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"Du hast den ja immer noch!", stieß ich lachend hervor und zeigte auf den Hut, den ich vor gefühlten Ewigkeiten genäht hatte. Es war ein Wettbewerb gewesen, der beste Entwurf ist von Adrien in einem Photoshoot getragen worden. Natürlich hatte ich gewonnen - sonst wäre dieser Hut kaum in seinen 4 Wänden. Aber es war etwas Besonderes, dass er ihn behalten hatte, da die Taubenfeder an der Krempe damals seine Allergie ausgelöst hatte.
"Natürlich habe ich den noch. Als hätte ich den jemals weggegeben."
Gespielte Entrüstung zog sich über Adriens Gesicht. Er wirkte wirklich ausgelaugt, seine Augen lagen tief in ihren Höhlen und seine Wangen wirkten eingefallen und fahl. Das eigentlich volle Haar wirkte stumpf und leblos, selbst seine Haarfarbe wirkte eher gelb als goldblond. Mein Blick blieb mit einem Mal an seiner aufgeplatzten Unterlippe hängen. Ein Stück Mullverband schaute unter dem Kragen seines Shirts hervor und als er sich auf das Sofa plumpsen ließ verzog er kurz das Gesicht.
"Wie ist denn das mit deiner Lippe passiert?" Um alles in der Welt versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen, mit der kleinen Hoffnung, es könnte mir gelingen.
Gedankenverloren griff er sich an die Unterlippe und fuhr über den verschorften Riss.
"Ich bin gestolpert und habe mir dabei auf die Lippe gebissen", murmelte er und versuchte ein Lächeln. Diese Lüge war so schlecht, dass mir in Angesicht der unausweichlichen Wahrheit ganz heiß wurde.

-

Marinette stand nach wie vor mitten im Raum und sah aus wie vom Donner gerührt. Ein Wechselbad aus Gefühlen waberte über ihr zartes Gesicht, ihre blauen Augen wurden mit jedem Gedankengang größer und größer. Mir fiel auf, dass ich Marinette seit Ewigkeiten nicht mehr genauer betrachtet hatte. Das schwarze Haar trug sie nun offen, es fiel ihr glatt und glänzend über die Schultern und bis auf die Hälfte ihres Rückens. Trotz ihrer leicht blassen Haut und des müden Blicks schien sie Sport zu treiben, dünne Muskeln zeichneten sich unter ihren eng anliegenden Jeans ab. Sie sah gut aus. Sie war schon immer eines der Mädchen gewesen, die einem erst als Schönheit auffallen, wenn man ihr Aussehen eigentlich nicht mehr beachtet. Ihre glatte Haut, die Mandelaugen und ihre Zartheit spiegelten die asiatische Eleganz ihrer Mutter wieder, das leichte Lächeln auf den Lippen, die geschwungene Nase und die klare Farbe ihrer Augen den französischen Charme ihres Vaters. Mari war so viel besonderer und so viel fesselnder als eine Chloé es vermutlich jemals sein würde.

"Chat?"

Diese Worte zerschnitten die selige Stille wie ein Peitschenhieb.
"Was hast du gerade gesagt?", fragte ich, fest in dem Glauben, mich verhört zu haben.
"Chat Noir?" Auf Maris Gesicht spiegelt sich jetzt so ein Schmerz, so ein Ausdruck des Bedauerns, dass es sich genauso anfühlte wie Ladybugs Ohrfeige. Stumm blicke ich sie an, die Lippen fest aufeinandergepresst. Als würde sich an der Situation etwas ändern, wenn ich nur nicht zustimmen würde.

Miraculous - Wahrheit tut wehWo Geschichten leben. Entdecke jetzt