Prüfung [Herr Brugger & Hanna]

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Wörter: 1285

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Alle waren am reden. Ein Außenstehender hätte vermutlich angenommen wir wären eine Gruppe von Freunden, die sich freuten ihre Zeit miteinander zu verbringen. Tatsächlich herrschte aber eine immer währende unterschwellige Anspannung unter allen Anwesenheit. Und wären wir irgendwo in einem Café oder Park, dann hätte ich nichts gegen eine gesellige Runde gehabt.
Wir aber befanden uns in der Aula unserer Schule und warteten darauf, unsere mündliche Prüfung endlich hinter uns zu bringen.

Ich hätte gerne darauf verzichtet, aber kneifen ging nicht. Ich hatte die Oberstufe überstanden und die schriftlichen Prüfungen ( nun gut, Mathe war unterirdisch schlecht ausgefallen), dann würde eine kleine Prüfung in Spanisch mich bestimmt nicht in die Knie zwingen.

„Wie ist es gelaufen, Maya?", verfrachtete mich Lisas Stimme wieder ins Hier und Jetzt, weit weg von meinem Angsterfüllten Gedanken an die bevorstehende Prüfung.

Die Angesprochene kam direkt auf uns zu, beide Daumen nach oben gerichtet und ein breites Grinsen auf den Lippen.

„13 Punkte", verkündete sie stolz, holte einenStuhl herbei und setzte sich zwischen Lisa und mich. Dass Maya mit einem derart gutem Ergebnis zurückkommen würde, wunderte niemanden. Nicht einmal, wenn man bedachte, dass sie ihre mündliche Prüfung (freiwillig!) in Französisch abgelegt hatte.

„Ich glaub ich hatte Glück mit meinen Prüfern. Die waren ziemlich gut drauf", meinte sie schließlich noch und fragte uns wann wir ander Reihe wären.

Lisa wäre in zwanzig Minuten an der Reihe. Ich erst in einer geschlagenen Stunde. Es blieb demnach noch viel Zeit, mich zu beruhigen oder endgültig der Panik zu verfallen. Letzteres erschien mir allerdings wahrscheinlicher. Kurz darauf musste ich mir eingestehen, dass mir doch nicht so viel Zeit, wie erwartet, blieb. Vierzig Minuten vergingen erschreckend schnell und, bevor ich mich versah, befand ich mich in einem der Klassenzimmer und bereitete mich auf die anstehende Prüfung vor. Ich versuchte es jedenfalls so gut wie möglich. 

Mit jeder weiteren Minute, die verging, stieg meine innere Nervosität an. Es war nicht so, dass ich schlecht in Spanisch war - das Gegenteil sogar -, aber ich hatte mal wieder alles auf den letzten Drücker getan. Meine Präsentation hatte ich innerhalb eines Tages fertiggestellt – das war vorgestern gewesen. Deshalb war ich noch unsicherer als ich es sonst war, wenn es ums Präsentieren ging.

Meine Freunde, die hin und wieder vorbeikamen, um zusehen, wie es bei mir lief, waren mir da auch keine große Hilfe und wurden deshalb wieder weggeschickt. Heute war definitiv nicht der Tag, um auf irgendwelche Gefühle zu achten.

Zehn Minuten vor Prüfungsstart tigerte ich vorne im Raum herum, meine Karteikarten in der Hand und den Text vor mich hersagend. An meiner Nervosität hatte sich nichts geändert – sehr zu meinem Leidwesen.
Innerlich schwor ich mir, die wirklich wichtigen Dinge nicht mehr vor mir herzuschieben, bis es fast zu spät war. Denn ich wusste: Hätte ich mich angemessen vorbereitet, würde ich jetzt nicht wie eine Verrückte durch den Raum laufen. Hin und her. Hin und her. 

Ich kam erst zur Ruhe, als ich aus dem Augenwinkel jemanden an der Türschwelle stehen sah. Ohne lange darüber nachzudenken, blieb ich abrupt stehen und drehte mich zu der Tür um.

„Ihr macht mich echt nervös, wenn einer von euch ständig vorbei kommt – auch, wenn ihr es gut meint." Die Worte waren draußen, bevor ich erkannte wen ich soeben fälschlicherweise für einen meiner Freunde gehalten hatte.

„Ich etwa auch?", kam es von dem hochgewachsenen Mann mit dem wilden, blondem Haar und den blauen Augen, die mir mit einem Hauch von Belustigung entgegen blickten. Wäre ich von seiner plötzlichen Anwesenheit nicht so überrumpelt, ich wäre aufgrund seiner Worte rot angelaufen. Wenn ich das nicht bereits war – meine Wangen glühten!

„Sie auch, Herr Brugger", erwiderte ich ehrlich und einem gequältem Lächeln. Es zu verheimlichen hätte sowieso keinen Sinn gehabt. Er hatte beim Vorbeilaufen sicher gesehen, wie ich nervös durch den Raum getigert war. Jeder hätte mich in dieser Situation nervöser gemacht, er jedoch machte die Anspannung in meinem Inneren geradezu unerträglich. 

