ACHTUNDFÜNFZIG

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Kren hing in seinem Kopiloten - Liegesessel. Er war ganz ruhig und ausgeglichen; zumindest versuchte er, sich das einzureden. In der Raumzentrale der Marsstation fieberten Nadine, Jenny, Anh und Barbara dem kommenden Ereignis entgegen. Aber noch eine Person war dabei: "Tayna", die Abiturientin, Tochter der beiden hoch dekorierten Kontakter erster Klasse.

Siebzehn Jahre waren seit ihrer Rückkehr vom Schöpfer vergangen.  Kren musste noch immer lächeln, wenn er sich der 'Coming Home Party' erinnerte, die sie mit ihren alten Freunden gefeiert hatten. Aus dem Abschied für immer war eine Trennung für etwas mehr als neun Monate geworden, was alle sehr genossen. Einmal im Monat trafen sie sich, um die Memoiren an ihre Jugendzeit aus der Holothek zu kramen.

Ein bisschen widerwillig wandte er seine Gedanken der Gegenwart zu. Die großen Raumfahrt - Rassen hatten die technologisch rückständigen Menschen unter ihre Fittiche genommen. Und heute sollte es nun so weit sein.
Die Menschheit würde in den Kreis der Hyperraumreisenden aufsteigen.

Eigentlich hatte niemand damit gerechnet, dass die Teloni und die Pr'aksi ihre Geheimnisse so bereitwillig mit den Menschen teilen würden, wie sie es getan hatten. Aber sie hatten ihre Technologien nicht einfach verschenkt, sondern nur an den richtigen Stellen Hilfestellung gegeben, was die irdische Kreativität stark aktivierte, sodass die Erfindungen und Entwicklungen nur so purzelten.

Kein Jahrzehnt in der Geschichte der Menschheit war von so vielen Erkenntnissen, Erfindungen, Erfolgen gekennzeichnet gewesen, wie das gerade vergangene. Und wie nicht anders zu erwarten, hatten die Schüler gelegentlich ihre Lehrmeister überflügelt, hatten Lösungen entdeckt, die den Außerirdischen bisher entgangen gewesen waren.

* * *

Der Andruck des Starts traf Kren und den Hauptpiloten Boris, trotz aller Vorbereitung und Konzentration, wie ein riesiger Hammer. Die Rippen schienen bersten zu wollen, die Lungen zu platten Klumpen zu verkleben. Jeder Atemzug jagte Magma durch die gequälten Körper, ließ die verformten Augäpfel weiter aus ihren Höhlen treten, während sich die Wangen in den Nacken zurückzuziehen schienen.

Urplötzlich war der Andruck verschwunden und die Beiden fühlten sich, als würden sie im nächsten Augenblick nach vorn schießen und aus dem Gleiter geschleudert werden.
"Gnnnrhnnh!", sagte Kren.
Boris antwortete mit einem "Grrrknnngnkr!" Dann verstummten beide wieder.

Der Miniraumer schoss dahin, dem Rand des Sonnensystems zu. Wie lange es dauerte, bis die Körper der beiden Raumfahrer wieder halbwegs normal reagierten, konnte später keiner von ihnen angeben. Dennoch war irgendwann der Moment da, in dem sie sich wieder wo weit in der Gewalt hatten, dass sie die Gurte lösen konnten.

Kren setzte sich auf und schwebte der Wand entgegen.
"Mist!", jammerte er, "warum klappt das nicht?"
Boris grinste ihn breit an und löste seinen Haltegurt. Er hielt sich mit einer Hand fest und drückte mit der anderen auf einen Knopf.

"Wie kann ich euch helfen?", samtete eine Frauenstimme.
"Schwerkraft!", schnaufte der immer noch schwebende Kren. "Aber nicht ..." weiter kam er nicht, denn die abrupt eintretende Anziehung schleuderte ihn zwischen die Sessel.

Boris erhob sich und schlenderte zur Steuerkonsole. "Du solltest deine Kommandos ein bisschen genauer formulieren. Sie werden verzögerungsfrei befolgt, weißt du?" Er betätigte einen Schalter, woraufhin die Sessel sich zu den Konsolen bewegten und dort zu Formsitzen wurden, optimal für die Steuerung eines Raumschiffes eingerichtet.

Boris half seinem Kameraden auf die Beine. "Alles ok?", fragte er, noch immer ein bisschen vor sich hin grinsend. Kren rieb sich die Schulter, die gegen die Armlehnen geprallt war und schlenkerte mit den Armen. "Geht so."

Nun endlich konnten sie die Kommunikation mit der Marszentrale wieder aufnehmen. Kren strahlte, als ihm Frau und Tochter vom Monitor aus entgegenlächelten.
"Teil eins haben wir hinter uns", hob er an, wurde aber von Boris unterbrochen. "Nur die Landung hat nicht so geklappt." Er wirbelte, wild mit den Armen flatternd, durch die Steuerkabine. Dann ließ er sich plötzlich zu Boden fallen und stieß ein schauriges "Kraaaaaks!" hervor.

