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Das nervige Piepen um mich herum weckt mich auf. Woher kommt das nur? Ich bewege zuerst meine Finger vorsichtig, dann meine Zehen und meinen Kopf, bevor ich langsam meine Augen öffne. Es dauert ein bisschen bis ich eine klare Sicht habe und die Blumen neben mir auf dem Nachttisch erkenne. Ich bin so unglaublich müde, als hätte ich die Nacht getrunken, reibe mir deshalb mit meiner Handfläche über mein Gesicht.

Doch ich bemerke, dass da etwas fest geklebt ist. Bei genauerem Betrachten glaube ich eine Kanüle zu sehen. Verwirrt schaue ich mich um, entdecke Ji Yong, der neben mir sitzt und schlimm aussieht. Seine Haut ist blass und unter seinen Augen zeichnen sich dunkle Ringe ab. Er schaut auf seine Hände, sodass ihm seine orangenen Haare ins Gesicht fallen.

„Was ist passiert?“, frage ich leise und versuche mich aufzurichten, als ich einen schrecklichen Schmerz spüre, da wo sich mein Kind befindet. Ji Yong hebt den Kopf und schaut mich erleichtert an. „Du bist wach! Gott sei Dank du bist wach! Ich hole einen Arzt“, sagt er aufgeregt. Ich verstehe nicht was los ist, als er das Zimmer verlässt. Ich richte mich noch ein Stück mehr auf, aber der Schmerz ist unerträglich, weshalb ich mich wieder zurück fallen lasse. Ich streiche mir über meinen Bauch, um dem Kind zu zeigen, dass seine Mutter da ist.

Doch etwas ist anders. Mein Bauch ist kleiner und nicht mehr so kugelrund wie sonst. Was ist hier los? Was hat das alles zu bedeuten? Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich ins Krankenhaus gekommen bin, weil Seunghoon angerufen hat. Warum weiß ich nicht mehr.

Ji Yong ist schnell zurück, mit einem Arzt und einer Schwester an seiner Seite. „Ah, Frau Park. Sie sind endlich wach. Wie geht es ihnen? Irgendwelche Schmerzen?“, erkundigt er sich. Ich nicke und weise ihn auf meinen Unterleib hin. „Das ist normal, Frau Park, das was sie jetzt brauchen ist viel Ruhe. Schlafen sie noch ein wenig, dann können wir ihnen erzählen, was passiert ist. Falls sie etwas wegen den Schmerzen brauchen, sagen Sie Bescheid.“

Der Arzt will gerade wieder gehen, als ich ihn am Kittel fest halte und ein Halt! hinterher rufe. „Sagen Sie mir was passiert ist. Bitte“, flehe ich. Ich sehe, wie schwer ihm das fällt. Dennoch dreht er sich wieder zu mir um, nimmt sich einen Stuhl und setzt sich zu mir. Was hat er denn? Was kann so schlimm sein, dass er sich so schwer hat? Will ich es wirklich wissen?

„Wir mussten bei ihnen einen Notkaiserschnitt durchführen, Frau Park. Sie haben ihre Wehen viel zu früh bekommen, durch die Aufregung. Wir haben versucht das Frühchen zu retten. Aber unsere Bemühungen haben nichts gebracht.“ Er macht eine kurze Pause. „Ihr Sohn ist tot, es tut mir leid.“  Ich spüre Tränen meine heiße Wange hinunter fließen. Mein Herz fängt an zu schmerzen und Traurigkeit füllt meinen Körper, wie schwarzer Teer den Graben, aus dem eine neue Straße entsteht.

Ich schaue zu Ji Yong, der auch traurig aussieht. Aber er ist stärker als ich, weint nicht. Oder er hat schon geweint. Er nimmt meine Hand und drückt sie fest. Aber dieser Halt, der mir sonst immer hilft, schafft es nicht die Traurigkeit aus meinem Körper zu spülen. Ich habe mein Kind verlorenen. Das worauf ich mich am meisten gefreut habe. Ich habe meinen Sohn jetzt schon über alles geliebt. Und ich weiß noch nicht einmal wie es dazu kommen konnte.

Doch mehr ertrage ich heut nicht mehr. Ich will niemanden mehr sehen, nur allein sein und trauern. Ich werde das kleine Bündel niemals in meinen Armen halten können. Ich werde den Jungen nie stillen und anziehen können, weil er gestorben ist, noch bevor ich ihn überhaupt zu Gesicht bekommen habe. Es ist als wäre er niemals da gewesen, aber hinterlässt dennoch eine eiskalte Leere.

Die Schmerzen an meinen Bauch sind auf einmal vergessen, machen Platz für die in meinem Herzen. Mir ist weder kalt noch warm. Ich habe keinen Hunger, noch bin ich satt. Diese ganz normalen Bedürfnisse scheinen mir auf einmal fremd. Sie sind unwichtig. Alles was ich will ist es mein Kind in die Arme zu schließen. Doch das kann ich nicht.

Ich fange an zu schluchzen. Es kommen keine Tränen mehr. Dafür zittere ich, mein ganzer Körper bebt, lässt mich meine Verzweiflung nur um so besser spüren. So lange bis ich einfach nur geschafft wieder einschlafe.

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Hi, Freunde. Heute kommen die letzten Kapitel. Ich hoffe ihr seid mir nicht allzu böse.

ᶜʰᵃⁿᵍᵉᵈ ˡᵒᵛᵉ  ɢ-ᴅʀᴀɢᴏɴWo Geschichten leben. Entdecke jetzt