Kapitel 2

11 2 0
                                    

Irgendwas fiepte und piepte und nervte mich schon bevor ich nur die Augen öffnete. Alles war weiß. Wo zum Teufel war ich? Im Himmel? Alles war weiß und weich und ich begann schon wieder zu lächeln als ein helles Licht mich direkt in den Augen blendete und zwei Arme an mir rüttelten und mit nervtötender Stimme meinen Namen riefen. Lilian. Ich war doch nicht im Himmel, sondern lediglich im Krankenhaus. Und das helle Licht war auch nicht die Erlösung und die Pforte ins Jenseits, sondern nur die nervige Augenfunzel der viel zu strengen Ärztin mit ihren grauen strikt nach hinten gebundenen Haaren, sorgfältig ohne eine lose Strähne im Dutt untergebracht. Entweder sie benutzte tonnenweiße Haarspray oder sie trug eine Perücke. Wie konnte man es sonst nur schaffen 24h in der Woche genauso auszusehen?

Das Betüdeln von Lilian ging mir auch auf die Nerven, ständig wuselte sie um mein klinisch reines Bett herum, richtete die Vorhänge (zog sie auf und zu und wieder auf und wieder zu), rückte meine Schuhe zurecht, sortierte meine Wäsche ein und stellte die Blumen vom einen Ort an den nächsten. Zwischendurch durfte ich mir anhören, was für Sorgen sie sich um mich mache und wie ich auf die Idee gekommen wäre mich umzubringen. Ich weiß es nicht. Okay das stimmt nicht. Ich weiß es. Aber ich will es ihr nicht sagen, warum auch?

Sie tat gerade so als wären wir 20 Jahre verheiratet, dabei waren es gerade mal fünf, bis letzter Woche. Ja, ich war mit einer Frau zusammen. Lilian war das Beste, was mir je passiert ist. Dachte ich zumindest. Bis letzter Woche. Als ich das Bild an ihrem Schlüsselbund entdeckte, versuchte ich mir ja noch weis zu machen, es sei nur ihr Sohn. Auch wenn er zugegebenermaßen keine roten sondern braune Haare und statt einer Justin Bieber, eher eine Tokio Hotel Frisur trug. Im Lügen war ich schon immer schlecht, selbst wenn ich nur mich anlügen muss. Als ich Lilian und ihren Schlüsselbildlover dann aber Anfang der Woche inflagranti in unserem Ehebett erwischte, da war es vorbei. In Windeseile packte ich meine Sachen, warf mir meinen Seemannssack mit all dem Hab und Gut über die Schulter, schnappte mir eine von Lilians sauteuren super chicen Guccihandtaschen und verließ unsere gemeinsame Wohnung. Entschuldigt, nun ihre Wohnung. Keinen Cent würde ich für diese Bude noch bezahlen und so wanderte mein Schlüssel samt unserem eklig romantischen Schlüsselanhängerbildchen, auf dem ich aussehe als wäre ich gerade aufgestanden und Lilian hätte mich der Kamera erwischt, was leider auch so war, in den Briefkasten. Mit Tränen in den Augen und einem Gefühl der Befreiung lachte ich, streckte meine Arme aus und begann mich zu drehen.

Leben heißt nicht zu warten bis der Sturm vorüber zieht, sondern zu lernen im Regen zu tanzen.