Die Frauen lachten kurz auf, verstummten aber schnell, als sie Krens ärgerliches Gesicht sahen. Anh schaute zur Seite. "Wie lange noch?", murmelte sie versonnen.
"Nach dem Abendbrot, denke ich." Boris war ein zu schnell gewachsenes Kind, ein Hanswurst im Körper eines Taigabären. Er war bekannt und auch ein bisschen berüchtigt für seine verrückten Späße und überbrandenden Scherze.

"Das dauert ja noch ..." Tayna sah enttäuscht aus.
"Dann sucht euch doch etwas zu tun!", schimpfte Kren, halb im Scherz.
"Wir melden uns, wenn die heiße Phase naht", heulte Boris, wie ein außer Kontrolle geratener Ghoul. Dann sprang er zu seinem Sitz, ließ sich hinein fallen und unterbrach die Verbindung.

Er ließ den Sessel rotieren und jaulte dazu: "Sterne, Nebel, Galaxien! Wartet nur, bis wir erscheinen!" Kern trat von hinten an ihn heran, stoppte die Drehung mit etwas Kraftaufwand und klebte dem üblen Sänger ein großes Pflaster auf den Mund, das er heimlich dem Sanitätsfach entnommen hatte.

"Mhmm mm, mmm hmmm, ..." Boris verstummte und riss sich den Klebestreifen von den Lippen. "Kulturbanause!", schimpfte er.
"Lass uns die Routineprüfungen machen!", lenkte Kren ab. Sie versanken in konzentriertem Schweigen, testeten, schalteten, simulierten, notierten, ...

* * *

Diese Reise würde in doppelter Hinsicht eine Premiere sein. Nicht nur die Impulstriebwerke des Gleiters waren eine fast vollkommene Neuentwicklung, sondern auch die gesamte Steuerung mit ihren biokybernetischen Schaltungen nach Art der Pr'aksi, sowie den nanokristallinen Strukturen, die aus Telonischen Modulen gezüchtet worden waren.

Diese Zusammenarbeit hatte ihren Niederschlag auch im Namen des winzigen Schiffes gefunden: "Pr'akonia Hum'in". Ja, auch die Yemn'In hatten ihren Anteil am Projekt. Sie hatten fast die gesamte Entwicklungsarbeit finanziert. Ohne sie hätte es diese Mission nicht gegeben.

Die Zentrale der irdischen Raumbehörde hatte festgelegt, dass an Bord der Pr'akonia Hum'in ein zwölfstündiger Tag-Nacht-Rhythmus gelten sollte, wie ihn die Menschen gewohnt waren. So kam es, dass die beiden Raumreisenden tatsächlich gerade beim Abendessen saßen, als die Schmeichelstimme des Bordcomputers ertönte.
"Bitte begebt euch zu euren Stationen, der Test beginnt in X plus fünfzehn!"

Boris nahm einen hastigen Schluck von seinem Tee, während Kren sich noch schnell eins dieser leckeren kleinen Gebäckstücke in den Mund schob, die sein russischer Kamerad für ihn synthetisiert hatte. Sie recycelten die Reste, reinigten sich und saßen pünktlich in ihren Sesseln.

"Der Countdown beginnt. Zehn, Neun, Acht, ..." Nun wurde den beiden Helden doch ein wenig mulmig zumute. Zumindest Kren hatte derartiges ja schon erlebt, aber das hier war ... ganz anders. Das war ...

"Sprung!", gab der Computer bekannt.
'... Menschenwerk', dachte Kren noch. Dann schaute er sich verdattert in der Kabine um, begegnete Boris' verstörtem Blick.
"Was ist los?", japste der. "Ist irgendwas schief gegangen? Warum springen wir nicht?"

Der Bildschirm erhellte sich und es erschien der Kopf einer Telona.
"Herzlichen Glückwunsch zum ersten Hyperraumsprung in einem irdischen Schiff!"
Neben ihr erschien das spitze Gesicht eines Yemn'Inu, der sich den Glückwünschen anschloss.

Auf dem Monitor vor dem Boris saß, erschienen zwei Pr'aksi. Beide nickten und sagten:
"Willkommen im Kreis der Raumfahrenden!"

Die beiden Menschen waren baff. Sie hatten vollkommen unbemerkt eine Strecke von elf Lichtjahren zurückgelegt. Boris betastete seinen Schädel, als erwarte er das Einsetzen des Jetlags.

In Krens Hirn aber erklang eine leise Stimme:
"Vorgang aufgezeichnet. Archiv komplett."


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