Ich spürte wie mein Herz wild gegen meine Brust zu schlagen begann, vor Freude, ihn zu sehen, und die Schmetterlinge in meinem Bauch ihre Flügel ausbreiteten und umherschwirrten. Es war schrecklich, dass ich jegliche Kontrolle über meinen Körper verlor, sobald ich Herr Brugger sah. Manchmal reichte sogar nur die Erwähnung seines Namens oder der Gedanke an ihn, um die vertraute Wärme hochkommen zu lassen.

Herr Brugger musterte mich eine lange Sekunde mit einem undefinierbaren Blick und gerade, als ich dachte er wollte etwas sagen, da schweifte sein Blick zu der Wand, an die meine PowerPoint-Präsentation projiziert wurde. Man sah die letzte Folie meiner Präsentation, die Hilfsorganisationen für das Hungerleiden in Spanien zeigte.

Für einen Moment hatte meine Aufmerksamkeit woanders gelegen, sodass ich nicht bemerkt hatte, dass Herr Brugger den Raum betreten hatte. Daher erschrak ich etwas, als ich seine angenehm tiefe Stimme in meiner Nähe vernahm.

„Hey, das kenne ich sogar!" Die Begeisterung in seiner Stimme brachte mich unweigerlich zum Schmunzeln. „Cruz roja, Cáritas Espaola, la acción contra el hambre", las er von der Wand ab. Er sprach jedes einzelne Wort übertrieben deutlich aus und betonte es über alle Maße, wie es nur ein Anfänger tun würde. Dabei wusste ich ganz genau, dass sein Spanisch nahezu perfekt war.

„Wahrscheinlich habe ich das gerade total falsch ausgesprochen." Herr Brugger drehte sich wieder zu mir und fuhr sich sichtlich verlegen durch das Haar. Mir entging das spitzbübische Funkeln in seinen faszinierend blauen Augen jedoch nicht.

Seine kleine Aktion brachte mich derart zum Lachen, dass ich mir verstohlen die Tränen aus den Augenwinkeln streichen musste, nachdem ich mich wieder beruhigt hatte.

„Das haben Sie doch mit Absicht gemacht", meinte ich nicht im Geringsten böse gemeint und einem dankbaren Lächeln.

„Ich habe doch gar nichts gemacht, Hanna", spielte er überzeugend den Nichtwissenden, aber wieder waren es seine Augen, die ihn verrieten. Leider durfte ich nicht allzu lange in den Genuss eben jener kommen. Er senkte nämlich den Blick, direkt auf seine Armbanduhr am Handgelenk.

Als er wieder aufsah und meinte, er sollte gehen, war ich fast schon traurig, dass er nicht länger blieb. Er hatte es geschafft, mich auf andere Gedanken zu bringen, und das ohne, dass ich das überhaupt gemerkt hatte.

Bevor er das Klassenzimmer verließ, blieb er noch einmal an der Türschwelle stehen und drehte sich zu mir herum.
„Hals und Beinbruch, Hanna." Wieder dieses atemberaubend schöne Lächeln, das es mir bereits in der ersten Unterrichtsstunde angetan hatte.

„Das sagt man nur vor Aufführungen beim Theater", konnte ich es nicht lassen, ihn zu verbessern. Etwas, das eigentlich er gerne bei seinen Schülern tat.

„Wie konnte ich das nur vergessen!", stieß er gespielt entrüstet aus und dann um einiges ernster und einem sanften Lächeln auf den Lippen: „Viel Glück, Hanna, du schaffst das mit Leichtigkeit."

Einen Wimpernschlag später war er aus meinem Blickfeld verschwunden.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es nur noch zwei Minuten waren bis zu meinem offiziellen Prüfungsstart. Also setzte ich die Präsentation auf Anfang und überprüfte meine Karteikarten ein letztes Mal. Während ich das tat, fiel mir ein kleiner, in der Mitte gefalteter Zettel auf, der auf dem Lehrerpult lag. Ich war ziemlich sicher, dass er vor Herr Bruggers Auftauchen noch nicht dort gelegen hatte. Umso neugieriger war ich demnach, als ich den Zettel öffnete und seine Schrift erkannte.

Viel Glück bei deiner Prüfung, Hanna. Ich weiß, dass du es kannst. Und sobald du deine angestrebten acht Punkte in der Tasche hast, lade ich dich zum Essen ein.

Seine Worte zauberten ein glückliches Lächeln auf meine Lippen. Ich befürchtete sogar, es nicht mehr so schnell loszuwerden – so sehr freute ich mich.

Als die mündliche Prüfung schließlich begann, war von der anfänglichen Nervosität nichts mehr zu sehen. 

Ich war die Ruhe in Person. 

Lehrer-Schüler OneshotsWhere stories live. Discover now