Alles findet ein Ende

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Mit dem Beginn der Morgendämmerung hatten sich die meisten Elben wieder zurückgezogen. Einige hatten alles gehört, was sie hören wollten, andere mussten ihrer Arbeit nachgehen. So auch Thranduil. Itarille hatte sich mit ihm die ganze Nacht unterhalten und war nun auf dem Weg in ihre Kammer. Wo Erundil, Varisse und Serondrych waren, wusste sie nämlich nicht. Itarille sah sich genau um, schließlich wollte sie unbedingt einen Menschen zu Gesicht bekommen. In ihrer Vorstellung gab es nichts, was weniger edel und schön sein konnte als ein Elb. Doch der Thronsaal war verlassen und es war überraschend leise in den Hallen, lediglich ein paar wenige Elben standen in einem Kreis vor dem Thron. Itarille glaubte, Narewen zwischen ihnen zu erkennen. Trotzdem hatte sie kein Interesse sich in die scheinbar lebensbedrohlichen Probleme der Sindar einzumischen. Die Liebe hatte ihn in dieses Königreich getrieben, allerdings war dies kein Grund sich aufzuregen, dachte Itarille. Dann würde der Mensch sich mit seiner Elbin vergnügen und es würde keinen stören, früher oder später würde er sowieso sterben. Aber am meisten konnte sie nicht verstehen, warum Thingol und Melian sich in dieser Situation zurückzogen, letztlich war ihre Familie davon nicht betroffen. Wäre sie nur Königin... „Entschuldigt?", fragte eine Stimme und riss Itarille augenblicklich aus den Gedanken. „Ja?", entgegnete Itarille und fuhr herum. Vor ihr stand nun eine großgewachsene Frau mit schwarzen Haaren und aufwendigem Kopfschmuck. Melian. „Kann ich euch helfen?", fragte Itarille vorsichtig. Hoffentlich konnte sie aufgrund ihrer Macht keine Gedanken lesen, dachte Itarille und biss sich auf die Lippe, das könnte durchaus unangenehm werden, fügte sie in Gedanken hinzu. „Wollen wir ein Stück gehen?", fragte Melian freundlich, obwohl sie geschafft aussah. „Ja gern", antwortete Itarille und Melian setzte sich langsam in Bewegung. Ihre Kleider schleiften über den glatten Steinboden, während ihre Schuhe durch den Gang hallten. „Itarille", setzte sie an und schenkte der Elbin ein schwaches Lächeln. „Euer Vater ist sehr weise und mächtig. Ihr habt viel von ihm geerbt. Könntet ihr mir einen Rat geben?", fragte sie vorsichtig und Itarille schluckte. Ihr war bewusst gewesen, dass Melian im Klaren darüber war, wer sie war, aber auf eine direkte Konfrontation damit war sie nicht vorbereitet gewesen. „Nun ich bezweifle, dass ich euch etwas raten kann", sprach Itarille ruhig und bedachte jedes einzelne Wort. „Warum nicht?", fragte Melian nach. „Ihr seid weitaus mächtiger als ich, geschweige mein Vater." „Da habt ihr Recht. Dann denkt einfach, dass ich eure Meinung hören möchte", entgegnete Melian. „Wozu, wenn ich fragen darf?", hakte Itarille nach und sah auf ihre Füße. „Ihr habt es sicherlich mitbekommen, dass ein Mensch meinen Gürtel durchdrungen hat. Mich würden eure Gedanken darüber sehr interessieren." Itarille schmunzelte, bevor sie sagte: „Ihr wisst genauso gut wie ich, dass er aus einem einzigen Grund euren Bann brechen konnte." „Sein Schicksal ist mächtiger als ich", flüsterte Melian besorgt und Itarille runzelte die Stirn. Welche Elbin konnte es wert sein? „Woran denkt ihr?", fragte Melian, die Itarilles Gesichtsausdruck bemerkt hatte. „Welche Elbin in eurem Reich ist so stark, dass es einem Menschen ermöglicht wird, allein durch Liebe in euer Reich einzudringen?", sagte Itarille verwirrt. Dies war ein Aspekt, den sie noch gar nicht bedacht hatte. Plötzlich blieb Melian stehen. Itarille machte kehrt und sah in ein gequältes Gesicht, welches ihr die Seele zerriss. Melian stand still wie eine Statue und aus ihrem Mund kam ein Hauchen: „Luthien." Itarilles Augen weiteten sich. Das war das letzte, an was sie geglaubt hätte. Die Königstochter selber war diejenige, die von einem Menschen geliebt wurde. „Was wollt ihr nun machen?", flüsterte Itarille, da sie sich nicht traute laut zu sprechen. „Ich kann nichts machen. Die Liebe wird ihr Schicksal bestimmen", wisperte die Königin. „Und ihr habt nichts dagegen einzuwenden?", fragte Itarille leise. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was ihr Vater mit ihr machen würde, wenn sie auf die Idee käme, mit einem Menschen... Nein, daran wollte sie nicht denken. „Ich kann ihr nicht das Herz brechen. Außerdem steht es nicht in meiner Macht über ihr Schicksal zu herrschen. Nur Eru selbst weiß, was mit ihr geschieht", sprach sie. „Allerdings wird Thingol etwas verlangen, wofür er einen großen Preis zahlen wird." „Und das wäre?", fragte Itarille vorsichtig, doch Melian schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht was es sein wird, aber es wird Unheil über uns alle bringen", prophezeite Melian. „Wirst du nach Aman zurückkehren?", fragte Itarille und verschränkte die Arme vor der Brust. „Meine Zeit hier wird vorüber gehen", antwortete sie knapp. Itarille sah auf den Boden. Melians Zeit würde hier enden. Damit würde nicht nur die Zeit der Königin Doriaths enden, sondern die Zeit des gesamten Königreichs, die Zeit der Sindar in Beleriand. „Es tut mir leid", flüsterte Itarille und wendete sich ab. Melian blieb alleine im Gang zurück.

