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Der blaue Fleck lässt sich nicht so einfach mit Make-up verdecken. Mum und Dad wissen zwar von meinem Fall, der Wunde auf meiner Stirn, aber nicht von dem Streit zwischen Eva und mir. Sie wissen generell nicht, wie Eva und ich zueinander stehen.

Die nächste Schicht Make-up sieht genauso aus, wie es die letzte getan hat und ich lasse seufzend die Tube fallen. "Fuck", murmle ich und fahre mir sanft über die empfindliche Stelle unterhalb meines rechten Mundwinkels.

Hastig öffne ich den Badezimmerschrank, ziehe ein Pflaster heraus und schließe ihn wieder. Eva denkt zwar, mir würde nicht auffallen, wie sie alle scharfen Dinge vor mir versteckt, aber die fehlenden Rasierklingen sind für mich viel zu offensichtlich.

Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich die Schutzfolie von dem Pflaster abgezogen habe und es zur Hälfte an meinem Finger klebt. Ohne weiter rumzufummeln sehe ich wieder hoch zum Spiegel und drücke das Pflaster auf den dunklen Fleck.

Gut.

Zufrieden schiebe ich den Müll des Pflasters in meine Hosentaschen, während ich die Melodie des Songs summe, den diese Boyband vor ein paar Tagen aufgeführt hat. Automatisch muss ich auch wieder an Jimin denken, der meine Arme gesehen hat.

Ich seufze und ziehe die Ärmel meines Sweatshirts zurück, halte sie ins Licht. Eigentlich sind die Wunden gut verheilt, verkrustet, doch das Pflaster, das ich bei dieser Show getragen habe, hat ein paar wieder aufgerissen.

Ehe ich mich stoppen kann, habe ich mit meinem Daumennagel ein Stück Kruste an meinem linken Arm abgekratzt und es blutet wieder. Rot tropft in das Waschbecken.

Vielleicht ist es doch nicht so schlecht, dass die Schnitte wieder aufgerissen worden sind. So brauche ich wenigstens keine besonders spitzen oder scharfen Sachen.

"Ash!", ruft Eva aus der Küche und ich schrecke aus meiner Starre. Schnell mache ich den Wasserhahn auf und halte meinen Arm darunter.

"Ja, ich komme gleich!", antworte ich und drehe den Hahn wieder zu, tupfe den Schnitt mit einem Handtuch ab. Erneut öffne ich den Badezimmerschrank, ziehe ein weiteres Pflaster heraus und klebe es auf die Stelle, an der kontinuierlich Blut austritt.

"Beeil dich, die Verbindung zu Mum und Dad wird gerade aufgebaut!"

Ein letztes Mal sehe ich in den Spiegel, schiebe ein paar Haarsträhnen über die verkrustete Platzwunde an meiner Stirn und nehme mein Handy vom Waschbeckenrand.

Im Flur steige ich über die seltsamen Sitzkissen, die unserem Vermieter gehören und jogge den restlichen Weg in die Küche. Dort angekommen blinzle ich gegen das grelle Licht der Neonröhren. Eva kaut gerade auf einem Stück Brot herum, das auf ihr schwarzes Hemd krümelt, beachtet mich erst garnicht.

"Heeey", lächelt sie schließlich, als sie mich im Türrahmen sieht und schiebt den letzten Rest des Brotstückes in ihren Mund. Die Vorsicht in ihrem Blick ist auffällig, doch sie legt trotzdem einen Arm über meine Schultern. "Der Laptop ist im Wohnzimmer, willst du vielleicht auch noch etwas essen?"

"Nein", brumme ich und reibe mir die Schläfe. "Meine Gehirnerschütterung ist noch nicht ganz weg, ich sollte nicht so viel essen, damit ich mich nicht wieder übergeben muss."

"In Ordnung. Weißt du, was du zu Mum und Dad sagen sollst?"

"Ja."

"Sag's mir."

"Ich hab's mit Rumhampeln übertrieben und bin auf der Bühne ausgerutscht."

"Was noch?"

"Ich bin glücklich, ich habe mich nicht wieder selbstverletzt."

Ripped Rose - JiminWhere stories live. Discover now