gewollte Einsamkeit

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Sie lag da, angekettet an einen Pfahl am Rande des Marktplatzes auf einem hohen Podest. Ihre Beine waren wund, ihre Hände trocken und kalt. Sie leckte über ihre zerrissenen Lippen und spürte einen salzigen Tropfen an dem Rande ihrer Mundwinkel.

Eine Gänsehaut überkam ihre nackte Gestalt und sie umarmte ihren zierlichen Körper in der Hoffnung, die vertraute Wärme zu spüren. Vergebens.

Sie wollte singen, aber sie konnte und durfte ihren Mund nicht bewegen. Und selbst wenn...ihre weinende Stimme würde unter den laut lästernden Lachen des Volkes untergehen.

Sie zog ihre Beine noch etwas enger an sich und streichelte sie, als die Taubheit durch das lange Sitzen ihr jegliches Gefühl nahm. Es fühlte sich fast an, als würde sie einen fremden Körper berühren...bei dem Gedanken musste sie lächeln.

Doch auf einmal riss sie etwas aus ihren Gedanken und sie schaute erschreckt in die Menge des Volkes.

Die Menschen strömten an ihrem Podest vorbei...alle auf ihre eigene Art, beschäftigt mit dem Spiel des Lebens.
Die Frauen klagten über die nervenden Kinder, den anstrengenden Beruf und ihren faulen Mann.
Andere wiederum lachten über den verhungernden Bettler am Straßenrand, welcher sich schlafen gelegt hatte und nicht bemerkte, wie ein Hund an sein altes Instrument pinkelte.

Sie beobachtete einen jungen Herr, der in ein Schmuckgeschäft ging und eine Kleinigkeit für seine bildschöne Frau besorgte und dieser durch einen kleinen untergestellten Gedanken, der sich mit einer möglichen Belohnung am heutigen Abend befasste, zu lächeln begann.

Weiter hinten entdeckte sie den stadtbekannten Richter, der sich heiter von einer Verurteilung in die nächste hangelte und auch ihr einst diese Strafe aufgetragen hatte. Schnell wandte sie den Blick wieder ab.

Immer mehr Menschen flossen über den Hof, wie blutiger Strom, der durch säuselnden Wind angetrieben wurde.

All diese suchten nach ihrer Zukunft. Manche gemeinsam, manche allein und manche in Truppen und dennoch einsam. Sie lachten sich an, küssten, umarmten und führten einander.

Angewidert wollte sie weg schauen, aber irgendwas zog sie auch an.
Wie der Vater seine müde Tochter in den Armen trug.
Wieso nahm man sie nicht in den Arm?

Wie der Junge seine Freundin küssen wollte und sie dabei in Gedanken bei dem süßen Nachbar war, der ihr heute morgen eine Blume vor die Haustür gelegt hatte.
Warum kämpfte niemand um ihren Kuss?

Nicht ein Blick wurde ihr geschenkt.
Nicht einmal ein Lachen bekam sie.

Sie kuschelte sich noch enger an die eiskalten Ketten und vergrub ihren Kopf unter den Haaren.

Wie sehr sie doch Menschen hasste.

Kurzgeschichten über das LebenWhere stories live. Discover now