Kapitel 24 ~ Menschlich

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Lesenacht 4

PoV Leon

Ein mich bis ins Mark erschütternder Schrei wurde ausgestoßen und bescherte mir eine unangenehme Gänsehaut. Dieser Schrei drückte soviel Schmerz und Trauer aus, dass es mir das Herz brach.
Eine Person lief auf eine andere, am Boden liegende Person zu. Die Erde um sie herum war blutgetränkt. An der Stelle, wo das Herz sein sollte, klaffte ein Loch.
Ich erkannte nicht, wer da tot am Boden lag. Ich wusste nur, dass ich die Person kannte. Gut kannte.

Erschrocken wachte ich aus meinem unerholsamen Schlaf auf und saß aufrecht im Bett.
Nein, nein, nein. Niemand von uns durfte sterben. Egal wer, keiner hatte es verdient.
"Hast du öfters Albträume?" fragte eine Stimme aus der Dunkelheit und ich zuckte zusammen.
Ich hatte gar nicht gesehen, dass Ronald auf dem Sessel neben dem Bett saß und mich beobachtete.
"Immer." gab ich flüsternd als Antwort und Ron nickte.
"Das erklärt, warum du nicht schlafen willst." Ich ließ mich erschöpft zurück ins Kissen sinken.
"Ich kann dir einen Trank geben, der Träume unterdrückt. Und so weit ich weiß, gibt es auch Medikamente dafür." Wenn es nur so einfach wäre. Es waren ja keine normalen Träume, sondern Visionen.
"Das würde nichts bringen. Aber danke." Mein Blick wanderte zur Uhr. Ich hatte vier Stunden geschlafen. Das müsste erstmal reichen. Gerade als ich mich wieder aufrichten und aufstehen wollte, erhob sich auch Ronald und drückte mich an der Brust wieder zurück in die Matratze.
"Bleib liegen. Du brauchst den Schlaf." Seine Berührung ließ mich wieder daran denken, wie wir getanzt hatten und sofort wurde ich wieder rot. Ron schien an das selbe zu denken, denn in seinen Augen blitzte etwas auf.
"Wieso ist es so komisch zwischen uns?" entwich mir und sofort war es mir peinlich, aber Ronald schmunzelte.
"Ich empfinde es nicht als komisch. Für mich ist es eine willkommene Abwechslung." Wieder wollte ich aufstehen, aber Ron ließ es nicht zu.
"Ron, ich kann nicht mehr schlafen. Vier Stunden reichen erst mal. Wenn ich mich jetzt wieder schlafen legte, hört es nicht mehr auf. Ich sehe keine schönen Dinge. Was ich sehe, bricht mir jedes mal das Herz. Immer wenn ich schlafe wache ich mit Herzschmerz wieder auf." Kurz sah ich sowas wie Mitleid in Rons Augen, aber das wurde schnell von etwas anderen ersetzt.
"Wie nennst du mich?" fragte Ron mit einem Grinsen und ich drehte mich auf den Bauch, damit ich nicht in Rons Gesicht sehen musste.
Ich spürte Rons Hand über meinen Rücken streichen. Er jetzt bemerkte ich, dass ich nur meine Boxershorts trug. Hatte Ron mich ausgezogen?
"Ja, hab ich. Es sah nicht sehr bequem aus." beantwortete Ron meine stumme Frage.
"Ron, ich werde jetzt aufstehen." nuschelte ich ins Kissen, aber mit einer gezielten Bewegung drehte Ron mich wieder auf den Rücken und stützte sich mit einer Hand suf der Matratze ab.
"Nein." Sein Gesicht schwebte über meinem und er sah mich intensiv an.
"Ich werde nur schlafen, wenn du zufällig einen Weg kennst, Unglücksvisionen abzuhalten." fauchte ich spöttisch und Ron hob eine Augenbraue.
"Tue ich." Ich schnaufte und setzte mich auf. Dadurch berührten sich unsere Gesichter fast.
"Nicht mal Crispin und Erik konnten das." knurrte ich und Ron lachte auf.
"Die beiden sind nicht allwissend." Ron nahm seine Hand von der Matratze und setzte sich mir im Schneidersitz gegenüber.
Ich hätte nicht gedacht Ronald mal so zu sehen. Er trug ein verwaschenes, graues Shirt, eine lockere Jogginghose und war Barfuß. Seine Haare lagen wild in alle Richtungen und er hatte leichte Augenringe.
Er sah so normal aus. So menschlich.
Und wie er da so im Schneidersitz vor mir saß auch noch verdammt jung.
Ronald zog sich eine Kette über den Hals und hielt sie mir hin.
Es war eine einfache Silberkette mit einem kleinen lila Stein.
"Er blockiert deine Kräfte. Ich trage ihn, weil er mir gut gefällt, meine Kräfte sind sowieso blockiert. Aber das ist keine Dauerlösung. Du musst es einfach lernen. Und das kannst du nicht, wenn du davon läufst." Ich wollte Ron die Kette aus der Hand nehmen, aber er legte sie mir schon um. Dabei streifte sein Finger über mein Gesicht.
"Jetzt solltest du schlafen können." flüsterte Ron und der Stein fing an leicht zu leuchten.
"Danke." Ron nickte und stand vom Bett auf. Erschöpft ließ er sich in den Sessel fallen unf schloss die Augen.
Erst dann bemerkte ich es. Ronald war menschlich. Er musste auch schlafen. Und er schlief in seinem unbequemen Sessel, damit ich im Bett Platz hatte.
"Ron, komm ins Bett. Das ist lächerlich, es gehört dir." Sofort öffnete Ron die Augen und kam aufs Bett zu.
"Ich dachte schon, du sagst nie was." Ron legte sich unter die Decke und machte sich sofort breit, sodass mir nur zwei Möglichkeiten blieben. Aus dem Bett fallen oder mich zu ihm legen.
Was er wollte, war offensichtlich.
"Warum tust du das?" fragte ich und ohne hinzusehen wusste ich, dass Ron grinste.
"Weil es mir gefällt." Mit diesen Worten zog Ron mich an sich und somit endete der Tag, von dem ich gedacht hatte, es wäre der schlimmste meines Lebens.
Angekuschelt an einen Dämon, der mein komplettes Leben auf den Kopf stellte.

Lesenacht over and out!
Ist da noch jemand? Irgendjemand? 😂

Der Bruder des SehersWhere stories live. Discover now