Kapitel 1

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Kapitel 1

Mein Herz rutscht mir fast in die Hose und ich habe beinahe Angst als Terrorist abgestempelt zu werden. Meine Nervosität muss für alle deutlich sichtbar sein. Zumindest bilde ich mir das nur ein, da meine Hände und Beine zittern, feucht geschwitzt sind und mein Puls auf hundertachtzig hochschnellt. Nichts hilft mir im Moment, nicht die homöopathischen Pillen von Daria, die sie mir geliehen hat und schon gar nicht die Entspannungstechniken, die ich mir vom Internet abgeschaut habe. Ich kann mir einreden, dass ich nicht nervös zu sein brauche, aber ich glaube mir das selbst nicht. Ich weiß, dass ich nervös bin und dass mir etwas bevorsteht, was ich nie gedacht hätte. So lange habe ich einer Lügnerin geglaubt, die mir Märchen aufgetischt hat. Nun, da die Wahrheit endlich draußen ist, werde ich es tun.

Ich werde meinen Vater kennenlernen.

An meine Mutter habe ich die letzten Tage keinen Gedanken mehr verschwendet. Denn alles was sie mir angetan hat, trifft mich immer noch sehr. Es schmerzt in meiner Brust und wenn ich nicht an sie denke, dann spüre ich es nicht. Dass ich nach London fliege, habe ich ihr gestanden, bevor sie mich zu einem Familienfest schleppen konnte. Auch bekannt als Weihnachtsfeier bei der Familie ihres Lovers Steve, wo ich es sicherlich nicht ausgehalten hätte. Dieses heuchlerische Getue wollte ich mir einfach nicht antun. Mit anderen lachen, obwohl einem gerade zum Heulen zumute ist? Personen umarmen, die man gar nicht kennt, Küsschen geben, Geschenke und Nettigkeiten austauschen? Die perfekte Familie spielen obwohl der Haussegen total schief hängt und ich die Person, die mich auf die Welt gebracht hat hasse? Auf keinen Fall.

Weihnachten ist für mich dieses Jahr gestorben und das habe ich alles meiner ach so liebevollen Mutter zu verdanken, die nur mein Bestes will. Das habe ich gesehen. Es fing alles damit an, dass sie mir den Umgang mit Jasper verbot, obwohl sie ganz genau wusste, dass ich ihn liebte. Immer noch liebe. Als Grund schob sie meine schlechten Noten vor und dann nahm sie mir meinen Laptop, mein Handy und mein Internet. Das ließ ich natürlich nicht auf mir sitzen, holte mir mein Handy zurück, fand aber eine Nachricht von Jasper auf dem Handy, dass er mich nie wiedersehen wolle. Er wechselte seine Nummer und ich brach zusammen. Doch das war nur eine weitere Intrige meiner Mutter, die zugegeben hat, dass sie ihm eine SMS in meinem Namen schrieb. Sie hatte ihn vergrault und ich begann sie zu hassen, aber ich zog es in Erwägung ihr irgendwann mal zu verzeihen. Bis zu dem Tag an dem ich die Briefe fand, die sie mir vorenthalten hatte. Sie waren von meinem Vater, den sie irgendwie aus meinem Leben gestrichen hatte. Seit ich klein war, wuchs ich mit dem Wissen auf, dass mein Vater einfach abgehauen sei. Uns zurückgelassen hatte und deshalb hielt ich nichts von ihm. Ich hatte nur noch wenige Erinnerungen als kleines Mädchen an ihn.

Doch er wollte mich sehen. Er wollte Zeit mit mir verbringen. Er liebte mich und meine Mutter wusste, das zu verhindern.
Als ich die Briefe las war ich entsetzt und fühlte mich leer. Aber ich hatte eine Adresse in London. 

Hier wohnt mein Vater und wegen ihm und Jasper bin ich hierher geflogen.
Durch den Garten des Anwesens habe ich es bereits geschafft. Unzählige schöne Blumenbeete, Sträucher und Bäume zieren den Weg bis zur Haustür. Sie sind mit glänzenden Lichterketten behangen und weihnachtlich geschmückt. Es lässt nur vermuten, wie es im Sommer hier aussieht, wenn alles blüht und die Wiesen nicht mit Schnee bedeckt sind. Alles strahlt eine wohlige Wärme aus und sieht so modern und teuer aus. Und das ist nur ein Grund warum ich mich nicht traue die Türklingel zu drücken und zitternd und nervös in der Kälte stehe. Er hat es zu etwas gebracht. Eine eigene Firma und ein so hübsches Backsteinhaus in einer wundervollen Gegend Londons.

