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Ich durchbreche schreiend die Wasseroberfläche; meine Hüfte brennt von dem unsanften Aufprall.

Das kalte Wasser rauscht, als ich, schwer vom Fall, bestimmt einige Meter in rasendem Tempo nach unten zische.
Orinentierungslos trete ich Wasser, versuche verzweifelt, wieder nach oben zu gelangen, doch ich kann nicht schwimmen.

Nein, es bringt nichts, außer dass meine Energie noch schneller schwindet. Und ich will gar nicht mehr kämpfen, nur noch aufwachen und feststellen, dass dies nur ein schrecklicher Albtraum ist.

Doch das Wasser fühlt sich so an, als würden mich tausend Messer auf einmal attackieren, und es ist viel zu real, viel zu schmerzhaft, als dass es ein Traum sein könnte - oder?

Ich versuche, die Augen zu öffnen, und blinzle vorsichtig. Sie brennen von dem Wasser, doch ich kann irgendwo über mir Lichter erkennen.
Lichter, die just in diesem Moment erlischen.

Schwärze umgibt mich.

Ich presse die Lippen aufeinander, um kein Wasser einzuatmen, doch das ist alles andere als leicht.
Mein Herz pocht leise und schnell in meiner Brust, und ein einziger Gedanke beherrscht mich.

Du wirst sterben.

Merkwürdigerweise bin ich ganz ruhig, fast schon gleichgültig. Ich spüre das kalte Wasser nicht mehr, denn alles ist taub. Meine dunklen Haare streichen über mein Gesicht, kitzeln meine Nase.
Ich sinke, werde schwächer. Alles fühlt sich so leicht an, so schwerelos.

Ich denke an James.
Mein lieber Bruder, gleich bin ich bei dir. Wir sehen uns im Himmel.

Das Schiff knarzt furchterregend, doch ich erschrecke mich nicht. Es sinkt jetzt ebenfalls, wird in sein nasskalten Grab gezogen, wie ich.

Ich spüre mein Herz, das immer langsamer und leiser pocht. Es flattert fast nur noch, wie die Flügel eines jungen Vogels an einem Sommertag.

Meine Lungen schmerzen. Instinktiv hole ich Luft - doch natürlich atme ich nur Wasser ein.

Mein Herzschlag donnert in meinen Ohren, füllt mich komplett aus. Ich brauche Luft, nichts als Luft, doch sie ist mir nicht vergönnt.

Für einen Sekundenbruchteil bin ich leicht und zufrieden, dann umgibt mich wieder das eiskalte Wasser.

Leicht.

Wasser.

Leicht.

Ich reiße ein letztes Mal die Augen auf, ein Ruck geht durch meinen Körper.

Verzeiht mir, Mutter und Vater.

Und dann ist alles ganz schwerelos.

SinkWhere stories live. Discover now