Kapitel 6

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Ich war verrückt geworden. Das war die einzige Erklärung für mein Verhalten.

Eigentlich dachte ich, dass Aiden nur eine Art Schlaganfall hatte, aber irgendwie war die ganze Schule auf einmal in besserer Stimmung. Was hatte ich getan, dass mich die ganze Schule anguckte? Ich war doch unsichtbar, also warum sah mich jeder? Lag es am Vollmond?

Zum Glück hatte ich jetzt Mittagspause, weshalb ich den Blicken entkommen konnte. Ich lief also geradewegs zur Cafeteria, weil ich mir etwas zum Trinken kaufen wollte. Wegen den vielen Blicken wollte ich den Raum eigentlich nicht wirklich betreten, aber ich hatte große Lust auf einen Zitroneneistee.

Das waren diese Entscheidungen, die ich so sehr hasste. Ich ließ den Kopf gesenkt, als ich zum Automaten lief. Anscheinend ging ich nicht schnell genug, denn ich keuchte erschrocken auf, als mich eine Hand an der Schulter packte.

»Entspann dich, Schwesterchen. Ich bin's doch nur.«, sagte Ryder, während er mich angrinst und dabei wahrscheinlich stolz auf sich war, dass er mich erschreckt hatte. Ich schlug ihm auf die Brust, aber das brachte ihn nur noch mehr zum Lachen.

»Du hast mich erschreckt, Ry! Was willst du von mir?«, entgegnete ich und versuchte dabei wütend auszusehen, aber an seinen Lachtränen konnte ich sehen, dass ich alles andere als wütend aussah.

»Kannst du mir ein bisschen Geld fürs Essen leihen? Bitte, ich flehe dich an!«, fragte er und machte dabei einen Schmollmund.

»Hör auf mich so anzusehen. Ich hab dir diesen Blick beigebracht.«, sage ich.

»Hast du nicht.«

»Doch, hab ich.«

»Nein. Aber wir setzen diese Unterhaltung später noch fort. Bitte? «, fragt er. Ich griff in meine Tasche und kramte nach einem Schein, den ich ihm in die Hand drückte. Er wusste genauso gut wie ich, dass ich ihm jedes Mal Geld lieh, und er es mir jedes Mal zurückgab.

»Du schuldest mir etwas.«, sagte ich grinsend. Ryder grinste zurück, gab mir einen Kuss auf die Wange und ging dann zurück zu seinen Freunden. Ich verdrehte die Augen. Es war ein Wunder, dass mir nicht schwindelig wurde von dem ganzen Augenverdrehen.

Ich schnappte mir mein Getränk und drehte mich um, aber bevor ich den Kopf wieder senken konnte, trafen meine Augen die von Aiden, der bei seinen Freunden saß. Ich war wie zur Salzsäule erstarrt und gefangen in seinen wilden, undurchdringlichen Augen.

Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen und sein Gesicht wurde augenscheinlich wütend. Seine Augen wandten sich niemals von mir ab und es sah mal wieder so aus als könnte er mir direkt in die Seele schauen. Ich wusste nicht, ob er etwas darin gefunden hatte, weil ich von seinen Freunden befreit wurde, die Aiden's Aufmerksamkeit wieder auf sich zogen.

Erleichtert atmete ich auf, obwohl ich nicht einmal realisiert hatte, dass ich die Luft angehalten hatte, und ging aus der Tür, sodass sein Blick mich nicht mehr durchbohren konnte. Was ich jetzt brauchte, war frische Luft, damit ich wieder klar denken konnte. Vielleicht war das der Grund, weshalb ich es bevorzugte draußen zu essen.

Aber als ich unter dem Baum saß, unter dem ich mich immer aufhielt, war ich mehr als verwirrt. Was war denn heute mit Aiden los? Warum schien er überall zu sein und starrte mich immer an? Er sollte doch eigentlich zu den anderen Mädchen rennen, die seine neue Freundin sein wollten. Ich war ehrlich gesagt nicht einmal gut genug für ihn.

Er war praktisch ein lebender Adonis und ich wäre blind, wenn ich das nicht merken würde. Im Vergleich zu ihm war ich eine peinliche Kartoffel. Lasst uns mal so tun, als wäre ich keine peinliche Kartoffel und dass Aiden wirklich an mir interessiert wäre. Ich war nun einmal nicht dumm genug, um seine nächste Freundin in dieser Woche zu sein.

Ich wusste dass er es in einer Beziehung nicht ernst meinte. Und ich war auch nicht dumm genug zu denken, dass ich ihn ändern könnte. Also wenn er nach einer neuen Freundin suchte, dann war ich ganz sicher nicht die Richtige für ihn. Ich war noch nie so eine Art Mädchen und wollte damit auch nicht für ihn anfangen.

