Schach

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Sorgsam drückte Inojin den blauen Buntstift auf das weiße Papier. Er war sich sicher. Diesmal würde es klappen. Ein Meisterwerk, das seines Gleichen sucht. Mit grazilem Schwung zog er Linie um Linie, Strich um Strich, ein anfängliches Durcheinander, das sich immer wieder und wieder kreuzte und sich allmählich zu einem Bild formte. Er hatte es schon klar und deutlich vor Augen, was es werden sollte. Ein Tiger, der wild aus dem Papier zu springen scheinen würde. Das wäre seine Kunst. Er wusste, dass er gut war. Daran würde er nie zweifeln. Selbstsicher grinste er, als er den blauen Buntstift fallen ließ. Jetzt fehlten nur noch ein paar Akzente. Ein wenig Braun, ein wenig Weiß und ein Tupfer von Grün. Mit sich selbst zufrieden betrachtete er sein vollendetes Werk. Doch sein Grinsen verschwand.



„Scheiße", fluchte Inojin unter seinem Atem hervor. Er hatte es schon wieder gezeichnet. Oder besser gesagt ihn. Shikadai. Er riss das Blatt aus seinem Zeichenblock heraus und ließ seinen Frust an dem Papier aus. Dann schmiss er den zerknüllten Ball in den Mülleimer. Es begann seit gut einer Woche. Erst hatte er Shikadai nur ab und zu gezeichnet. Daheim, wenn er nicht wirklich nachdachte, was er überhaupt gerade malte. Anfangs fand er es noch recht spaßig, da er inzwischen wirklich gut darin geworden war. Wahrscheinlich konnte er schon blind die Gesichtszüge seines Teamkameradens nachziehen. Dies wäre eigentlich auch kein so großes Problem, wenn ihm das Missgeschick nicht während einer Mission passiert wäre.



Natürlich funktioniert die Superbestiennachahmungskunst nicht mit Menschenzeichnungen, was zur Folge hatte, dass die schwarze Tinte zwanzig Meter weit spritzte, als ob jemand eine Arschbombe in seiner Schriftrolle gemacht hätte. Zum Glück hatte niemand davor seine Zeichnung gesehen und er konnte sich noch irgendwie geschickt rausreden, aber die Tatsache, dass sie eine weitere Stunde damit verbringen mussten einen elenden, ausgebüchsten Köter zu fangen, war schon Strafe genug. Ganz zu schweigen von der Standpauke, die er von seiner Mutter Ino anhören musste, weil sie schon an drei Tagen hintereinander seine Kleidung waschen musste.



Verzweifelt fuhr er sich durch sein feines, blondes Haar. Das war bestimmt wieder so ein Hindernis im Leben, von dem ihm sein Vater Sai erzählt hatte. Wie damals die Lehre, dass er mit mehr Leidenschaft zeichnen müsse um seine Kunst aufrechtzuerhalten. Aber das wäre im Moment ja lächerlich. Inojin war davon überzeugt, dass er mit mehr Leidenschaft denn je zeichnete. Also was war das Problem?



Nachdenklich zog er ein zerknittertes Blatt aus seiner Hosentasche heraus. Eine einfache Bleistiftskizze, die er beim Frühstück zeichnete. Shikadai sah mit seinem breiten Grinsen glücklich auf ihr aus. Irgendetwas mussten diese Zeichnungen zu bedeuten haben, aber er hatte keinen Plan was? Seufzend zerdrückte er auch dieses Bild und warf es richtig Mülleimer. Daneben. Verdammt.



„Hey." Wenn man vom Teufel spricht. Shikadai. Kurzerhand stieg der durch Inojins Fenster, das er hinter sich wieder schloss. Eine einzelne, weiße Blüte war auf seiner Jacke verfangen, die er achtungslos abstreifte. Er hatte wohl den Weg durch den Park genommen, wo alles gerade in Blüte stand, und da es um diese Uhrzeit kühler wurde, brauchte er einen wärmeren Ort um Shogi zu spielen. Und dieser war Inojins Haus.



„Jo", antwortete Inojin unüberrascht zurück. Es kam öfters vor, dass das junge Nara-Clanmitglied bei ihm die Zeit totschlug.



„Schon wieder Shogi?", fragte Inojin heiter nach. Shikadai zuckte mit den Schulter.

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