Die Außenwelt II

2.4K 125 0
                                    

David lächelte ihr entgegen und öffnete Scarlett das Tor. "Hey, na, wie war das Training?" "Hey, naja. Ich glaub Cooper und Melissa brauchen noch bisschen bis sie's hinkriegen. Das war heute noch nicht so gut." David nickte. "Hoffentlich kriegen sie es gar nicht hin, damit du die Rolle bekommst." Scarlett verdrehte die Augen, dann griff sie nach seiner Hand. David lächelte sie kurz an, dann gingen sie los. "Du wirst doch in zwei Wochen achtzehn, feierst du?" Scarlett nickte. "Schon, aber das wird nichts Großes." David erwiderte nichts.
Sie schlenderten nebeneinander die Straße entlang Richtung Innenstadt. Scarlett betrachtete fasziniert die alten Häuser, die links und rechts von der Straße aufragten. Sie hatten Balkone mit kunstvoll verschlungenen Eisenbrüstungen, über den Eingängen waren Fratzen eingemeißelt, die bei Nacht mit Sicherheit gruselig aussahen und an den Ecken ragten elegante Wasserspeier in die Luft. Es war eine traumhafte alte Straße. Beinahe vergaß Scarlett David neben sich, während sie verzückt die Architektur musterte. Aber dann spürte sie immer wieder Davids Blick, der sie von der Seite ansah und zurück in die Gegenwart holte. Nachdenklich, liebevoll, aufmerksam. So vertraut und nach der langen Zeit doch wieder seltsam und fremd. Noch dazu wusste sie nicht recht, was sie mit ihm reden sollte. Einerseits gab es tausend Dinge, über die sie hätten sprechen können, andererseits war sie noch nicht so weit, ihm wieder ihre innersten Gedanken anzuvertrauen. Ihr Gehirn schlug noch Purzelbäume. Irgendwann erreichten sie einen weiten Platz. In der Mitte stand ein alter Kirchturm, der ähnlich reich geschmückt war, wie die alten Häuser. Von dem Platz zweigten vier Straßen ab. Auf der einen waren die beiden gerade gelaufen. David wandte sich nach links. "So, jetzt sind wir auf der größten Einkaufsstraße, die es in diesem Kaff gibt. Schau dich ruhig um." Scarlett sah ihn mit großen Augen an. Das hatte sie jetzt nicht erwartet. Er ging doch tatsächlich mit ihr shoppen. 
In den nächsten zwei Stunden schleifte Scarlett David von einem Geschäft ins nächste. Sie konnte das Internat, in dem ewige Disziplin herrschte mal für einen Moment vergessen und das tat ihr gut. Selbst die Abschlussprüfungen, die für sie in wenigen Tagen beginnen würden, rückten für einen Moment in den fernen Hintergrund. Sie fühlte sich ganz normal, nicht wie eine zarte Ballettmaus. 
Es war halb sieben als David sie schließlich zurück brachte. "Das war schön heute." ,stellte er fest. Scarlett nickte. Mehr oder weniger. Sie hatte das Einkaufen sehr genossen, aber eine gewisse Distanz zwischen ihnen hatte einfach nicht verschwinden wollen. Am Tor angekommen hob David noch kurz die Hand, dann drehte er sich ohne eine weitere Verabschiedung um und ging.
Verwirrt blieb Scarlett einige Sekunden stehen und starrte ihm nach, dann lief sie zurück in die Ballettschule. Was war denn schon wieder falsch mit ihm? 

on Pointe Shoes (fertig und überarbeitet)Where stories live. Discover now