Kapitel 1

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Das Geschrei meines Weckers quälte meine Ohren und riss mich unsanft aus dem Land der Träume. Ich kniff die Augen zusammen und holte aus, um den Wecker zu erschlagen, verschätzte mich jedoch mit dem Standort des Nachttisches, fiel aus dem Bett und landete unsanft auf dem Boden. Ich rollte mich auf den Rücken und hielt mir stöhnend einen Arm über die Augen. Das war ja schon ein toller Start in den Tag. Ich rappelte mich hoch und tastete in meinem Dämmerzustand nach dem lärmenden Stück Plastik. Als es endlich Ruhe gab, als mein zweiter Versuch Erfolg nach sich zog, schleppte ich mich zum Fenster und zog die Vorhänge auf. Die ersten Sonnenstrahlen schienen mir entgegen und ich rieb mir den Schlaf aus den Augen, wobei ich herzhaft gähnte. Ich war nicht die Art von Mensch, die jeden Morgen topfit aus dem Bett sprang und vor Energie beinahe platzte. Ich brauchte morgens meine fünf Minuten zum Aufwachen.

Als ich die Phase des Aufwachens hinter mich gebracht hatte, stellte ich mir ein schlichtes Outfit aus dunkelblauer Jeans und luftigem weißen Shirt zusammen und begab mich damit ins Bad. Dort beseitigte ich auch die restlichen Spuren des Schlafes und reimte mir schon in Gedanken den Vortrag zurecht, den ich meinen Freunden halten wollte, am Ende aber mit der Müdigkeit wieder vergessen würde, während ich mir die Haare kämmte.

Als ich die Treppe runter kam, sah ich meine Mutter an der Anrichte in der Küche stehen. Das wunderte mich, denn eigentlich schlief sie länger, da sie erst spät nachmittags anfing zu arbeiten.

"Guten Morgen, Trace." sagte sie, ohne sich zu mir umgedreht zu haben. Ihr Ton verriet mir, dass es durchaus einen Grund hatte, dass sie schon wach war.

"Morgen, Mom." erwiderte ich, als ich auf der anderen Seite der Anrichte stehen blieb.

"Möchtest du auch einen Kaffee?" fragte sie, weiterhin unverändert an die Wand gewandt.

Ich legte meine Tasche auf die Tischplatte und legte meine Schlüssel hinein. "Nein, wenn ich mich nicht beeile, komm ich zu spät. Aber danke."

Sie erwiderte nichts. Ich schloss die Tasche, wobei mein Blick musternd auf ihr lagen. Ich richtete mich auf und ging langsam um die Theke herum. "Was ist los?"

Ich hörte, wie sie tief atmete und dann drehte sie sich zu mir um. Man sah ihrem Gesicht deutlich an, dass sie zu wenig geschlafen hatte. Ihr Blick glitt von meinem Haaransatz zu den Sohlen meiner weinroten Chucks, an deren Seiten der Saum der weißen Socken hervorlugte. "Dein Dad hat angerufen."

Ich spürte, wie sich etwas in mir zusammenzog. Ich schluckte unbemerkt und nickte. "Okay."

Sie drehte sich ganz zu mir um und lehnte sich an die Arbeitsplatte. "Er wird es nicht schaffen, zu deinem Geburtstag nach Hause zu kommen. Sie stecken mitten in der Arbeit und sie brauchen ihn, ohne ihn kommen sie nicht weiter. Deswegen muss er bleiben."

Ich sagte nichts und schwieg einen etwas zu langen Moment, während ich tief atmete. Dann nickte ich.

Meine Mutter breitete die Arme aus und drückte mich an sich. "Es tut mir leid, mein Schatz."

Ich blickte starr an die Wand, während sie mich leicht hin und her wog. "Schon okay." Ich erwiderte die Umarmung noch einen Moment, ehe ich mich befreite und mir die Haare aus den Augen strich. Ich griff nach meiner Tasche. "Ich muss los."

Sie lächelte mich unter ihren zerzausten braunen Locken hervor an. "Nimm dir was zu Essen mit."

Ich hing mir die Tasche über die Schulter und setzte meinen Weg zur Tür fort. "Muss ich nicht, Aidan, Emmy, Ryan und ich treffen uns im Café und nicht wie eigentlich gedacht im Park."

"Okay."

Ich verließ das Haus und schloss die Tür hinter mir. Wie ich so die drei Stufen vor der Haustür runterging, konnte ich mir das Seufzen nicht verkneifen. Drei. Schon das dritte Jahr in Folge hatte mein Dad es nicht hinbekommen, an meinem Geburtstag bei mir zu sein. Ich wusste, dass er mich liebte und ich liebte ihn ebenfalls. Aber trotzdem zweifelte ich manchmal daran, dass er es überhaupt versuchte. Mein Vater war Teil irgendeines extrem hohen Unternehmens. Andauernd starteten sie total aufwendige Projekte und solchen Kram. Mein Vater war einer der Spezialisten und dem entsprechend blieb eine ganze Menge der Arbeit an ihm hängen. Ohne ihn waren die Arbeiter, die mit ihm zusammen arbeiteten, ziemlich aufgeschmissen, also konnte er es sich nicht leisten, mitten im Geschehen Urlaub zu machen. Sein Job war wichtig. Nicht nur für ihn, sondern auch für meine Mutter und mich. Er brachte viel Geld ein und bot uns viele Möglichkeiten. Das Problem bei der Sache war nur, dass er oft im Ausland arbeitete und meine Mutter und ich zu Hause waren und dort auf ihn warteten. Und das manchmal sehr lange. Dadurch blieb die Arbeit mit dem Kind an meiner Mutter hängen. Auch wenn ich in gewisser Weise kein Kind mehr war. Ich hatte vor wenigen Wochen meinen Abschluss gemacht und konnte selbst arbeiten. Und das hatte ich auch vor. Meine Mutter arbeitete nachmittags im Büro. Allerdings nahm sie sich häufig frei, weil sie sich darum kümmern musste, dass zu Hause alles in Ordnung war. Sehr viel dieser Arbeit, die sie zu Hause erledigte, machte ich ihr. Deswegen hatte ich kurz vor meinem Abschluss angefangen, meine Zukunft zu planen, um meinen Eltern nicht länger auf der Tasche zu liegen. Ich hatte mich mehrmals beworben und Antworten würde ich in zwei Wochen erhalten. Weiterhin hatte ich mir eine Wohnung gesucht. Es war eine kleine, die für mich groß genug und leicht zu finanzieren war. Offiziell gekauft hatte sie meine Mutter, aber das Geld dafür kam ganz allein von mir. So lief die Wohnung auf meine Mutter, wurde aber von mir bewohnt und bezahlt. Eine gute Lösung für alle.

From human to wolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt