Kapitel 1

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Ich atme tief ein, fühle die Erde unter meinen Füßen, spüre die kühle Luft auf meiner Haut, beobachte wie mein Atem in kleinen Dampfwölkchen gen Himmel steigt. Mein Blick bleibt kurz am Himmelszelt hängen, bevor er wieder zu dem Wald, auf der anderen Seite der Schlucht, wandert. Unschlüssig über mein weiteres Vorgehen starre ich in diesen Wald. Soll ich gehen? Wurde mein Verschwinden bereits bemerkt? Würden sie mir sagen, was mir noch alles verschwiegen wurde, außer meiner Herkunft? Ein Rascheln reißt mich aus meinen Gedanken und lenkt meine Aufmerksamkeit auf ein unnatürliches Wesen.

Manche nennen es 'Dementor' oder 'Dämon'. Andere nennen es 'Sellenfresser' oder 'Die Angst vor der Angst'. Normalsterbliche können diese Wesen nicht sehen, nur spüren. Es ist ein Gefühl als würde man nie wieder froh, die Gedärme ziehen sich durch starkes Unwohlsein zusammen und den Betroffenen wird sehr kalt. Rettung kann bei diesen Wesen nur durch einen sogenannten Schutzgeist bewirkt werden, allerdings können diesen nur die 'Magischbegabten' durch einen Satz oder ein Wort der Macht herbei rufen.

Die schwebende Gestalt, welche in einen zerissenen Umhang gehült ist und das Gesicht unter einer Kaputze verbirgt ,kommt auf mich zu. Er spürt meine Lebensenergie und will sich an meiner Seele nähren. Ich schließe die Augen. Habe ich wirklich schon mit meinem Leben abgeschlossen? Gebe ich einfach meine Existenz auf? Ich spüre die zunehmende Kälte, das beklemmende Gefühl, welches durch den Dementoren hervorgerufen wird. Etwas regt sich in mir, windet sich, bäumt sich auf, kämpft. Und gewinnt. Ich machen einen Schritt an die Kante, weg von dem Seelenfresser.Die Schlucht ist tief, doch tief unten fließt ein Fluss.

Ich falle. Die Erinnerungen von meinem bisherigen Leben ziehen vor meinem inneren Auge vorbei. Was habe ich in all den Jahren getan? Ich habe mich dem Willen meiner Mitmenschen gebeugt ohne je dazu gehört zu haben. Ohne je wahre Freundschaft oder Liebe gekannt zuhaben. War es die richtige Entscheidung zu gehen? Immerhin war es sicher. Ich hatte Nahrung, einen Platz zum schlafen, Unterhaltungen, zwischenmenschliche Kontakte. Warum gehe ich jetzt? Ich hatte Familie, auch wenn es schwer war. Ich lernte jemanden kennen, aber war er echt? War er ehrlich zu mir? Hatte er interesse an mir um meiner Person willen oder um das mögliche Erbe?

Ich tauche in das eiskalte Wasser ein und werde von der Strömung weg gerissen. Meine Orientierung war gleich Null. Ich wusste noch nicht einmal, ob der Dementor mir gefolgt war oder er mir sogar noch immer folgt. Ich versuche noch nicht mal gegen die Strömung zu kämpfen. Das einzige was ich versuchte, war meinen Kopf über Wasser zu halten, damit ich nicht ertrinken würde. Adrynalien durchströmt mich und wärmt mich als würde Feuer durch meine Adern fließen und kein Blut. Irgedwie schaffe ich es nicht zu verrrecken, allerdings habe ich das Gefühl den halben Fluss inhaliert zu haben.

Kämpfe! Atme! Lebe! Überlebe! Sei endlich frei! Als ich aufwache ist mir verdammt kalt. Kein Wunder bei nassen Klamotten. Um mich herum zwitschern die Vögel. Es ist relativ warm und sonnig. Als ich mich weiter umsehe stelle ich fest, dass ich am Rand des Waldes stehe, den ich in der vergangenen Nacht beobachtet habe. Neugierde packt mich und zugeich bekomme ich Angst. Angst vor dem Unbekannten oder Angst vor einem Abenteuer? Oder ist meine Angst doch eher eine ungute Vorahnung?

