Acht

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Auch in den nächsten Tagen lässt mich die Idee, endlich aus dem goldenen Käfig auszubrechen, nicht mehr los. Ganz im Gegenteil, mehr und mehr nimmt dieses Vorhaben in meinem Kopf Gestalt an.

Immer wieder erwische ich mich dabei, wie ich mir ein Leben ohne all diesen Druck ausmale. Ich denke zum Beispiel darüber nach, ob ich mich nicht an der Uni eintragen soll, um endlich etwas zu studieren, das mich wirklich interessiert. Ich habe keine genaue Vorstellung, wofür ich mich entscheiden würde, aber alleine der Gedanke, dass die Möglichkeit besteht, lässt mich bereits etwas leichter fühlen. Vielleicht werde ich auch Berlin verlassen und irgendwo hinziehen, wo es ruhiger ist. Raus ins Grüne. Vielleicht in die Berge oder doch lieber ans Wasser?

Ich habe Ideen, Vorstellungen und Wünsche, die sich miteinander vermischen und mich einfach nur glücklich machen. Nur schon die blosse Vorstellung, dass es mehr gibt, als das, was ich bisher kennenlernen musste lässt mich aufatmen. Ausserhalb dieser Regeln und Normen, denen ich seit Jahren ausgesetzt bin, es auch für mich einen Platz gibt, an dem ich sein kann, wie ich es will; stimmt mich so zufrieden und glücklich, wie ich es bisher nicht von mir kannte.

Natürlich schleicht sich auch immer wieder eine Version in meine Gedanken, in welcher Harry eine tragende Rolle spielt. Doch diese schließe ich immer wieder kategorisch aus. Ich habe Harry verletzt, dem bin ich mir, nachdem ich immer wieder alles in Gedanken durchgespielt habe, mehr als sicher. Auch wenn die winzige Hoffnung bestehen könnte, dass Harry mir trotz allem, was ich ihm angetan habe, verzeihen würde, so glaube ich nicht wirklich an eine glückliche Zukunft, nach diesem Start, den wir hatten.

Obwohl ich an keine Zukunft mit Harry glaube, muss ich endlich beginnen, meine Flucht in ein anderes, ein freieres Leben zu planen.

Allerdings gestaltet sich dies recht schwierig. Niall überwacht mich wie ein Adler. Wenn ich telefoniere, bleibt er stets in meiner Nähe, so als würde er erwarten, dass ich mit einem Makler kommuniziere. Da ich ihm allerdings keine weitere Angriffsfläche bieten will, oder einen Grund, misstrauisch zu werden, schmiede ich meine Pläne nur in meinem Kopf. Mit wem soll ich sie auch sonst teilen sollen. Es gibt niemanden, den ich damit belästigen will, oder kann.

Kurz kommt mir meine Schwester in den Sinn, doch noch im gleichen Moment lache ich innerlich höhnisch auf. Vermutlich ist sie schneller bei meiner Mutter, um mich anzuschwärzen, als ich gucken konnte.

Heute muss ich auf der Arbeit persönlich anwesend sein. Ich werde einen Kunden treffen. Etwas, das ich nicht von meinem Laptop zu Hause oder am Telefon klären kann. Natürlich zum Missfallen von Niall. Er lässt es vermutlich auch nur zu, weil er weiß, dass mein Vater auch da sein wird. Ich dagegen freue mich, ins Büro gehen zu können. Endlich bietet sich mir eine Gelegenheit, den achtsamen Augen von Niall zu entkommen. Innerlich hoffe ich darauf, dass es meinem Vater zu dumm ist, mir permanent über die Schulter zu schauen.

So gut es mir möglich ist, habe ich mit Make-Up probiert, die dunklen Verfärbungen unter meinen Augen zu verbergen. Obwohl ich dauerhaft müde bin, tue ich in der Nacht kaum ein Auge zu. Ich fühle mich einfach nicht mehr wohl dabei, gemeinsam mit Niall in einem Bett zu liegen.

Ihn als meinen persönlichen Schatten zu haben, macht es für mich schwierig, ein paar meiner Sachen zusammenzupacken, um zu verschwinden. Mein Vorhaben beinhaltet, dass ich möglichst sang und klanglos verschwinde. Ich werde mich vorerst bei niemanden melden, damit etwas Graß über die ganze Sache wachsen kann. Ich habe mir überlegt, dass ich mir zuerst ein Hotelzimmer nehmen werde, um mich dort sammeln zu können und zu überlegen, was meine nächsten Schritte sein werden. Ich hoffe darauf, dass, wenn Niall begreift, dass ich als letzte Chance vor ihm, aber vor allem vor der Hochzeit nur noch die Flucht sehe, er mich gehen lassen würde.