Itarille ließ sich in einen der drei Stühle sinken und legte den Kopf in den Nacken. Was würde passieren? Melian hatte es gesagt, Doriath würde untergehen. Bis jetzt hatte sich Itarille nie Gedanken machen müssen, was alles passieren könnte, wenn ein Königreich fällt. In Aman hatte sie nie etwas Derartiges erlebt. Trotz Melkors Lügen, der Erschaffung der Silmaril und die Verwüstung durch Ungoliant und Melkor, war in Aman nie ein Reich untergegangen. Und was würde mit ihr passieren? Nach Aman zurück wollte sie nicht, aber in Doriath bleiben und auf ihr Ende warten schien ihr ebenso wenig reizvoll. „Oh Eru!", schrie sie und schlug die Hände gegen die Stirn. Wenn Doriath im Krieg untergehen wird, hatte sie einen enormen Nachteil. Im Umgang mit dem Schwert war sie komplett unbegabt. Eigentlich war es auch nie ihr Plan gewesen, diese Fähigkeit zu erlernen, aber anscheinend führte früher oder später kein Weg daran vorbei. Zwar interessierte sie sich nicht dafür, andere Elben zu beschützen, aber um ihr eigenes Leben würde sie im Fall der Fälle kämpfen, auch wenn sie es bevorzugte es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Am Abend würde sie Thranduil aufsuchen. Er würde ihr beibringen sich zu verteidigen, da war sie sich sicher. Denn Erundil und Varisse wollte sie nicht stören, davon abgesehen wusste sie nicht einmal, ob sie bei Erundil, Serondrych oder Varisse waren. Allerdings fiel ihr auch auf, dass sie Thranduils Aufenthaltsort ebenso wenig kannte. Bisher hatten sie sich immer durch Zufall getroffen. Generell merkte Itarille, wie wenig sie trotz der langen Gespräche eigentlich über ihn wusste. „Das wird heut Abend geändert", flüsterte sie sich zu und erhob sich. Mit wenigen Schritten stand sie vor dem Spiegel und betrachtete sich. „Und das jetzt", fügte sie hinzu.

Itarille & Thranduil || Im SternenlichtWhere stories live. Discover now