The first glow of dusk

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›Thanks for the tens of thousands of memories you've created‹ haben sie in seinen Stein gemeißelt, als sie seinen kalten, schon vollkommen erstarrten und wieder aus der Totenstarre gelösten Körper in das eisige, feuchte Grab hinabließen. Die anwesenden Gäste sind festlich gekleidet und Trauer ziert ihre Garderobe und ihre Gesichter gleichermaßen. Die Lider schwer, die Gesichter bedrückt und gerötet von all den Tränen, die ihm zuliebe die Augen der Hinterbliebenen verlassen hatten. Der Wind heult in den alten Zweigen des blattlosen Baumes, der seine Residenz in der Mitte des Friedhofs aufgeschlagen hat, der wohl schon hier war, als an diesen Mann zu seinen Wurzeln noch nicht einmal zu denken war und der auch noch da sein wird, wenn er längst vergessen ist. Seine knorrigen Äste reichen bedrohlich über die ausgehobene Grube, greifen regelrecht nach dem Toten, der dort zur letzten Ruhe gebettet werden soll. Es wirkt, als wolle er mit seinen trockenen, toten Fingern nach der Seele des Verstorbenen greifen, als wolle er ihn in der Zwischenwelt zwischen dem Hier und dem dort, dem nah und dem fort, dem jetzt und dem dann gefangen halten. Ein Junge schluchzt, seine kleinen, blassen Hände wischen sich die Tränen aus dem Gesicht und eine blonde, zierliche Frau umgreift seine Schultern und weint bitterlich.

Alles in allem ist es ein durchschnittliches, normales Begräbnis, wie man es schon zu dutzenden in Film und Fernsehen bestaunen durfte. Nichts, was ihn sonderlich beeindrucken würde. Er steht nur da und beobachtet, ein Schatten in der Masse, die Augen nur starr und regungslos auf das Grab gerichtet, wie er es schon so oft getan hat. Der Sarg des Verschiedenen ist geschlossen, denn niemand, wirklich keiner hätte eine offene Bestattung auch nur in Betracht gezogen. Diesen Anblick hätte niemand ertragen können, egal wie eisern der Wille und wie stark der Magen auch sein mag. Denn den Körper des Toten ziert ein Sammelsurium an Stich- und Schnittwunden, eine grässlicher und tiefer als die andere. Sein Gesicht ist vor Schmerz und Entsetzen ganz verzerrt und bietet einen grausigen Anblick, der jedem Menschen das Blut in den Adern gefrieren lassen muss. Nun ja, jedem normalen Menschen zumindest, jedoch nicht ihm.

Er, dessen Gesicht keine Regung ziert, er, dessen Augen etwas beleidigt funkeln, wo doch sein Werk so schändlich verschleiert wird, er ist es, dem dieser Tod ein leichtes, überschwingliches Gefühl verleiht, das ihn beinahe schweben lässt. Er liebt den Kick, er liebt das Leid, das Schluchzen und Weinen der Verlassen, das Schreien und Wimmern der Opfer und nicht zuletzt das weiche, zarte Geräusch, wenn sich seine Klinge durch das lebende Fleisch seiner Gäste schneidet, wenn er Muskel und Sehne durchtrennt, als wäre es nichts als geschmolzene Butter. Ein kleines, unmerkliches Lächeln durchzieht sein sonst so wie aus Stein gehauenes Gesicht und er legt den Kopf leicht schief, betrachtet die weiteren Anwesenden interessiert, aber ohne dabei sonderlich auf sich aufmerksam zu machen. Er ist nur einer von vielen, einer derer, die den Toten nur aus den Medien kennen, die ihm seinen Respekt zollen oder sich von ihm verabschieden wollen.

