PROLOG

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Dreihundertneunundfünfzig Tage.
So lange warte ich jetzt schon.
Ich habe jeden einzelnen Tag gezählt.
Es ist dreihundertneunundfünfzig Tage her, seit ich ihn das letzte mal sah.

Ich lehnte mich gegen meinen Koffer, und während ich zum Wohnzimmerfenster hinausstarrte, prickelte eine nervöse Unruhe in mir.

Es war kurz vor sechs Uhr morgens, gerade eben war die Sonne aufgegangen. Vor etwa zwanzig Minuten hatte sie angefangen, die Dunkelheit zu durchbrechen.

Ich sah mich kurz in diesem riesigen Raum um. Alles war in Rot getaucht. Ich starrte wieder dieses wunderschöne Naturschauspiel an. Der gesamte Himmel war feuerrot gefärbt.

Im Geiste ging ich durch, ob ich alles eingepackt hatte. Was mich nur noch nervöser machte, daher rutschte ich runter von meinem Koffer und klappte ihn noch einmal auf.

Ich wühlte in dem Stapel kurzer Hosen, in den Chucks, von denen ich gleich mehrere Paare mitgenommen hatte, und in der Sammlung an Armbändern.

"Ana, glaub mir, du hast alles, was du brauchst!"

Ich hörte auf, in meinen Sachen zu kramen und blickte nach oben. Cassy stand im Morgenmantel in der Küche und musterte mich über den Tresen hinweg, die Arme vor der Brust verschränkt.

Wie schon die gesamte letzte Woche hatte sie diesen Ausdruck im Gesicht. Halb besorgt, halb genervt.

Seufzend stopfte ich alles zurück in den Koffer. Dann schloss ich ihn, stellte das Ding zurück auf die Räder und stand auf.

"Ich bin nur so nervös."

Keine Ahnung wie ich das Gefühl beschreiben sollte. Ich war nervös, ja, weil ich keinen Schimmer hatte, was mich erwartete.

Dreihundertneunundfünfzig Tage sind eine lange Zeit, da konnte sich so einiges tun. Alles könnte plötzlich anders sein. Deshalb hatte ich wohl Angst.

Ich hatte aber genauso Angst, dass sich nicht's verändert hatte. Ich hatte Angst, dass alles wieder auf mich einstürmt, sobald ich ihn sah.

Das ist das Problem an Entfernungen: Entweder helfen sie einem, einen bestimmten Menschen zu vergessen, oder es wird einem erst bewusst, wie sehr einem dieser Mensch fehlt.

Und im Moment könnte ich nicht sagen, ob ich einfach nur meinen besten Freund vermisse oder den Menschen, den ich liebte. Schwer zu sagen, was es war. Weil es in beiden Fällen um ein und dieselbe Person ging.

"Aber nicht doch. Es gibt keinen Grund nervös zu sein."

Cassy kam zu mir ins Wohnzimmer, und Gucci, Kyles Hund, sprang hinter ihr her. Kurz blinzelte sie zur Fensterfront hinaus, ehe sie sich auf der Armlehne des Sofas niederließ.

"Wann wollten du und Nate nochmal los?"

"Müsste gleich da sein."

"Tja, ich hoffe ja, du bleibst im Stau stecken und verpasst deinen Flieger."

Zähneknirschend wand ich mich ab. Cas war vom ersten Moment an dagegen. Ich hatte ihr nicht die ganze Geschichte von damals erzählt, seit dem hatte sie etwas gegen Liam. Sie dachte es sei seine Schuld.

Acht Wochen zu ihm zu fliegen war für sie nicht's anderes als reine Zeitverschwendung. Für sie war das ungefähr so, als würde sie mich dann nicht wiedersehen. Nie wieder.

Was natürlich absoluter Quatsch war!

"Musst du so pessimistisch sein?"

Endlich breitete sich ein lächeln auf ihrem Gesicht aus. Zwar nur ein kleines, aber es war ein Fortschritt.

DARKER - Dich soll ich nicht liebenWhere stories live. Discover now