Reue.

16 0 0
                                    

Er seufzt und lässt sich langsam an der Wand  hinabsinken. In seinen Ohren nur das sachte Rauschen des Flusses und das Zwitschern am Horizont vorbeischwebender Vögel.
Wie gerne er doch ein Vogel wäre.
Nicht, um frei zu sein oder zu fliegen.
Einfach, um nicht er zu sein.

Ein Uhu setzt sich auf einen Ast über ihm und schuhut.
Er schaut auf und streckt den Arm gen Himmel aus, nur, um ihn wieder zu senken:
Ein zittern durchfährt ihn und ein Blitz zuckt über den Himmel, gefolgt von einem leeren Donnern.

Der Junge schließt seine Augen und presst seinen zuvor ausgestreckten Arm an sich.
Am Liebsten würde er sich in der rauen Wand hinter ihm verstecken.
Vielleicht ein Nest hineinpicken. Manchen Vögeln ist es egal, wie fest das Material ist. Wenn der Schnabel spitz genug ist, ist auch eine Wand kein Hinderniss. In dem groben Mörtel ließe sich sicher ein gemütliches Heim einrichten.

Was er schon wieder für Gedanken hat, tadelt sich der Junge selbst.
Rate mal, wer dich in diese Situation gebracht hat.
Deine Gedanken.
Würdest du nicht so viel denken, wärst du nicht hier, denkt er weiter.

Wäre ich nicht hier, würde ich nicht denken.

Ach, was für ein Quatsch. Reiß dich zusammen und mach's nicht noch schlimmer.
Wieder ein Blitz und ein nahes Donnergrollen.
Die ersten schweren Tropfen fallen vom Himmel und landen auf dem moosigen Boden vor ihm.
Immerhin ist es warm, schießt es ihm durch den Kopf. Wie als Antwort bläßt ein kalter Wind über ihn hinweg, der den Uhu dazu veranlasst seine Federn aufzuplustern.

Wäre er ein Uhu, zumindest eine Eule, wäre ihm jetzt nicht kalt. Wäre er eine Eule, würde er nicht denken, oder? Zumindest sicher nicht so viel. Sein Kopf würde zur Ruhe kommen. Ganz bestimmt.

Warum bist du nicht einfach leise, fragt er sich selbst. Warum kannst du nicht einfach aufhören? Warum nicht einmal hier?
Menschen kommen doch in den Wald, um die Ruhe zu genießen, die Atmosphäre zu inhalieren und den Kopf freizukriegen.
Aber du, du kriegst gar nichts frei. Du kriegst gar nichts hin.
Das ist es ja! Ich kann nichts. Kann nichts außer denken. Mist denken.

Wäre ich nicht hier...wäre ich bloß nicht hier. Wäre ich bloß nicht irgendwo. Wäre ich im Nichts.

Mittlerweile regnet es stärker. Das beständige rieseln der Tropfen erschafft ein gleichmäßiges, angenehmes Klangspiel.
Wenn ich ein Tropfen wäre...Tropfen denken ganz sicher nicht. Sie entstehen und leben um zu vergehen.
Regentropfen haben ganz einfach die Aufgabe, allen anderen das Leben zu erleichtern.

Ist das nicht toll? Ich wäre gerne ein Tropfen, denkt er sich und schaut wieder in den Himmel.
Sein Gesicht wird nass und er genießt die winzigen Berührungen.

Aber was ist, wenn Regentropfen doch denken? Wenn der Regen sich jetzt glücklich fühlt, endlich frei zu sein?

Er seufzt erneut. Der einzige der hier denkt, bist du, und vielleicht der Uhu da.
Verdammt, wie ich mich dafür hasse, sagt er sich und reibt sich über die Augen.
Verdammt, wie ich mich hasse.
Hasse, hasse, hasse. Wie lächerlich. Wie verdammt lächerlich ich bin und wie verdammt lächerlich mein Denken ist.

Für einen kurzen Augenblick  noch möchte er das Gefühl, das der Regen auf seinem Gesicht hinterlässt, genießen.

Wach.

Mit einem Ruck setzt er sich auf und blickt sich hektisch um.
Als er erkennt, wo er sich befindet, lässt er die Schultern hängen und die Aufregung fällt von ihm ab.
Er ist enttäuscht.

Wie dumm ich war...:

Gedanken zu verfluchen
und immer nur am Ruhe suchen.

Gefühle zu verachten
und sie einfach abzuschlachten.

Und jetzt sitze ich hier und wünsche mich an einen anderen Ort.
Die Menschlichkeit in mir ist noch lange nicht fort.
Ach wäre ich bloß dort...

Ach wäre ich bloß dort!

Bitte Leben,

ich flehe dich an
Ich habe meine Buße doch getan.

Nimm mich an, oh, nimm mich doch einfach an!

Ich wäre dein größter Untertan..

Nehmest du mich nur wieder an

Aus dem NichtsWhere stories live. Discover now