Mit verquollenen Augen, aber glücklich klingelte ich bei Clara Sturm. Sie war meine beste Freundin. Gewesen. Bis ich Lilian geheiratet hatte und sie Andi. Seit dem waren wir uns aus dem Weg gegangen. Andi war meine Jugendliebe gewesen und Lilian Claras beste Freundin. Ein wunderschönes Viererpärchen, das wundervolle Doppel-Dates miteinander verbrachte. So die Vorstellung. Die Realität hatte damit gar nichts zu tun. Clara war Lilian und mir auf ewig böse, dass wir nach dem Abi zusammenzogen, im Ausland reisten und schließlich spontan innerhalb von vier Stunden beschlossen in Las Vegas zu heiraten. Keiner wusste was von der Hochzeit und somit war auch niemand eingeladen worden und es fand keine Party statt. Ein Weltuntergang für Clara, wo wir uns mir sechs Jahren doch schworen immer füreinander da zu sein, beste Freundinnen durch dick und dünn und die Trauzeugin der jeweils anderen zu sein. Ein Grund weshalb der Kontakt abbrach. Doch dann war da noch Andi. Der gut aussehende charmante Junge von nebenan. Braune Augen, außergewöhnlich schwarzes Haar und Wimpern so lang und weich wie die Zotteln eines Kuschelteppichs. Ja gut, sie waren jetzt nicht so dick und irgendwie hinkt der Vergleich doch auch ein bisschen, wenn man bedenkt wie fein und goldbraun, nein, eher kupferfarben seine Wimpern in der Sonne schimmerten. Ich hatte mich vor dem Abi unsterblich in ihn verliebt, doch er hatte nur Augen für Lilian und die versuchte wiederum Clara und ihn zu verkuppeln, bis eins das andere ergab, alles schief ging und wochenlang keiner mit dem anderen redete. Wie Clara und er sich wiedersahen, während Lilian und ich durch die Welt tingelten, um unsere Freiheit zu genießen weiß ich nicht. Vielleicht trafen sie sich im Kino, vielleicht auch nicht. Es war mir auch egal. Fakt war, ich kannte in Berlin niemanden und Clara war die einzige, die ich noch hatte. Im Gegensatz zu allen anderen hatte sie mich immer unterstützt, auch nach meinem „Outing", was man nicht als solchen bezeichnen kann, ist aber auch eine andere Geschichte.

Auf dem Boden der Tatsachen zurück wartete ich und klingelte, ununterbrochen. Seit wann machte sie nicht mehr die Tür auf? Ratlos hatte ich mich umgeschaut und beschlossen in der Scheune zwei Kilometer weiter, einmal durch den kleinen Ort hinaus aufs Feld, zu übernachten. Sie hätte bestimmt nichts dagegen und ich wollte ihr auch gar nicht weiter zur Last fallen. Beschwingt schritt ich meines Weges und richtete mir ein gemütliches Nachtlager in der alten Scheune zwischen all dem Heu ein.

Mitten in der Nacht wachte ich auf. Die Tür klapperte und plötzlich stand da dieser Stuhl, der alte Schemel, den Andi schon so oft repariert hatte, zu Jugendzeiten noch. Der Strick lag direkt daneben und es war wie eine Eingebung, wie ein Hinweis Gottes. Ich wusste genau was ich wollte und das es eine gute, ja nahezu eine befreiende, rettende und erlösende Idee war. Einfach loslassen, komme was wolle. Einfach sterben. „Was soll schon passieren?" dachte ich mir. Nie mehr mit tausend Problemen aufwachen und doppelt so vielen einschlafen. Nur loslassen, den Tunnel durchschreiten und in eine warme wunderbare Welt gehen. So hell, warm, weich...

Doch der Strick war wohl gerissen und ich von Claras Tochter ohnmächtig aufgefunden worden, was erklärte, weshalb ich in diesem schrecklich sterilen Bett lag, aber nicht warum Lilian um mich herumschwirrte. Was wollte sie hier? Was mein Versuch alles zu beenden nicht deutlich genug? Ich räusperte mich, worauf besagte Lilian aufsprang und mir mein Gesicht abknutschte. Sie war schon immer überschwänglich. Die Augenrollend ließ ich es über mich ergehen, zog aber meine Hand weg, als sie unsere verschränken wollte. Starr blickte ich auf die Wand hinter ihr, eine schlichte weiße Wand. Tief Luft holend wollte ich überzeugt sagen „Geh, es ist Schluss, aus. Ein uns gibt es nicht mehr", doch ich brachte nur ein jämmerliches Krächzen heraus. Genervt warf ich mein Kopf zurück ins Kissen, holte noch einmal tief Luft, blickte ihr in die Augen und sagte nur drei Wörter: „Es ist aus". Mehr brachte ich auch gar nicht heraus, zumal es sowieso schon klang wie ein erstickendes Meerschweinchen. Nicht mal ordentlich Schluss machen konnte ich. Obwohl mir das schon nach meinem gescheiterten Suizid klar sein hätte müssen. Als Lilian nur versteinert dasaß und keine Anstalten machte zu gehen drückte ich den Notfallknopf und gab der heraneilenden Schwester zu verstehen, dass ich Lilian nicht in meinem Zimmer haben wollte.


FutureMEWhere stories live. Discover now