Ohne Erinnerung

2.2K 151 21
                                    

„Yaku-san, warte!"

Aber der kleine Libero dachte gar nicht daran. Stattdessen beschleunigte er seine Schritte sogar noch, auch wenn sein Kopf davon zu explodieren drohte. Er hätte wirklich nicht so viel trinken dürfen, Spiel hin oder her. Jetzt hatte er den Salat, dass er sich an nichts erinnern konnte. Dass er vorhin nur mit Boxershorts bekleidet neben einem schlafenden Lev aufgewacht war, verbesserte die Situation nicht gerade. Genauso wenig wie das Gefühl von Schmetterlingen im Bauch, als er den silberhaarigen Jungen friedlich neben sich hatte schlafen sehen.
Das war aber wenigstens verschwunden, denn sobald Yaku sich aufgesetzt hatte, fing sein Kopf an zu dröhnen. Fluchend hatte er seine auf dem Boden verteilten Kleidungsstücke zusammengeklaubt und angezogen. Warum sie dort lagen, wusste er nicht und im Moment wollte er auch nicht darüber nachdenken. Denn Lev war durch sein Fluchen wach geworden und verfolgte ihn nun auf offener Straße. Im Katzenpyjama.

„Yaku-san! Wir können doch darüber reden!"
Der Kleinere wollte aber nicht reden. Er wollte einfach nur in Ruhe seinen Kater auskurieren und das Erlebnis von heute Morgen vergessen. Lev aber, der ja viel größer war als Yaku, machte ihm mit wenigen großen Schritten einen Strich durch die Rechnung, indem er sich vor ihn stellte. Yaku knurrte genervt auf.
„Geh aus dem weg Lev und lass mich in Ruhe!"
Er machte eine unwirsche Handbewegung und erwartete, dass Lev ihm Folge leisten würde. Dieser blieb allerdings mit verschränkten Armen vor ihm stehen und starrte auf ihn herunter. Nicht zum ersten Mal wünschte sich Yaku, größer zu sein. Levs ernster Blick kribbelte auf seiner Kopfhaut.
„Ich will nicht, dass du nach gestern Abend einfach so weggehst, Yaku-san. Das war schließlich ein sehr bedeutender Tag für uns."
Fragend legte Yaku den Kopf schief.
„Was ist gestern denn passiert?", fragte er nun doch etwas neugierig. Auch wenn er hoffte, dass es nichts mit seinem fast kleiderlosen Erwachen zu tun hatte.
Levs Augen weiteten sich und mit errötenden Wangen wandte er den Blick ab.
„Machst du dich wieder über mich lustig, Yaku-san?", fragte er mit einem unsicheren Unterton in der Stimme.
„Was? Nein. Ich habe aber einen kompletten Filmriss und kann mich an nichts mehr erinnern. Ich schwöre, ich werde nie wieder Flaschendrehen mit euch spielen, wenn Kuroo und Yamamoto dabei sind."
Bei den letzten gemurmelten Sätzen wurde sein Blick wütender und seine rechte Hand ballte sich zur Faust. In seinen Gedanken stellte er sich vor, wie er ihrem Kapitän und ihrem Ass das blöde Grinsen aus dem Gesicht schlug. Natürlich wusste er, dass das reines Wunschdenken war, die beiden waren dafür zu groß, aber einige Arschtritte würden es auch tun.
So in Gedanken versunken bemerkte Yaku nicht, wie Levs Gesichtsausdruck von entsetzt wechselte und er einige Schritte zurückstolperte. Erst als der Grünäugige an Yaku vorbei zurück in Richtung Kuroos Haus ging, in welchem sie übernachtet hatte, kam der Libero wieder zur Besinnung. Lev war allerdings schon einige Schritte entfernt.
„Oi, Lev! Was ist denn gestern Abend nun passiert?"
Der Halbrusse blieb stehen und schaute Yaku mit einem so traurigen Lächeln an, dass dem Braunhaarigen der Atem stockte.

„Nichts, Yaku-san. Wir haben Flaschendrehen gespielt, du hast zu viel getrunken, bist eingeschlafen und ich habe dich hoch in Kuroos Gästezimmer gebracht. Das wars."
Damit drehte er sich wieder um und ging weiter. Misstrauisch folgte Yaku ihm mit seinen Blicken. Lev war ein schlechter Lügner. Kurz überlegte er, ob er dem Silberhaarigen folgen sollte, ließ es dann aber und ging stattdessen nach Hause, um seinen Kater mitsamt Kopfschmerzen loszuwerden.


***

Zwei Tage später ging Yaku zwar müde, aber ohne Kopfschmerzen vom Schulgelände zur Turnhalle, schon umgezogen und mit dem Paar Turnschuhe in der Hand. Levs komisches Verhalten von Samstag hatte er schon wieder vergessen oder bessergesagt erfolgreich verdrängt. Denn jedes Mal, wenn er daran zurückdachte hatte er das Gefühl, etwas wirklich Wichtiges vergessen zu haben, aber gleichzeitig wurden seine Gefühle jedes Mal beflügelt. Er ging also davon aus, dass er etwas positiv Wichtiges vergessen zu haben, was das alles aber auch nicht einfacher machte.