Noch immer kann ich nicht akzeptieren, dass nicht irgendwo unter der unbarmherzigen Schale, welche er immer häufiger zur Schau trägt, doch noch der alte, verständnisvolle Niall verborgen ist. Er hat sich nicht all die Jahre verstellt, dessen bin ich mir absolut sicher.

Niall bringt mich in seinem Tesla zur Arbeit. Das bedeutet nicht, dass er mich unten vor der Tür aus dem Auto aussteigen lässt, um dann weiterzufahren. Nein, er besteht darauf, mich bis in mein Büro zu begleiten. Vor diesem sitzt Melanie und ist bereits fleißig dabei, ihre Aufgaben zu erledigen. Fröhlich lächelt sie uns an. Doch Niall gibt nur ein Brummen als Antwort und ich folge ihm mit hängenden Schulter in mein Büro.

Mein Verlobter lässt die Tür zufallen und ich gehe ohne ihn noch weiter zu beachten auf meinen Schreibtisch zu, um meine Tasche abzulegen.

„Danke, dass du mich gebracht hast", versuche ich Niall diskret dazu zu bewegen, dass er mich nun endlich alleine lässt.

Doch er scheint wie so oft andere Pläne zu haben. Meine Worte übergeht er einfach und kommt stattdessen auf mich zu. Automatisch befindet sich mein Körper in Alarmbereitschaft und die Nackenhaare stellen sich auf, als er direkt vor mir Halt macht.

Als hätte er Angst, dass ich schreiend vor ihm davonlaufen könnte, was ich im Grunde gerne tun würde, lässt er seine Hand wieder an meinem Oberarm verweilen.

„Sieh mich an", fordert er und zögerlich tue ich, was er verlangt.

Ich habe keine Ahnung, was ich falsch gemacht habe und ihm somit einen Grund gibt, mich erneut in die Ecke zu drängen.

„Was...", möchte ich beginnen, doch er unterbricht mich, indem er mir erklärt, dass ich nach dem Meeting auf den schnellsten Weg nach Hause kommen werde.

Ich reagiere nicht schnell genug und schon hakt er vehement nach, ob ich ihn verstanden hätte. Vorsichtig nicke ich und bemerke, wie meine Hände anfangen zu zittern und mir der Schweiß auf die Stirn tritt. Mit Schrecken stelle ich fest, dass es mir nicht mehr möglich ist, mein Angst vor Niall in seiner Anwesenheit zu verstecken.

Ein diabolisches Grinsen schleicht sich auf seine Lippen, als auch er dies zu begreifen scheint.

„Gut", lobt er mich und ich möchte würgen.

Plötzlich klopft es an der Tür, welche noch im gleichen Moment geöffnet wird. Melanie kommt herein. In ihren Händen hält sie ein paar Akten mit den aktuellen Zahlen des Kunden, welchen ich gleich treffen würde. Noch heute Morgen hatte ich diese per Mail bei ihr angefordert.

Sie möchte etwas sagen, doch als sie mich und Niall erblickt, sehe ich wie sie sofort zu begreifen scheint, dass hier etwas nicht stimmt. Auch Niall, der den Kopf in ihre Richtung gedreht hat, scheint dies zu bemerken. Vermutlich in einem Versuch Melanies Annahme zu zerstreuen, drückt er mir, bevor ich mich dagegen sträuben kann, einen Kuss auf die Lippen. Kalt und ohne jegliche Gefühle. Dem Drang, ihn von mir zu stoßen, widerstehe ich und Niall lässt nur wenige Sekunden später von mir ab. Mit einem falschen, netten Lächeln auf den Lippen verabschiedet er sich von uns beiden und verlässt das Büro.

Melanies Blick folgt ihm argwöhnisch. Sobald die Tür zugefallen ist, wendet sie sich an mich und das ist der Moment, als meine Knie schwach werden und ich kraftlos an der Wand hinabrutsche.


Hallo, wie geht es euch?

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Für diejenigen die es noch nicht mitbekommen haben und vielleicht Interesse haben, ich habe einen Blog gestartet, finden könnt ihr diesen auf meinem Profil.

Anni

Anni

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Opposing Lives || Band II   *pausiert*Where stories live. Discover now