Zusammenbruch

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„Wenn wir hier fertig sind, werde ich auf der Stelle gehen. Und dann komme ich nie wieder zurück. Dann musst du nie mehr die Verbindung zwischen uns hinter Feindseligkeit verstecken oder Abscheu. Und auch deine dunkelste Seite musst du nicht länger verabscheuen, die mir zugetan ist, trotz allem, was ich getan habe. Dann bin ich fort.“ Klaus ging einen Schritt auf mich zu und sprach weiter, ich musterte ihn einfach abwartend und immer noch ein wenig geschockt. Was sollte ich ihm sagen, wenn er eine Antwort wollte? „Und dann bist du frei.“ Er sah mich kurz schweigend an, dann holte er tief Luft und betrachtete mich schon beinahe flehend aus seinen grünen Augen. Verdammt, diese Augen. „Ich will...nur, dass du ehrlich zu mir bist.“
Ich schwieg kurz. Wie sollte ich mich jetzt rausreden? Ich war verloren, wenn ich jetzt ein falsches Wort sagte. Entweder würde ich meine Selbstbeherrschung verlieren oder...richtig, was war das Oder an der Geschichte? Mir fiel nichts ein, also konzentrierte ich mich lieber auf das Gespräch. „Ich gehe aufs College. Ich baue mir gerade ein Leben auf. Ich habe Pläne und eine Zukunft und Dinge, die ich will und Sie kommen in nichts davon vor, okay, in gar nichts“, versuchte ich ihm klar zu machen. Das Problem war nur, dass es teils gelogen war. Aber begriff er das?
„Verstehe“, erwiderte er und nickte leicht. Er hatte mir das abgekauft? Gut zu wissen. Aber warum protestierte innerlich alles von mir dagegen, dass er das so verstand? Wollte ich das nicht immer so? Nein, eigentlich nicht. Ich wollte, dass er versteht, ja. Aber nicht, dass er denkt, ich wollte ihn nicht in meinem Leben. Das wollte ich höchstens mir selbst einreden. Warum wurde mir das erst in genau diesem Moment klar?
„Nein, tun Sie nicht. Weil ich...ja, ich verstecke unsere Verbindung hinter Feindseligkeit und ja, ich hasse mich zutiefst für die Wahrheit und wenn Sie mir versprechen, dass Sie einfach verschwinden und auch tatsächlich nie wieder kommen, dann ja, dann verrate ich Ihnen die Wahrheit, dann verrate ich Ihnen die Wahrheit-“, unterbrach ich ihn und war einen Augenblick über mein plötzliches Geständnis geschockt. Egal, jetzt war es zu spät, also setzten wir dem mal schnell ein Ende. Ich holte tief Luft und beendete meinen Satz. „Und sag Ihnen, was ich möchte.“
Eine Weile sahen wir uns einfach an, in den Augen des Urhybriden konnte ich nichts bestimmtes ausmachen. Es war unmöglich, ihn zu ergründen.
Auf einmal trat er einen Schritt vor, sein Blick wanderte über mein Gesicht, während er sprach, als müsste er sich jeden Gesichtszug genaustens einprägen. „Ich werde verschwinden und ich komme nie wieder...das verspreche ich.“
Mein totes Herz trommelte beinahe schmerzhaft gegen meine Brust, meine Atmung wurde flacher und mein Blick fiel auf seine Lippen. Wie rettete ich mich jetzt aus dem Dilemma?
Küss ihn. Innerlich verpasste ich mir eine. Niemals, dann würde ich mir selbst widersprechen. Andererseits...ich würde ihn nie wieder sehen... Nein, Halt, stopp. Care, lass den Mist. Konnte die Vernunft nicht einmal die Klappe halten? Ich riss meine Augen von seinen Lippen los und sah ihm in die Augen. Er beobachtete jede meiner Regungen und wirkte irgendwie verunsichert und nervös auf mich. Sah schon süß aus. Caroline! Klaus ist niemals süß, Klappe jetzt. Sein intensiver Blick durchbohrte mich und ich hatte das Gefühl, als könnte er auf den Grund meiner Seele blicken. Creepy. Eindeutig. Unbewusst wanderte mein Blick wieder zu seinen Lippen. Wie sie sich wohl anfühlten... Nein, ich durfte solche Gedanken nicht einmal haben. Also lieber nicht. Ich sah wieder auf, in mir rebellierte alles. Einerseits wollte ich ihn endlich küssen, andererseits wollte ich nicht urplötzlich nachgeben und meine eigenen Worten Lügen strafen. Aber warum sollte ich nicht einmal Egoist sein? Ständig taten die anderen Dinge, die nur für sie selbst gut waren und ich sollte immer das tun, was für alle richtig war. Das hier wäre in keinster Weise richtig und wenn überhaupt nur gut für mich. Ach verdammt, einmal im Leben darf man doch wohl Egoist sein.
Ich machte einen Schritt auf ihn zu und atmete noch einmal tief durch. Was konnte schon passieren? Außer das ich ihm endgültig verfallen konnte oder...verdammt, gab es denn nichts Gegenteiliges? Warum fiel mir in solchen Fällen nie etwas ein?
„Gut“, brachte ich schließlich nur hervor und presste meine Lippen einfach auf seine. Und ab da wusste ich, dass es zu spät war. Ich konnte es leugnen wie ich wollte, es war der Wahnsinn und hatte wahrscheinlich meine Ansprüche jetzt schon um das Zehnfache erhöht.
Ich ließ kurz von dem Urhybriden ab, mein Puls raste, meine Haut kribbelte, als würde sie in Flammen stehen. Klaus jedoch begann einfach nur zu lächeln, das glücklichste Lächeln, das ich je bei ihm erleben durfte. Wer weiß, wann er das letzte Mal richtig glücklich war – man würde es wohl nie erfahren. Wahrscheinlich wusste er das selbst nicht einmal.
Unbewusst begann ich auch zu grinsen und für ihn war das genug, um fortzufahren. Na gut, nach bestimmt zwei Jahren hatte er sich das verdient... Doch selbst in dem Rausch, in den ich nun hineinrutschte, wurde mir klar, dass ich ihn nach heute wahrscheinlich ewig nicht mehr sehen würde.