Ich habe Hunger und das nicht gerade wenig, aber ich kenne mich nicht mit der Jagd oder ähnlichem aus. "Learning by doing" seufze ich. Bevor ich allerdings den Wald erkunde, spritze ich mir noch einmal Wasser ins Gesicht und betrachte mein Spiegelbild. Ich blicke hinab und erwarte wie immer gewöhnliche, stumpfe grün graue Augen, ein dumpfes Gesicht mit gelangweielten Gesichtszügen. Doch ganz so war es nicht. Meine Augen Strahlten und auf meinem Gesicht zeigt sich der Anflug eines Lächelns; angesichts der Abenteuer vermutlich. Durch Lufttrocknung ist mein dunkelblondes Haar etwas gelockt und voluminös. Meine dunklen Klamotten, welche ich für meinen Ausflug angezogen hatte, sind mittlerweile etwas getrocknet. Nur meine Füße beschweren sich, da meine Socken durch die schwarz roten Springer schlecht trocknen konnten.

DIe ersten Schritte fielen mir noch schwer im Wald. Ich schreckte alles auf, was man essen konnte, beziehungsweise was lebendig war. Zum Glück sind die Wesen auf die ich treffe bisher immer vor mir geflüchtet und haben sich dem Eindringling, der ich ja war, nicht gestellt. Ich gelange auf eine Lichtung mit grasenden Rehen. Mein Magen knurrt angesichts des potenziellen Fleisches. In Lauerstellung geduckt ziele ich mit meinem improvisierten Speer auf eines der schwächeren Tiere und pirsche mich langsam an diese heran.

Eine plötzliche Bewegeung am anderen Ende der Lichtung zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich verharre in der Hocke, geduckt im Gras und beobachte wie ein leibhaftiger Zentaur die Lichtung betritt. Die Rehe schienen ihn zu kennen, da sie sich von seiner Anwesenheit nicht stören ließen. Verunsichert von dem Erscheinen des magischen Wesens lege ich meine improvisierte Waffe vorerst bei Seite und verlagere mein Gewicht in eine bequemere Position.

Ich weiß nicht wie lang ich schon den Zentauren und die Rehe beobachte. Das Bild wirkt so friedlich; die Sonne die auf die von Bäumen und Sträuchern umrandete Lichtung scheint, auf welcher die zwei Zentauren den grasenden Rehen zusehen. (...) Moment, ZWEI?! Meine Gedanken rasen. Natürlich bin ich in einer Umgebung, in der ich noch nie war, ohne Schutz, Selbstschutz oder Waffen-Kenntnisse so vertieft in ein Bild, dass mich ein natürlicher Fressfeind oder die Zentauren mit Leichtigkeit hätten töten können. Langsam beschleicht mich das Gefühl, dass ich beobachtet werde. Also richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen vor mir und zucke zusammen.

Die Rehe waren weg, genau so wie die Zentauren. Wo zum Teufel sind sie? In dem Moment, als ich dies dachte, legte sich eine Hand auf meine Schulter. Ich zucke zusammen und drehe mich langsam um. Meine Augen weiten sich vor Schreck. Wie können sich solch massige Kreaturen so lautlos bewegen und dann noch so schnell? Als hätte ich meine Gedanken laut ausgesprochen antwortet eines dieser Wesen:"Wir sind Teil der Natur, wir sind Geschöpfe der Magie. Dieser Wald ist unsere Heimat. Was willst du hier Mensch?!" Das Wort Mensch betont er so kalt und feindseelig, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. "Bone, ein Mensch würde uns nicht sehen können. Außerdem hätte dieses Mädchen nie lebend die magische Schhutzbariere durchdringen können, ohne pulverisiert zu werden. Das heißt sie ist nicht einfach nur ein Mensch, so wie du es sagst." Bone, wie der andere Zentaur ihn nannte, schien zu überlegen. Als er grimmig nickte fiel mir ein Stein vom Herzen und ich begann wieder normal zu atmen. Allerdings hatte ich mich zu früh gefreut, denn als ich gerade ansetzten wollte um mich zu bedanken, greift er hinter sich und zieht eine Keule hervor welche er mir mit einem kräftgen Wumms über meinen Schädel zieht.

Mehr als nur ein sterblicher MenschDonde viven las historias. Descúbrelo ahora