Ich atme tief ein und aus, dann lasse ich meine Tasche zu Boden sinken und gehe einen kleinen Weg nach hinten um durch eines der Fenster zu gucken. Vermutlich sehe ich so aus wie eine Einbrecherin, die nachsieht ob ihre Opfer gerade aus dem Haus sind, aber solange ich dieses ungute Gefühl in meiner Magengegend habe, kann ich nicht klingeln.
Ich halte mein Gesicht nahe an die Scheibe und kann einen großen beleuchteten Christbaum erkennen, der im Wohnzimmer steht. Darunter liegen einige Geschenke. Ein Mann bückt sich gerade um eine Kiste aufzuheben und mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Ohne ihn von vorne zu sehen oder ihn auf den alten Fotos zu sehen, weiß ich, dass ich gerade meinem Vater gegenüberstehe wenn auch getrennt durch eine Scheibe. Es steigt ein unglaubliches Glücksgefühl in mir hoch, dass mich zum Lächeln bringt. Ich war ein kleines Mädchen als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe und ich kann mich wieder an so viele Momente erinnern an denen er da gewesen war. Ich hatte ihn so gern bis er von einem auf den anderen Tag einfach weg war. Das war eine schwere Zeit. Es gab so viele Momente, in denen er einfach fehlte. Aber jetzt ist er da und ich bin so aufgeregt aber ich kann nicht klingeln. Meine Augen brennen bereits. Ob vor Kälte oder vor Freude, weiß ich nicht. Mein Vater trägt die Kiste hinaus und dann kommt eine blonde Frau herein. Lächelnd und schwungvoll geht sie mit einem weiteren kleinen Geschenk zum Christbaum und legt es darunter. Sie sagt etwas zu meinem Vater und dieser holt tief Luft und sieht sie bedauernd an. Worüber sie gerade sprechen?

Dann stürmt ein kleines Mädchen mit braunen Haaren ins Zimmer und mir wird ganz heiß obwohl es minusgrade hat. Es ist ihre Tochter. Es muss so sein. Ich sage mir, dass ich nicht neidisch werden darf aber mein Gedanken schreien: Sie bekommt alles was dir gefehlt hat. Sie hat einen Vater und eine Mutter, die sie lieben.
Ich drücke mich von der Scheibe weg und gehe wieder zu meinem Koffer und der Tasche. Ich weiß nicht mehr, ob ich reingehen soll und sie an einem Tag wie heute zu stören. Es ist Weihnachten. Sie wollen sicher alleine feiern. Ich unterdrücke die Tränen und drehe mich von der Haustüre weg, doch da macht es Klick und die Haustüre öffnet sich hinter mir. Mich umzudrehen wage ich jedoch nicht. Wer mag die Tür geöffnet haben? Haben sie mich entdeckt als ich durchs Fenster gesehen habe und werden die Polizei rufen? Komme ich an Weihnachten ins Gefängnis? Wenn mein Vater mich erkennt, wird er mich überhaupt hereinbitten oder mich wieder wegschicken? Ich bin wie gelähmt und starre hinaus in den weißen Schnee.

„Bine?"
Ein einziges Wort. Ein einziges Wort nur braucht es von meinem Vater und ich lasse meine Tasche fallen, drehe mich um, sehe ihm in die Augen und renne in seine offenen Arme. Die Tränen fallen und ich halte sie nicht mehr zurück. Ich kann mich nicht mehr beherrschen. So lange haben wir uns nicht gesehen und ich freue mich so ihn zu umarmen und seinen typischen Geruch nach Tannennadeln und Orchideen zu riechen. So wie früher.
„Papa.", flüstere ich, aber bringe nicht mehr heraus. Er versteht mich auch so. Ganz ohne Worte.
„Groß bist du geworden, Bine. Und so hübsch.", sagt er als wir uns voneinander lösen und ich lächle. In diesem Moment bin ich so glücklich, nichts kann mich wieder zu Fall bringen.
„Kommt rein, ihr Beiden, sonst friert ihr euch noch zu Tode.", schreit die Frau, die ich vorhin gesehen habe. Ihre Stimme klingt ganz melodisch und sehr sympathisch. Paps nimmt meine Koffer und trägt sie für mich ins Haus wo uns gleich eine wohlige Wärme empfängt. Ich stand wohl doch zu lange in der Kälte und habe mir Sorgen um nichts gemacht.
„Woher wusstest du, dass ich draußen stehe?", frage ich während ich meine Schuhe ausziehe. Er nimmt mir meine Jacke ab und hängt sie lächelnd an einen Haken. Auch er muss eine Träne vergossen haben, denn seine Wange glänzt im Licht.
„Ich hatte ein ganz komisches Gefühl, dass ich irgendetwas draußen vergessen habe nachdem ich einkaufen war." Dabei bedachte er mich mit einem sehr nachdenklichen Blick.
„Also bist du ein Hellseher geworden?"
„Nein! Zufällig ist der Bewegungsmelder ein paar Mal zu oft angegangen also habe ich nachgesehen und da standest du."
„Da stand ich." 

•°•
Danke, dass ihr meinen Geschichten treu bleibt.
Danke, dass ihr dafür abstimmt und kommentiert.

Ich weiß, dass es nur schleppend voran geht, danke auch fürs Warten. Es haben sich ja viele gewünscht, dass der zweite Teil endlich kommt und hier ist er... ;)
Lg

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⏰ Last updated: Aug 05, 2020 ⏰

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