Kinder und Krebs

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Wenn du mich fragst, ist Krebs eines der schlimmsten Dinge, die unsere Welt je zu Tage gebracht hat. Natürlich, Krieg, Streit und Kämpfe haben viele Opfer, viel Schmerz verursacht, aber ist der Krebs nicht ein ganz ähnlicher Kriegsgegner? Er greift unschuldige Menschen an, gute Menschen, die nichts falsch gemacht haben, und entreißen sie denjenigen, von denen sie geliebt und ein Leben lang vermisst werden.

Wann sollte man Kinder mit diesem schrecklichen Kriegsführer nun bekannt machen? Sollte ein elfjähriges Mädchen wissen, was der Krebs mit Menschen macht? Ich, als ich elf Jahre alt war, musste es ganz persönlich erfahren, als meine Mutter an Leukämie erkrankte. Sie war schon im Krankenhaus, als ich im Wohnzimmer gemeinsam mit meinen beiden Brüdern von unserem Vater aufgeklärt wurden. Leukämie - das Wort hatte ich bis dahin nie gehört. Genauestens wurden wir darüber informiert, welche Vorgänge sich dabei abspielen, dass sich die weißen Blutkörperchen krankhaft vermehren, was im Blutbild ersichtlich wird. Zu diesem Zeitpunkt verstand ich nicht, dass meine Mutter Krebs hatte. Erst Wochen, vielleicht waren es auch Monate, später, konnte ich realisieren, dass diese heimtückische Krankheit meine Mutter überfallen hatte. 

Realisieren konnte ich es damals dennoch nicht. Warum sie? Sie war eine liebende Mutter und Ehefrau, lebte gesund, machte Sport und meisterte alle ihre Lebensaufgaben perfekt. Es war unfair, einfach unfair.

Zwar waren die Wut und die Verständnislosigkeit groß, jedoch war die Freude umso größer, als sie die Leukämie besiegen konnte- sie war stärker als der Krebs. Das, was wir alle wussten, wurde tatsächlich bewiesen.

Zwei Jahre später jedoch der Rückschlag: Der Krebs war zurückgekommen. Wieder hatte ich Schwierigkeiten damit, zu verstehen, was los war. Auch der diesmal schwerere Verlauf der Krankheit verstärkten die Hoffnungslosigkeit und die leise Verzweiflung, die in mir geruht hatten. Zu dieser Zeit war ich gerade 14 Jahre alt geworden - mitten in der Pubertät, einer ohnehin schwierigen Zeit. Ohne Selbstwertgefühl, voller Unsicherheit, Eifersucht und Verletzlichkeit war ich im Alltag mit Problemen in der Schule, im Freundeskreis und mit so ziemlich allem anderen konfrontiert. Krampfhaft versuchte ich "cool" zu sein, versuchte den hübschen und beliebten Mädchen aus meiner Klasse nachzueifern und versuchte, den Jungs aus der Nebenklasse zu imponieren, die mich nicht wahrnahmen. In so einer krisenhaften Zeit auch noch die Mutter im Krankenhaus zu besuchen, raubte mir die Nerven. Selten und dann halbherzig waren meine Besuche in ihrem unglaublich sterilen und stickigen Zimmer.  Künstlich war das Lächeln und aufgelegt die Gespräche. Um einigermaßen Ruhe bewahren zu können, blieb ich in meiner Überzeugung, sie würde wieder stärker sein als der Krebs und nahm die Sache viel weniger ernst, als ich sie nehmen hätte sollen. Leider war meine starke Mutter mit ihrer Kraft am Ende und ich hatte ihr nicht 100% meiner Unterstützung, Zeit und Nähe gegeben. Heute - Jahre später - weiß ich nicht, was es geändert hätte, wenn ich mich damals anders verhalten hätte, wenn ich damals nachgedacht und verstanden hätte, dass ich ihr jede freie Sekunde und jeden freien Gedanken widmen sollte. Doch eines weiß ich: ich werde die Möglichkeit, Zeit mit ihr zu verbringen, nie zurückbekommen und ich werde mein restliches Leben bereuen, die Situation damals auf die leichte Schulter genommen zu haben. 

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⏰ Last updated: Apr 02, 2018 ⏰

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