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich die Schritte nicht gehört hatte bis sich jemand lautstark räusperte. Erschrocken hob ich den Kopf und sah dann, dass es Aiden war. Sein Gesichtsausdruck war schwer abzulesen, aber seine Augenbrauen waren fest zusammengezogen, als würde er über etwas nachdenken.

Mein Herz zerbrach ein bisschen an seinem Anblick und ich musste mich beherrschen ihn nicht jetzt zu umarmen. Ich wette, dass sich seine Arme, die sich um mich schlingen würden, bestimmt gut anfühlten. Nicht zu fest, aber auch nicht zu locker. Konzentrier dich, Ellie, dachte ich peinlich berührt.

»Hey.«, sagte er und senkte dabei etwas die Stimme. »Ist der Platz noch frei?« Er zeigte auf den Platz neben mir. Darüber sollte ich erst einmal eine Sekunde nachdenken.

Wenn ich Nein sagen würde, dann wäre das unhöflich, aber ich wäre raus aus dem Spiel, das Aiden gerade mit mir spielte. Ich bin nicht scharf darauf, dass er mir weh tut. Wenn ich Ja sagen würde, dann konnte ich herausfinden, was für ein Spiel er mit mir spielte, und ihm sagen, dass ich nicht interessiert an ihm war.

Aber so riskierte ich es, mich in seinen grauen Augen zu verlieren und nicht mehr herauszukommen, wenn ich nicht vorsichtig war. Im schlimmsten Fall wollte ich dann auch nicht mehr da herauskommen. Bevor ich es mir richtig überlegen konnte, nickte ich schon. Er setzte sich mir gegenüber hin und wenn er sich nur ein bisschen zu mir herüberbeugen würde, dann würden sich unsere Knie berühren.

Wäre ich dann glücklich oder wütend? Warum konnte ich mich denn nicht entscheiden, was ich fühlte? Aiden öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber gleich darauf wieder. »Es tut mir leid. Ich wollte mit dir schon viel früher reden, aber ich habe gemerkt, dass ich nicht einmal deinen Namen weiß. Würdest du ihn mir bitte sagen?«

»Eliya.«, sage ich leise, aber er hörte mich trotzdem, weil er so nah vor mir saß. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, das mein Herz höher schlagen ließ.

»Eliya.«, wiederholte er. Sein Lächeln verstärkte sich und ich lächelte ohne darüber nachzudenken leicht zurück. »Ich fühl mich wie der letzte Arsch. Ich ...«, sagte er und unterbrach sich dann selbst, weil er wahrscheinlich nicht wusste, was er noch sagen sollte. Um ehrlich zu sein, wusste ich selbst auch nicht, was er noch sagen sollte. Es war eigentlich nicht einmal seine Schuld, dass er mich nie bemerkt hatte.

Es war ja nicht so, dass ich gerne im Mittelpunkt stand. Ich war lieber die Fliege an der Wand, die niemand sah. »Du musst dich nicht entschuldigen.«, sage ich also.

»Aber ich mach's trotzdem. Ich dachte, dass du eine neue Schülerin wärst, was dich praktisch beleidigt.«

»Du hast nur versucht nett zu sein und wenn ich neu gewesen wäre, hätte ich das Angebot angenommen.«, sagte ich und ich wusste nicht, wieso ich ihn überhaupt verteidigte.

»Eliya, es tut mir ...«

»Ellie.«, verbessere ich ihn, weil das besser klang. »Jeder nennt mich Ellie.«

»Ellie.«, wiederholte er lächelnd. »Es tut mir ehrlich leid. Als ich dich heute morgen gesehen hatte, war es so als wäre ein Licht aufgegangen. Mir ist die Luft weggeblieben und ich wollte nichts mehr als dich kennenzulernen. Können wir noch einmal von Vorne beginnen?«

Da war wieder dieses altbekannte Herzflattern. Wenn das zu seinem Spiel gehörte, dann war er ein wirklich guter Schauspieler. Seine Augen bohrten sich wieder in meine und ich verlor die Kontrolle über mich selbst. Ich wollte ihm eine Chance geben, auch wenn ich jetzt noch vorsichtiger sein musste.

»Okay.«, sagte ich lächelnd, was ein riesengroßes Grinsen auf sein Gesicht zaubert. Es klingelte zur nächsten Stunde und Aiden war innerhalb einer Sekunde aufgesprungen. Er beobachtete mich wie ich meine Sachen einpackte und lief mit mir zum Eingang.

»Hast du noch einen anderen Spitznamen, der dir gefällt? Ich will dich nur nicht wie jeder andere nennen.«, sagte er. Ich überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf.

»Ich werde mir einen überlegen.«, versprach er und zwinkerte mir zu, bevor er ging. Was hatte ich noch einmal getan?

The Unnoticed Mate | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt