Fall sein wird, doch ich möchte es versuchen.
Noch bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich dir diesen Brief wirklich zusenden werde oder nicht. So wie ich mich kenne, werde ich es nicht tun. Ich werde diesen Brief schreiben, ihn besiegeln, doch anstatt ihn meiner Eule auszuhändigen, werde ich ihn verstecken, in meinem Koffer, dort, wo auch dein Bild ist.
Das Bild...ich glaube, du weißt nicht mal von welchem Bild ich spreche. Ich habe es dir nie gezeigt, bloß für mich behalten, wie ein Geheimnis. Witzig, nicht? So als hätte ich damals schon gewusst, dass dieses Bild irgendwann das einzige sein würde, was ich von dir übrig hätte. Das einzige, das du mir lassen würdest. Nur kam irgendwann schneller als ich es mir gewünscht habe. Vielleicht hänge ich deswegen ja so sehr daran, weil du mir so plötzlich entrissen wurdest.

Jedenfalls, Leta, gibt es da dieses Bild, das immer wieder meinen Blick erhascht, so wie auch heute. Ich nehme es dann immer in die Hand, weil ich einfach nicht anders kann. Ich kenne das Bild in und auswendig, so oft habe ich es schon betrachtet. Dennoch verfehlt es nie dabei, mich durcheinander zu bringen. Das ist diese Wirkung, die du immer auf mich hattest und hast.

Es ist ein altes Bild, viele Jahre alt und doch fühlt es sich immer so an, als hätte ich es erst gestern aufgenommen. Das farblose Bild trägt die Vergangenheit an sich wie eine zweite Haut, als könnte man es nie einfach so flüchtig anschauen und nichts dabei fühlen. Und ich fühle alles wie beim ersten Tag.

Ich wäre ein Lügner, wenn ich behaupten würde, ich hätte nicht darüber nachgedacht, es loszuwerden. Das habe ich nämlich, mehrere Male.

Wenn ich mir eingeredet habe, ich könnte die Vergangenheit loslassen, ich bräuchte sie nicht mehr und es wäre Zeit - endlich Zeit -hinwegzukommen. Doch, um ehrlich zu sein, so habe ich immer gewusst, dass ich es nicht ernsthaft tun würde. So sehr hänge ich daran.

Falls du noch nicht selbst darauf gekommen bist, so möchte ich dir verraten, wovon ich spreche. Es handelt sich um ein Foto von dir. Natürlich von dir, immer nur von dir, was sonst könnte es sein, nicht wahr?

Ich habe es nicht sehr lange bevor es passiert ist gemacht. Nach den Weihnachtsferien in der sechsten Klasse, den magischen Fotoapparat hatte mein Bruder mir gerade geschenkt. Ich weiß noch, wie ich irgendeine Ausrede gefunden habe, um dich fotografieren zu dürfen. Irgendwas von wegen, dass ich ihn noch nicht ausprobiert hatte, was eine lahme Lüge gewesen war, weil ich bereits die Bowtruckles in unserem Garten fotografiert hatte. Ich bin mir sicher, du hast das gewusst. Natürlich hast du es gewusst, schließlich kannte - kennt - mich kein anderer Mensch so gut wie du. Aber du sahst so schön aus an dem Tag, wie immer froh wieder in Hogwarts und weg von deiner Familie zu sein, dass ich dein Lächeln festhalten musste. Dein seltenes, schönes Lächeln, das ich heutzutage mehr denn je verdamme.

Wenn ich es ansehe, so viele Jahre danach, dann macht es mich traurig.Weißt du den Grund, Leta? Würdest du es verstehen?
Das sind Fragen, die ich nicht beantworten kann und wahrscheinlich will ich auch gar keine Antwort darauf. Egal was, es würde weh tun. Du hast mir weh getan, so sehr, dass ich danach nicht mehr ganz derselbe gewesen bin. Du hast mich dazu gebracht, mich noch weiter zurückzuziehen von den Menschen, ein einsames Leben zu führen.