Yaku freute sich schon auf das Training, auf die ihm zugespielten Bälle, die er würde retten müssen. Auf das Adrenalin, welches seine Müdigkeit vertreiben würde. Und auf irgendetwas, was er nicht benennen konnte, aber ein angenehmes Flattern in seinem Bauch und einen schnelleren Herzschlag verursachte.
Mit einem Ruck schob Yaku die Tür der Turnhalle lautstark auf und sämtliche Augen lagen auf ihm. Noch während er seine Schuhe wechselte, wartete er darauf, dass Lev auf ihn zugestürmt kam und ihn wie jedes Mal vorfreudig begrüßte. Aber Lev kam nicht. Verwundert sah Yaku auf. Der große Mittelblocker schaute ihn aus traurigen Augen an, bevor er sich wieder Kenma zuwandte.
Wieder kannte Yaku den Grund nicht, aber diese Geste versetzte ihm einen Stich in Richtung seines Herzens und seine Kehle schnürte sich zu. Mit einem mulmigen Gefühl machte er sich daran, sich aufzuwärmen.

***

„Oi, Kuroo! Sag doch einfach was los ist, aber hör auf die ganze Zeit so zu grinsen!"
Yaku war mit seinen Nerven am Ende. Er konnte sich nicht konzentrieren, verfehlte drei Viertel der Bälle und dass sein Kapitän ihn unentwegt dreckig angrinste, verschlimmerte alles nur noch. Jetzt kam der Schwarzhaarige auf den Nekoma-Libero zu und blickte mit auf die Hüfte gestemmten Händen überlegen auf ihn herunter.
„Oya, oya, Yaku-kun. Seit wann redest du denn so mit deinem Team-Kapitän?"
„Seit es mir passt", giftete Yaku zurück, „Außerdem bin ich immer noch älter als du."
„Kann es sein, dass du frustriert bist, Yaku-kun? Willst du mir nicht sagen, was los ist?"
Yaku hatte eher das Bedürfnis ihm eine runterzuhauen, so überheblich, wie sich sein Gegenüber gerade aufspielte.
„Das geht dich nen Scheißdreck an, Kapitän."
Der Braunhaarige wandte sich um und war schon einige Schritte gegangen, ehe Kuroo ihm hinterherrief:
„Ist der Sex mit Lev so schlecht?"

...
Stille.
Jedes Geräusch in der Halle war verstummt, man hörte einen einzelnen Volleyball auf den Boden aufkommen.
Langsam, ganz langsam dreht Yaku sich wieder zu dem Mittelblocker um, der seine Worte schon anfing zu bereuen. Die Aura des Libero war rabenschwarz und man spürte quasi die Höllenflammen, die ihn umgaben.

„Was hast du gesagt?"
Yakus Stimme war gefährlich leise.
Kuroos Grinsen verrutschte und er räusperte sich nervös.
„Naja, ich dachte nur, wegen Freitag und so.. ähh"
„Was ist am Freitag passiert?" Die Stimme des Kleineren wurde sogar noch eine Spur düsterer.
Wie auch bei Lev weiteten sich Kuroos Augen, ehe er überrascht fragte:
„Du kannst dich an nichts erinnern?"
„Was glaubst du denn? Würde ich sonst fragen?!"
Yaku war sich durchaus bewusste, dass ihm noch immer alle zuhörten, aber das war ihm im Moment egal. Er wollte endlich seine Antworten.
Kuroo unterdessen sah seine Provokation eindeutig als einen Schuss nach hinten an und er versuchte sich noch irgendwie zu retten.
„Ähm, also duu... hastzuvielgetrunkenundbisteingeschlafen."

Eine der geschwungenen Augenbrauen Yakus wanderte skeptisch nach oben. War das echt alles? Er sagte das Gleiche wie Lev, aber irgendwie spürte er, dass das zumindest nicht die ganze Wahrheit war.
Unter den finsteren Blicke des Liberos brach dem Kapitän regelrecht der Schweiß aus und er hoffte, dass Yaku das so hinnahm. Hätte er vielleicht auch. Hätte Yamamoto nicht in diesem Augenblick laut durch die Halle gebrüllt, so dass es auch ja jeder mitbekam:

„Aber Yaku und Lev waren doch voll am knutschen und sind dann später in ein Zimmer verschwunden?!"

Erneute Stille während ausnahmslos jeder entsetzt zu dem Irokesenträger sah. Dieser fühlte sich auf einmal mehr als unwohl in seiner Haut und hob beschwichtigend die Arme.
„O-Oi, d-das war doch nur d-die Wahrheit. Es hat doch jeder von euch gesehen."
Langsam, Schritt für Schritt entfernte er sich von seinen Teamkameraden, bevor er plötzlich losstürmte, einen laut fluchenden Kuroo hinter sich.

Yaku rührte sich nicht. Wie vom Blitz getroffen stand er da, bewegte keinen Muskel. War das wahr? Ist das wirklich passiert? UND WARUM, ZUM TEUFEL, VERSPÜRTE ER DABEI KEINE ABNEIGUNG SONDERN LEDIGLICH GLÜCKSGEFÜHLE BEI DEM GEDANKEN AN EINEN KUSS MIT LEV IN SICH AUFKOMMEN?!

„Lev! Mitkommen!"
Angesprochener, und deutlich rot angelaufener, zuckte zusammen und folgte so schnell wie möglich seinem Senpai vor die Halle.

Vergessen (Haikyuu FF - Yaku x Lev)Where stories live. Discover now