Ich riss die Augen auf, Tränen tropften auf mein Kissen und ich sah mich in meinem Zimmer um. Dieser Kerl hatte mich innerlich zerrissen. So ein Idiot, wie konnte er nur. Hätte ich ihn niemals geküsst, hätte ich jetzt nicht ständig diese Flashbacks im Schlaf. Jedes Mal ein anderer Moment, diesmal unser letztes Treffen. Okay, ehrlich gesagt war ich ja auch zum Teil selbst dafür verantwortlich – immerhin hatte ich ihn geküsst, nicht umgekehrt.
Ich fuhr mir verzweifelt durch die blonden Locken und sah aus dem Fenster. Der Vollmond hing als grelle Scheibe am Himmel und schien durch das Fenster, auf mein Bett. Der zwölfte Vollmond seit unserer letzten Begegnung. Erst jetzt merkte ich, dass ich zitterte. Vor Kälte sicher nicht. Ich tastete nach meinem Handy und suchte in der Kontaktliste nach Stefans Nummer. Dabei scrollte ich auch über seine Nummer hinweg, einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, ihn anzurufen. Nein, das wäre die falsche Entscheidung. Also scrollte ich weiter, bis ich den Namen meines besten Freundes las. Rasch wählte ich die Nummer aus und rief ihn an, ich betete, dass er abnahm.
Als er endlich dranging und ich nur ein verschlafenes „Was ist denn, Care?“ hörte, setzte ich zum Sprechen an, doch stattdessen blieben mir die Worte im Halse stecken und ich schluchzte einmal. „Caroline?“, fragte Stefan erneut, diesmal wacher.
„Stefan“, erwiderte ich leise und mit gebrochener Stimme, ein weiteres Schluchzen entwich meiner Kehle.
„Ich bin gleich da“, versicherte er und legte auf. Ich hatte solche Zusammenbrüche schon öfters gehabt, teilweise auch tagsüber. Stefan kannte zwar den Grund nicht, aber er war trotzdem immer für mich da.
Ich ließ mein Handy kurz sinken, doch unwillkürlich scrollte ich wieder in der Kontaktliste hoch und stoppte schließlich doch bei seinem Namen. Ohne wirklich darüber nachzudenken, wählte ich seine Nummer und lauschte. Einfach seine Stimme hören, ihm vielleicht ein paar Vorwürfe machen. Irgendetwas musste ich einfach tun.
„Ja?“, ertönte es plötzlich, seine Stimme ließ meinen Herzschlag einen kurzen Moment aussetzen. Er hörte sich erschöpft an. „Liebes, ich höre dich atmen, warum rufst du mitten in der Nacht an?“ Nun klang er schon wacher und ernster, aber keineswegs wütend.
Ich bekam immer noch kein einziges Wort heraus und schluckte einfach nur schwer. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, außerdem vertraute ich meiner Stimme nach wie vor nicht.
„Ich meine es ernst, Caroline.“ Immer noch keine Verärgerung. Wie konnte er nicht sauer auf mich sein? „Wenn etwas passiert ist, solltest du reden.“ Stumm rannen mir Tränen an den Wangen hinab, zitternd klammerte ich mich an mein Handy. Wann war ich so schwach geworden, dass ich jetzt noch nicht einmal mehr mit ihm reden konnte? „Caroline?“, fragte der Urhybrid besorgt und ich konnte mir ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Er machte sich Sorgen. Um mich.
Einfach um nicht doch noch reden zu müssen, legte ich kurzerhand auf und schrieb mit zittrigen Fingern eine Nachricht an ihn, damit er nicht Hals über Kopf aufbrach. Ich war mir zwar nicht sicher, ob er das tun würde, aber riskieren wollte ich es nicht.
Mir geht’s gut. Tut mir leid.
Ich ließ mein Handy aufs Bett fallen und weinte unerbittlich, mein Herz schmerzte und ich zitterte am ganzen Körper, wie kleine Dolche bohrte sich der Schmerz in mein Herz und ich wünschte mir nur Erlösung davon. Schluchzend zog ich meine Beine an und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.
Als Stefan schließlich kam und mich an sich zog, mir beruhigend über den Rücken strich, atmete ich langsam wieder ruhiger. Der Vampir legte mein Handy auf den Schrank neben meinem Bett und ich sah hinüber, das Display leuchtete auf. Stefan schenkte ihm nicht weiter Beachtung, ich konnte jedoch jedes einzelne Wort lesen. Eine Nachricht von Klaus.
Solange es dir gut geht, ist alles weitere egal.
Ich lächelte schwach über seine Worte, dann fielen meine Augen zu und ich glitt in einen traumlosen Schlaf hinüber.

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