›Dafür, dass er so wichtig war, ist die Beerdigung ziemlich...schwach‹, denkt er und seufzt schwermütig auf. Da hat er sich schon so viel Mühe gegeben, ihn so schön her- und hingerichtet, seinen Körper in ein Kunstwerk verwandelt und ihm so viel Liebe mit auf seinen letzten Weg gegeben und wie danken sie es ihm? Mit diesem Witz von Beisetzung. Er wird langsam wütend, dass sie ihn nicht zeigen, dass die Presse es nicht ausschlachtet, dass sie seine Arbeit nicht würdigen. Eine kühle, erfrischende Brise umspielt sein Haar und sorgt dafür, dass er kurz die Augen schließt, damit sich sein Gemüt etwas abkühlen und er sich entspannen kann. Nur nicht aufregen ist die Devise, die er sich gesetzt hat, denn aufregen bedeutet auffallen und auffallen führt umgehend zur Niederlage. Ein kurzer Blick in die Runde bestätigt seinen Verdacht: Es wimmelt vor Ermittlern, ob in Uniform oder in Zivil. Überall lauern sie, schnüffeln sie, suchen sie nach ihm und einem Weg, ihn zu schnappen. ›Ob sie ahnen, dass ich hier bin..? Was für eine Frage. Natürlich ahnen sie es.‹ Er zieht sich kurz in sich selbst zurück, um das psychopatische Grinsen nicht nach außen treten zu lassen, das seinen Geist ziert. Dann verneigt er sich noch einmal vor dem Sarg, legt eine rote Rose auf das mahagonifarbene Holz und spricht ein kurzes, auswendig gelerntes Vater unser, das er mit keiner Silbe so meint, wie er es sagt. Er ist alles andere als gottesfürchtig, im Gegenteil. Der junge Mann vertritt die Ansicht, dass er nicht am Leben sein dürfte, wenn es wirklich so etwas wie einen Gott geben würde. ›Also... wo ist dein Gott nun? Wo war er, als ich dich in meinen Händen hielt? Als du deine schmerzerfüllten Todeswünsche in den Himmel geschrien hast? Nicht er war es, der dich befreit hat.. ich war es.‹

Er dreht sich um und schlängelt sich gekonnt durch die Reihen der Anwesenden, bereit diese Veranstaltung zu verlassen, als ihm ein seltsam angenehmer Geruch in die Nase steigt. Ein Schauer durchfährt seinen Körper und er bleibt abrupt stehen, sucht mit gierigen Augen nach dem Ursprung dieses Duftes. Es ist ein natürlicher, männlicher und durch und durch anziehender Geruch, etwas, das man nie mit diesen künstlich hergestellten Odeurs erreichen könnte. Er setzt seinen Weg fort, läuft langsam und neigt seinen Kopf leicht zur Seite, als er sein Ziel erfasst hat. Seine Beine tragen ihn weiter, seine Augen fixieren ihn mit vorsichtigem Interesse und ein leichtes Lächeln erscheint auf seinen Lippen. Aber all das ist nichts, das dem anderen groß auffallen dürfte, denn auch er sieht sich mit wachsamen Augen um, den Blick konzentriert auf die Masse gerichtet. Sein schwarzbraunes Haar wirkt unglaublich weich und flauschig, nimmt ihn richtig gefangen und er muss dem Drang widerstehen, es berühren zu wollen. Eine große, aber gut gepflegte Hand streicht sich eine der verirrten Strähnen aus der Stirn und gibt den Blick frei auf die wundervoll leuchtenden, dunkelgrünen Augen seines Gegenübers. Das Licht verfängt sich in den Farbpigmenten seiner Iris und erschafft so eine wunderbare Illusion, zeigt Farben auf, die sich unter der ersten, groben Schicht des dunklen Farbtons zu verbergen scheinen und die seine Augen mit so viel Leben füllen, dass es dem stillen Beobachter gar die Sprache zu verschlagen droht. Er muss heftig schlucken, um nicht noch tiefer darin zu versinken und ihn nun doch offensiv anzustarren. Sein Blick wandert nur ganz kurz auf den mehr als gut gebauten Körper seinen Gegenübers, schweift über seine breiten Schultern und seine im Gegensatz dazu schon fast feminin wirkende Taille und fällt schließlich auf das kleine, glänzende Stück Metall, das an seinem Gürtel angebracht ist: Seine Dienstmarke.

Seine Augen weiten sich, nun doch ziemlich überrascht, und er kann das Grinsen nun nicht mehr verbergen. ›Ein Cop also..? wie spannend.. so einen hatte ich noch nie..‹ Der Polizist in Zivil bemerkt natürlich nichts von alldem und scheint irgendwie in Gedanken versunken zu sein, lässt seinen Blick umherwandern und wagt es sich kaum zu blinzeln. ›Wie gern ich diese markante Fassade doch zerbrechen würde...‹, denkt der Killer insgeheim und beschließt, seinen Weg fortzusetzen, verlässt die Veranstaltung und wird eins mit den Schatten. So, wie er es immer tut, wenn er sich ein neues Ziel erwählt hat.

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