Kapitel 2

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Zögernd klopfte ich an die große Holztür, die zu Schwester Patrizias Büro führte. Obwohl die Tür schon sehr alt aussah, hatte sie noch keine einzige Schramme. Von drinnen vernahm ich ein leises, aber harsches "Herein!" und nachdem ich meinen Rock noch einmal richtig hingezupft hatte, trat ich ein. Schwester Patrizia saß an dem Platz hinter ihrem massiven Schreibtisch und davor saßen zwei große Männer in fremden Uniformen, die ich noch nie gesehen hatte. Wie denn auch, ich war hier in den Mauern des Klosters eingesperrt. Die Männer musterten mich von oben bis unten. "Wenn man ihr jetzt noch ihre Kleider anzieht, wird nicht mal Heray sie erkennen!", murmelte der eine Mann dem anderen zu. Sie waren beide sehr muskulös gebaut und sahen jeder auf seine Art unheimlich gut aus. Sie waren wahrscheinlich ein paar Jahre älter als ich. Einer der Männer, er hatte blonde Locken und strahlend blaue Augen, stand auf und streckte mir die Hand zur Begrüßung hin. Unter dem aufmerksamen Blick der Oberin ergriff ich sie und neigte den Kopf ein wenig. Seine Hand war stark und rau, als ob sie lange und hart gearbeitet hätte. Er schüttelte meine Hand und trat dann einen Schritt zurück. Der andere Mann, er hatte zurückgekämmte schwarze Haare und so grüne Augen wie ich es noch nie gesehen hatte, war  ebenfalls aufgestanden und schüttelte mir die Hand. "Du bist also Keera?"; fragte er mich und ich nickte eingeschüchtert. "Unsere Namen sind Thys und Philay und wir Ausgesandte des Königshofes Marenlander.", erklärte der Blonde. "Also damit du weißt, wer wer ist: Ich bin Thys und er ist Philay!", erklärte der schwarzhaarige mit einem Grinsen. Ich blickte die beiden verwirrt an, denn ich nicht die geringste Ahnung, warum sie hier waren. Ich überlegte, ob Schwester Patrizia mich etwa als Magd an diesen Königshof verkauften wollte, denn etwas anderes fiel mir nicht ein.

"Also Keera, es gibt ein kleines Problem bei dem du uns helfen musst.", sagte Philay und betonte das Wort kleines so komisch, dass ich mir vorstellen konnte, dass es wohl eher nicht so klein war. Ich hatte immer noch nicht den blassesten Schimmer, bei dem was ich, als Vollwaise ohne Geld, zwei Abgesandten eines Königshofes helfen könnte. Vielleicht waren sie auf der Durchreise und ihre Pferde hatten Durst und ich sollte sie nun am Brunnen tränken. "Folgendes: Vor ein paar Tagen ist die Königin unseres Reiches, Amelia, verschwunden. Zuerst dachten wir, sie würde im umliegenden Gebiet zelten oder die Natur entdecken, aber inzwischen ist sie schon so lange weg, dass wir uns echte Sorgen machen! Vor allem hat sie niemandem Bescheid gegeben, wohin sie geht, deswegen müssen wir befürchten, dass sie nicht ganz freiwillig gegangen ist!", fuhr er fort. "Das... tut mir leid.", sagte ich kurz angebunden, um mir nicht anmerken zu lassen, dass ich log. Solche Worte konnten gar nicht die Wahrheit sein, wenn ich diese verschwundene Frau gar nicht kannte. "Und genau da kommst du ins Spiel: Da die Königin dir gleicht wie ein Ei dem anderen, was verständlich ist, da ihr Zwillinge seid, wirst du sie vertreten, bis sie wieder auftaucht." Ich lachte ungläubig und blickte zwischen den beiden Männern hin und her. Als die Mienen der beiden ernst blieben, entwich mir ein Keuchen. Nein, das konnte nicht sein, es musste sich um ein Irrtum handeln, ich konnte keine Schwester haben. Ich lebte solange in diesem Kloster, dass ich mich an etwas anderes gar nicht mehr erinnern konnte. Thys, der meinen erschrockenen Blick bemerkt hatte, legte mir eine Hand auf die Schulter. "Ich verstehe, dass das ein Schock für dich sein muss, aber du musst uns wirklich helfen. Es gibt schon lange Unruhen im Volk und wenn sie merken, dass ihre Königin nicht da ist, wird sich die Lage nur zuspitzen!" Ich achtete gar nicht auf seine Worte, denn meine Gedanken kreisten nur um einen Satz: Wenn ich eine Zwillingsschwester hatte, dann waren meine Eltern sicher auch auf diesem Königshof. "Wo... wo sind meine Eltern?", krächzte ich. Thys Gesicht wurde mitfühlend und weich. "Sie weilen nicht mehr unter uns. Sie sind vor einigen Jahren bei einem Angriff ums Leben gekommen.", sagte er leise. Meine Füße sackten unter mir weg und Thys musste sehr schnell reagieren, um mich noch rechtzeitig aufzufangen, bevor ich auf den Boden stürzte. Er stellte mich wieder auf die Beine und ließ mich los, stand aber ganz nah neben mir, falls ich nochmal umkippen würde. Plötzlich stand Schwester Patrizia von ihrem Schreibtischstuhl auf und fuhr Thys an: "Wagt es ja nicht, nochmal eines von meinen Mädchen anzufassen, denn dazu sind sie nicht erzogen. Normalerweise dürfen sie ja noch nicht mal mit einem Mann sprechen!" Um Philays Mundwinkel zuckte es verdächtig amüsiert. Doch an so etwas konnte ich jetzt gar nicht denken, denn in meinem Herz tat sich ein Riss auf: Warumaren meine Schwester und meine Eltern auf diesem Hof, während ich mein ganzes Leben in diesem grausamen Kloster verbracht hatte? "Warum...?", wollte ich die Frage formulieren, doch meine Stimme versagte. Doch Philay erahnte wohl, was ich wissen wollte. "Du und Amelia, ihr seid eineiige Zwillinge, doch Amelia kam wenige Minuten vor die auf die Welt. Die Königsfamilie darf nur ein Kind haben, damit es nicht zu Erbstreits kommt, aus denen in der Vergangenheit schon oft ein Krieg geworden ist. Wenn herausgekommen wäre, dass es zwei potenzielle Thronfolger gibt, hätten die Feinde des Königs dich umgebracht. Also entschlossen deine Eltern schließlich schweren Herzens, dich in ein Kloster zu bringen, in dem du sicher sein würdest."

Mir wurde erneut schwindlig und ich wollte mich setzen, doch Schwester Patrizia hielt mich ab: "Keera, deine Taschen sind bereits gepackt und du und die Männer-", bei dem Wort schaute sie die beiden Männer angeekelt an, "werdet in wenigen Minuten aufbrechen!" Ich sah sie entgeistert an, denn niemals hätte ich damit gerechnet, dass sie mich mit diesen -in ihren Augen- Bastards mitgehen lässt. "Wir warten im Hof auf dich. In 10 Minuten fahren wir los. Verabschiede dich von deinen Freundinnen.", sagte Thys mit einem Blick, der ihn zum Gehen aufforderte, zu Philay. Die beiden gingen zur Tür raus und den Gang entlang in Richtung Innenhof. "Also ich hoffe, für dich und für mich, dass das das letzte Mal ist, dass wir uns sehen!", sagte Schwester Patrizia mit einer eiskalten Stimme, die mir noch mal ins Gedächtnis rief, wie sehr ich diese Frau und diesen Ort hasste. 



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