Sa, 26.04.1794

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Sie sind weg... Schon vor dem Frühstück sind sie gegangen. Bevor Abigail aufstehen und zu Weinen anfangen hätte können. Auch bevor Timothy oder Harriott erwacht sind. Nur Mutter und ich haben uns verabschiedet; nur wir durften uns verabschieden. Wir sind gemeinsam mit ihnen bis zur Pforte gegangen, haben ihnen etwas Brot und Krüge, die sie sich auf dem Weg immer wieder mit Wasser füllen können eingesteckt. Es tat so weh sie gehen zu lassen: Obwohl ich genau weiß, dass ich sie wiedersehen werde, so ist es doch das erste Mal, dass ich nicht weiß, wann! Zumal ihre Rückkehr gleichzeitig unser Fortgehen bedeutet. Eine gute und eine schlechte Nachricht. Ich glaube, dass alles im Leben auf der Waagschale liegt: Man kann nicht glücklich sein, ohne nicht bald darauf Trauer erfahren zu müssen. Das Osterfest liegt noch nicht lange zurück und es war wunderschön. Als ich in der Kapelle mit der Gemeinde dem Pfarrer die Worte "Er ist wahrhaftig auferstanden" antwortete, spürte ich eine innere Zufriedenheit und Sicherheit wie selten zuvor. Das war erst vor sechs Tagen. Ich glaube nicht, dass dieses Gefühl bloßer Schein war, aber vielleicht ist dies nun der Ausgleich dafür... Schließlich hat alles einen Gegenspieler, oder? Feuer und Eis, Krieg und Frieden, Regen und Dürre, Heimat und Fremde. Aber warum? Nach dem ich Abbie getröstet und die gröbste Arbeit erledigt hatte ging ich zu Rosemarie. Mit ihr konnte ich darüber reden, musste es sogar. Den Satz "Wir ziehen fort" konnte ich dieser lieben Frau mit den großen braunen, weisen Augen nicht ersparen, ganz gleich wie gerne ich es wollte, musste ich es ihr erzählen. Sie hatte schon so viel Leid in ihrem Leben erfahren müssen. Ich glaube, unsere war immer eine Art Ersatz für ihre eigene Familie gewesen. Und nun verließen auch wir sie! Rose blickte zu Boden. "Dann ist das wohl so." Und dann mit klarem Blick: "Ich habe dich immer geliebt wie meine eigene Tochter! Und nun spüre ich nicht nur meinen eigenen Schmerz über euer Fortgehen, sondern auch noch den Deinen, mein Kind. In deinen Augen sehe ich ihn; sie sind so blau, wie das Wasser. Doch blicke ich zum Grund? Ich glaube es. Du bist unglücklich! Wenn du es irgendwie schaffst, dann besuche mich bitte irgendwann einmal, vielleicht heiratest du ja einen reichen Mann. Bestimmt wird er gut aussehen! Und dann kommst du, in Ordnung?" Sie war also nicht böse auf mich. Ein Stein fiel mir herab von meinem Herzen. "Ich werde alles geben", antwortete ich.

Ich schreibe ihre Worte jetzt auf, wie aus Angst, sie könnten verblassen. Unmöglich! Ich weiß, dass die Zeit verstreichen und mein Gedächtnis mich verlassen wird. Aber mein Herz werden die Phrasen dieser liebenswerten, wundervollen alten Frau ewig prägen... Das hoffe ich zumindest. Und die Hoffnung stirbt nie. Hoffe ich zumindest.

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