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"Ich bitte Sie nun um Ihre Aufmerksamkeit für den letzten Auftritt dieses Abends."
Madame Saint-Gelais sprach zu den Zuschauern in einem vorsichtigen Ton.
Ich hatte ihr gesagt, dass sie nicht erwähnen sollte, dass ich blind war.
Falls es jemand merken sollte, dann wüsste er es eben, aber ich wollte eine Benotung, die ebenso wie jede andere nur meinen Ausdruck und mein Tanzen bewertete und nicht den Blindheitsbonus.
Langsam schritt ich die abgezählte Schrittanzahl in die Bühnenmitte.
Die ersten Töne von Not afraid von Eminem schallten durch den Saal und ich hörte einige missbilligende Stimmen, was unsere Songauswahl anging
Die verstummten jedoch als ich mein Solo begann.
Ich begann mit den ersten Schritten und ließ mich in den Beat fallen.
Mein Herz sog die Lyriks auf, ich blendete jedes Geräusch um mich herum aus und konzentrierte mich auf mein Inneres.
Jede Drehung war im Beat, jeder Sprung wo er hingehörte und der Refrain beflügelte mich noch mehr.
Das hier war für mich, ich wollte mir beweisen, dass ich das konnte.
Es war nicht für die Zuschauer, oder Madame Saint-Gelais.
Ich tat das hier, weil ich es brauchte.
Tanzen war mein Leben und ich konnte nicht leben, ohne das Tanzen.
Ich wollte mich beweisen, weil ich wusste, was in mir steckte.
Immer tiefer saugte die Musik mich ein.
Wie viele Menschen hatten an mir gezweifelt?
Mein Vater.
Meine Lehrer.
Eric.
Sie alle hatten mich verlassen, hatten nicht an mich geglaubt und mich dazu gebracht, es ebenfalls nicht zu tun.
Irgendwas an dieser Situation ließ etwas in mir zerbrechen.
Eine Träne lief mir über das Gesicht, doch ich machte einfach weiter.
Bewegte mich zu der Musik als würde ich schweben.
Takt um Takt legte ich jedes Gefühl, dass sich in meinem Inneren aufgestaut hatte, nach außen, gab alles, versuchte mit meinen Bewegungen meine Gefühle und Gedanken auszudrücken.
Ich streckte jeden Zentimeter meines Körpers und ignorierte den Kloß in meinem Hals.
Immer mehr Tränen fielen auf meine Wangen, doch ich tanzte weiter, ließ die Zeilen in mein Inneres eindringen und genoss mein schmerzendes Herz beinahe.
Es war befreiend.
Langsam ging ich zu Boden, drehte mich immer weiter, Pirouette um Pirouette ging ich weiter in die Knie und ließ mich schlussendlich auf den Bühnenboden fallen.
Die Musik machte eine Pause.
Es war still.
Ich presste das Gesicht auf den Boden und ließ den Tränen freien Lauf.
Dann spürte ich eine Hand auf meiner Schulter.
Sebas war da, ein warmes Gefühl durchströmte mich.
Langsam richtete ich mich ein wenig auf, ich hörte Sebas' Bewegungen trotzder Musik deutlich neben mir.
Er griff mir um die Taille und als die Musik wieder einsetze, hob er mich hoch und ließ mich einmal über seinen Kopf schweben.
Langsam setzte er mich ab und drehte mich zu sich.
Sebas strich mir die Tränen von den Wangen undl ieß die langsamen Zwischentakte auf uns wirken.
Es war magisch, still und so wundervoll.
Ich streckte mich so schön ich konnte, denn das war der Teil in dem ich jedem um mich herum zeigte, dass ich es konnte.
Die Takte waren sanft und das obwohl Eminem immer noch sang und ich lehnte mich in Sebas' Armen zurück, so weit ich konnte.
Dann, auf Kommando, tanzten wir um unser Leben, jede Bewegung aufeinander abgestimmt, jede Hebefigur so wie sie sein sollte, kein Schritt war daneben und plötzlich kamen mir die Tränen, weil ich spürte, wie gut es mir tat.
Zu zeigen, dass ich etwas konnte.
Zu zeigen, dass ich trotz Blindheit ein Duett bei einem Wettbewerb tanzen konnte.
Sebas und ich tanzten zusammen, wie ich noch nie mit jemandem zuvor getanzt hatte.
Nicht mal als ich noch sehen konnte, war das Tanzen so frei, so unbeschwert.
Jede Hebefigur fühlte sich wie Fliegen an und jede von Sebas' Berührungen sendete einen Schauer über meine Haut.
Je länger wir tanzten, desto mehr Tränen der Erleichterung, liefen über mein Gesicht und dennoch tanzte ich.
Ich tanzte, weil ich es liebte, weil es mein Leben war und genau das zeigte ich dem Publikum.
Der finale Sprung ließ mein Herz schneller schlagen und als ich auf den letzten Beat auf dem Boden aufkam, eingewickelt in Sebastians Arme, zog ich sein Gesicht näher an meins heran und küsste ihn.
Ohne zu zögern erwiderte er den Kuss und zog mich noch näher an sich.
Lange hatten wir diesen Moment nicht für uns, denn der Applaus brach über uns zusammen wie ein Gewittersturm und wir verbeugten uns. Wieder liefen die Tränen über mein Gesicht, doch ich lachte vor Glück.
Sebas' Arm lag eng um meine Taille, er drehte mich ein wenig und ich vermutete, dass wir uns vor dem Publikum und der Jury verbeugten.
Es würde nun einige Minuten dauern, bis wir die Ergebnisse bekommen würden, doch allein die Tatsache, dass ich wieder auf einer so großen Bühnegetanzt hatte, war für mich schon alles was ich wollte.
Wir verbeugten uns ein weiteres mal und gingen dann hinter die Bühne.
Kaum waren wir allein, als wir in die Umkleide kamen, zog Sebas mich an sich und küsste mich wieder.
Wir brauchten keine Worte, jede Berührung sprach für sich.
Ich erwiderte den Kuss, vergrub meine Finger in seinem Haar und schmiegte mich in seinen Griff.
Langsam strich seine Zunge über meine Unterlippe, wollte den Kuss weiter intensivieren und ich ließ es nur zu gern geschehen. 
Seine Zunge neckte meine, sie berührten einander vorsichtig und zogen sich wieder zurück, doch lange waren wir nicht in diesem ruhigen Vortasten, sondern wir fielen schon bald regelrecht übereinander her, als Sebas mich hoch hob und gegen die Wand der Umkleide presste.
Ich war in dem Moment so froh, dass ich ein zweiteilliges Outfit anhatte, was bedeutet, dass ich das riesige störende Tutu einfach abstreifen konnte und ihn somit noch näher an mich ziehen konnte.
"Ich liebe dich."
Seine Stimme war nur ein heißeres Keuchen.
Meine Lippen waren immer noch leicht salzig von all den Tränen, doch das machte den Kuss auf skurrile Weise nur noch besser.
Es machte den Moment realer. 
"Ich liebe dich auch."

AN: Kapitel 22 ist das letzte Kapitel, danach kommt dann nur noch der Epilog. Könnt ihr es glauben, bald sind wir fertig mit Amys und Sebas' Geschichte...
Ich hoffe, es hat euch gefallen :)
Lasst doch ein Vote oder Kommentar da 😊
Alles Liebe,
Lena

Night changes everything (Deutsch) *abgeschlossen*Where stories live. Discover now