Die unbarmherzige Wildnis

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Es war meine Unbekümmertheit, vielleicht aber auch die intensiven Gedanken, die mich gerade beschäftigten und die mich unvorsichtig werden ließen. Ich hatte gerade das Lagerfeuer entfacht und beugte mich über den Kaffeekessel, als ich ein leises Knacken hinter mir hörte. Doch für eine Reaktion war es zu spät. Ich bekam einen derben Schlag an den Kopf, der mich ins Reich der Träume schickte. Keine Ahnung, wie lange ich dort gelegen hatte. Mit furchtbaren Kopfschmerzen wachte ich auf. Stöhnend und nicht wissend was eigentlich geschehen war, rappelte ich mich hoch. Schwankend und mir den Schädel haltend, stand ich da. Das Feuer war bis auf ein Häufchen Glut erloschen. Dunkelheit umgab mich, während ich mit zittrigen Fingern ein paar dürre Äste in die Glut schob. Das Herunterbücken und Anblasen des Feuers ließ fast meinen Schädel platzen. Stöhnend setzte ich mich hin, betastete meinen Kopf, an dem das Blut herunterlief und sortierte erst mal meine Gedanken. Wie ein Greenhorn hatte ich mich überrumpeln lassen. Verdammt, wie konnte ich auch dermaßen blöde sein?

Ich hatte doch mittlerweile gelernt, wie man sich hier verhält. Hatte mir alle Tricks und Schliche von Ethan zu eigen gemacht. Und trotzdem kam ich mir jetzt vor wie der letzte Schuljunge. Zorn kam in mir hoch, doch den musste ich im Zaum halten. Suchend und fluchend blickte ich mich um und kramte in meinen Taschen herum. Na klar. Mein Geld war weg, ebenso hatte man mir den Revolvergurt geklaut. Sogar meinen schönen schwarzen Stetson mit dem silbernen Hutband hatten der oder die Kerle mitgehen lassen. Dann bemerkte ich, dass auch mein Wallach nicht mehr an dem Baum stand, wo ich ihn angebunden hatte. Wütend hieb ich mit der Faust auf den Boden, meine Ohren wurden heiß, was immer dann passierte, wenn ich mich maßlos über etwas ärgerte. Doch der Zorn galt weniger dem Überfall, sondern eher meiner Unvorsichtigkeit und Dummheit. Doch ich musste mich wieder beruhigen. Wut und Zorn brachten mich jetzt nicht weiter. Also legte ich noch einige dickere Äste aufs Feuer, wickelte mich in meine Decke und versuchte trotz des Schädelbrummens ein wenig zu schlafen. Am nächsten Tag würde ich mir dann überlegen, wie es weiterging.

Ich war schon seit Stunden unterwegs. Das Laufen fiel mir schwer. Zumal die Sonne schon wieder unbarmherzig vom Himmel schien und die Luft zum Wabern brachte. Vor mir lag nichts wie Sand, Geröll und rote Felsen. Ganz in der Ferne erkannte ich die Umrisse eines Gebirges. Ansonsten war weit und breit nichts zu sehen als endlose Ödnis. Verdammt noch mal, wie sollte man hier ohne Pferd weiterkommen? Hier gab es keinen Weg und Steg und ohne Pferd war man in dieser Wildnis verloren. Das Schlimmste war, dass meine Wasserflasche nur noch Viertel voll war. Zum Glück hatte man mir die wenigstens noch gelassen. Doch viel zu schnell neigte sich der Vorrat zu Ende und gierig lutschte ich den letzten kleinen Tropfen heraus. Und so taumelte ich weiter, in der Hoffnung Wasser zu finden und Menschen zu begegnen. Ich schluckte öfter aus Reflex, doch meine Kehle blieb trocken. Kein Tropfen war geblieben nach dem letzten Schluck. Der Schweiß rann mir über das Gesicht und wiederholt musste ich mir die salzige Feuchtigkeit aus den Augen wischen. Wie schon einmal, hatte ich wieder dieses Gefühl des Verlassenseins. Bei manchen Menschen, in solch einer Situation, kann das zu einer echten Panik führen. Ja, es sind schon viele Reisende in solchen Gebieten gestorben. Einfach nur, weil sie verdursteten, aber auch dadurch, dass sie sich verirrten, und dann einfach liegen blieben. Sie fanden keinen Mut, keine Kraft mehr, um weiter zu kämpfen. Und sie wussten nicht, wie sie überleben konnten. Die Wildnis ist voll mit Gräbern solch armer Seelen. Ich aber wollte leben. Nach jeder Verschnaufpause rappelte ich mich wieder mühsam auf und setzte einen Fuß vor den anderen.

Es beherrschte mich nur eine Angst. Hier im Sand liegen zu bleiben und langsam zu verdursten. Und dann kamen wieder diese Gedanken, die sich nicht verdrängen ließen. Gedanken an meine Leute zuhause. Und aus dem Nebel der Erinnerungen schälte sich das Bild meiner alten Heimat. Das Dorf, wo ich aufwuchs. Die Menschen, mit denen ich verbunden war und plötzlich sehnte ich mich nach dieser dörflichen Idylle zurück. Nach der Sicherheit der Gemeinschaft, nach den Wäldern, die so frisch und würzig rochen nach einem warmen ergiebigen Landregen und es erschien das Gesicht von Rosemarie vor meinem geistigen Auge, wie sie mir zulächelte und winkte. Doch allmählich zerflossen diese Bilder wie hinter einer milchigen Scheibe, lösten sich auf, bis nichts mehr übrigblieb, als nur noch nebulöse verschwommene Erinnerungsfetzen. Vor meinem geistigen Auge tauchte das Gesicht von Stella auf. Wurde immer deutlicher und sie schien mir etwas sagen zu wollen. Doch ich konnte es nicht hören. Stella! Ihre Gestalt erwuchs aus dem Nichts und wurde so deutlich und real, dass ich unwillkürlich die Hand nach ihr ausstreckte. Wieso erschien sie mir jetzt so deutlich? War es eine Eingebung? Irgendeine Form von geistiger Verbindung? Plötzlich war sie wieder verschwunden. Eine geisterhafte Erscheinung, die mir aber plötzlich und in völliger Gewissheit klarmachte, was ich wollte. Ich wollte Stella wiedersehen. Ich musste sie wiedersehen. Wenn mir bis jetzt noch nichts derart deutlich gemacht wurde, wie diese Erkenntnis, dann war es diese Sehnsucht und das unbändige Verlangen zu leben und alles zu tun, um aus dieser misslichen Lage wieder herauszukommen. Und dieser Wille erhielt mich am Leben.

Hinter dem fernen HorizontWhere stories live. Discover now