Kapitel 5

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„Sie können gleich reingehen, der Herr Doktor erwartet Sie bereits."

Henry setzte das bestes Fakelächeln auf, welches er zustande brachte und ging an der ganz in weiß gekleideten Sekretärin vorbei. Er wollte nicht hier sein, während der gesamten Zugfahrt hatte sich alles in ihm dagegen gesträubt auch nur einen Fuß in die Klinik zu setzen. Jedoch hatte er keine Wahl, die monatlichen Besuche bei seinem Psychiater standen nicht zur Diskussion.

Höflich grüßte er Dr. Hauser und ließ sich dann auf seinem gewohnten Platz auf der Couch nieder.

„Guten Tag, Henry. Schön dich wieder zu sehen." Henry hoffte, dass sein Gesichtsausdruck nicht zu deutlich verriet, wie wenig es ihn freute den Doktor zu sehen.

„Wie ist der letzte Monat verlaufen? Hattest du viele Aussetzer?", begann Dr. Hauser wie jedes Mal die Sitzung.

„Ich hatte insgesamt vier Aussetzer, wobei sie unterschiedlich stark waren." Dr. Hauser notierte sich das Gesagte und blickte dann wieder Henry aus wässrigen Augen an.

„Das ist häufiger als normalerweise. Ist im letzten Monat etwas Dramatisches passiert?", bohrte der Doktor auf ruhige, aber bestimmende Weise nach.

„Nein, mir geht es prima. Es könnte eigentlich nicht besser laufen.", antwortete Henry der Wahrheit entsprechend. Als Dr. Hauser sich die Brille von der Nase nahm und mit der anderen Hand seine Augen rieb, wusste Henry schon was kommen würde und lehnte sich in einer abwehrenden Haltung nach vorne.

„Henry, du weißt doch, du sollst deine Gefühle nicht verdrängen. Mit mir kannst du offen reden." Henry schnaubte gereizt und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich BIN ehrlich zu Ihnen. Weder verstecke, noch verdränge ich meine Gefühle. Mir geht es gut.", sagte Henry bestimmt und musste sich bemühen seiner Aussage nicht zu viel Schärfe aufzuerlegen.

„Und wieso hast du dann so viele Aussetzer gehabt?" Der Doktor redete mit ihm als wäre er ein kleines Kind, das belehrt werden musste.

„Weil es Noah schlecht geht.", antwortete Henry genervt.

„Weil es DIR schlecht geht.", korrigierte der Doktor, worauf ihn Henry mit einem wütenden Blick strafte.

„Nein mir geht es blendend. IHM geht es schlecht.", erwiderte Henry, der sich nur zu gerne auf das Spiel des Doktors einließ. Genugtuung stieg in ihm auf als sein Psychiater verzweifelt aufseufzte und sich ans Nasenbein griff.

„Müssen wir wirklich wieder damit anfangen?"

„Ja.", sagte Henry bestimmt und setzte sich auf.

„Woher wollen Sie wissen, dass er nicht real ist?"

„Weil die Stimme aus deinem Kopf kommt." Henry sah an dem zuckenden Augenmuskel des Doktors, dass er alles andere als froh darüber war, diese Unterhaltung erneut mit Henry führen zu müssen. Doch das war ihm egal.

„Das können Sie theoretisch auch nicht wissen. Sie können weder das eine noch das andere bestätigen, doch Sie schließen eine der beiden Möglichkeiten grundlos von vornherein aus."

„Henry, es ist einfach nicht möglich, dass Noah real ist. Du bist krank und..." Henry fiel ihm gereizt ins Wort.

„Wissen Sie was auch unmöglich ist? Dass ich Dinge während meines Aussetzers höre die ich gar nicht wissen kann. Fakten, die ich noch nie im Leben gehört habe über Dinge die mich gar nicht interessieren!" Henrys Stimme war immer lauter geworden, nur mit Mühe konnte er verhindern vor Wut aufzuspringen und einfach zu gehen.

Dear Henry (BoyxBoy)Where stories live. Discover now