Nicht, dass ich mich beschweren möchte, ich mag mein Leben. Ich habe die magischen Geschöpfe immer den Menschen vorgezogen. Mit einer Ausnahme, natürlich. Doch manchmal wünsche sogar ich mir, es gäbe da jemanden in meinem Leben. Jemand, der mit mir reden würde, der mir helfen würde, der einfach da wäre. So wie du, bis du entschlossen hast, mir all das zu nehmen.

Wieso kann ich das Bild denn dann nicht loswerden?

Noch etwas, das keiner an mir verstehen kann.
Vor nicht allzu langer Zeit, musst du wissen, habe ich einen Legilimentor getroffen, du weißt schon, die, die in deinen Kopf eindringen und all deine Gedanken lesen können. Sie hat mich dabei erwischt, wie ich dein Bild angeschaut habe, mal wieder, sie hat dich in meinen Gedanken gesehen. Sie hat uns gesehen.

Uns.

Sie hat etwas über dich gesagt, was ich hier nicht wiederholen möchte, weil ich dich trotz allem nicht verletzten kann.
Würde es dich verletzten? Ist es überhaupt wahr? Ich weiß es nicht. Manchmal sehe ich die Dinge so, wenn ich wirklich wütend auf dich bin und ich bin oft wütend auf dich, dass ich dein Bild am liebsten verbrennen würde, dich für immer aus meinem Leben verbannen, weil ich mir einrede, dass du es verdient hättest. Du hast mehr von mir genommen - so verdammt viel hast du genommen.

Doch dann wiederum, was weiß sie schon? Sie hat etwas in meinen Gedanken gesehen, was sie nicht versteht.

Sie versteht nicht, was du für mich gewesen bist. Niemand könnte das.

Dass du wie ich warst, beide Außenseiter, die sich unter Menschen nie wohl gefühlt haben. Bis wir uns gefunden haben und es nur noch uns gab. Wir und die magischen Geschöpfe, die uns Beide so sehr fasziniert haben, die uns verbunden haben, so wie wir nie gedacht hatten, dass wir jemals zu einem anderen Menschen verbunden sein würden.

Du hast mich verstanden, Leta.

Meine Unsicherheit bei anderen Menschen, meinen Ehrgeiz für die falschen Dinge, wie alle immer über mich zu sagen pflegten. Meine Ängste und meine Träume, das alles hast du verstanden. Du hast mich gesehen, als der, der ich bin. Newt Scamander. Bis heute habe ich nicht nochmal jemanden getroffen, der das tut, ich bezweifle, dass ich das werde. Niemand ist wie du, das ist das Problem.

Ich fürchte, ich im Gegenzug hab dich nie ganz verstanden. Das zumindest hast du immer behauptet. Der Grund dafür warst du. Ich glaube, du hast dich mehr vor menschlichen Beziehungen gefürchtet als ich, weswegen du selbst für mich ein Stück weit noch das geheimnisvolle Slytherin-Mädchen mit dem Namen Leta Lestrange bleiben wolltest, für die dich alle in Hogwarts gehalten haben.

Aber ich habe dich gesehen, Leta. Unglaubliche, faszinierende Leta. All das Licht und all den Schatten, schön und voller Makel. Ein Mädchen voller Überraschungen, unglaublich süß und bitter zugleich. Der Sturm und die Ruhe in einem.
Ja, ich habe dich gesehen, Leta. Und ich habe dich geliebt. So sehr.

Oft denke ich, dass genau diese Liebe das zwischen uns kaputt gemacht hat. Dass es einfach zu viel war. Zu viel für dich, um damit umzugehen. Manchmal jedoch, wenn ich dich so sehr vermisse, dass ich fast vergesse, was du mir angetan hast und ich mich dazu zwingen muss, daran zu denken, um nicht nach dir zu suchen, dann kommen mir andere Gedanken. Dass der Schatten in dir, der von Anfang an da war, den ich in dir gesehen habe, ihn sogar faszinierend gefunden habe, schließlich über das Licht Oberhand gewonnen hat. Bis er dein unverwechselbares Strahlen schließlich ganz auslöschte, dich zerbrach, bis du gar nicht anders konntest, als dasselbe mit mir zu tun.

In Liebe,

Dein Newt Scamander

A Taker (Newt Scamander)Where stories live. Discover now