Kapitel 2

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Als ich eine halbe Stunde später mit meinem Koffer im Schlepptau am Treffpunkt ankomme, kann ich nicht anders, als erleichtert die Luft auszustoßen. Der Weg bis hier hin war nämlich Folter pur. Hätte ich gewusst, dass es mit meinem Koffer gefühlt doppelt so lange dauert, bis ich ankomme, hätte ich Ames dazu gezwungen, mich hierher zu fahren.

Ich hätte ja nicht wissen können, dass meine Hand mitten im Weg auf wundersamer Weise einschläft und mein Koffer einen Reifen verliert. Ja, ihr habt richtig gehört. Ich musste ihn den Rest des Weges tragen oder eher gesagt schleppen, und nein, – es war noch viel schwerer, als ihr es auch gerade vorstellt.

Und das heißt sicher was.

"Aria!"

Mein Kopf schießt sobald sich die mir bekannte Stimme einen Weg hinein bahnt zur Seite und ich erblicke Eric, der mit einem Lächeln auf mich zukommt. "Da bist du ja endlich! Ich warte schon seit mehr als zwanzig Minuten auf dich."

"Zwanzig Minuten, oh man, dass werde ich mir niemals verzeihen können."

Eric verdreht aufgrund meiner Antwort nur die Augen. "Wie lustig."

Ich werfe meinen Kopf in den Nacken und seufze, als er mir meinen verkrüppelten Koffer abnimmt. "Wow, was ist denn mit deinem Koffer passiert? Sieht aus, als hätte es gerade noch den zweiten Weltkrieg überstanden."

"Also ich würd nicht sagen, dass er ihn überstanden hat. Und ach, wegen deiner Frage: Das ist eine lange Geschichte. Na gut, eigentlich ist sie ziemlich kurz, aber ich wollte das immer schonmal sagen. Freut mich übrigens mega, dass du es geschafft hast!" Zum Ende hin erreicht mich wieder mein Optimismus, der meiner Laune Flügel verleiht.

Genau das brauche ich gerade.

Eric grinst verschmitzt. "Ich hab dich auch vermisst."

"Das ist mir bewusst", säusle ich gespielt arrogant, ehe ich Eric zum Reisebus und der kleinen Meute folge, die sich davor gebildet hat. Ich erkenne viele Jugendliche in meinem Alter und einige Angehörige, von denen sie sich gerade verabschieden. Im Bus sind schon einpaar Leute am sitzen, die sich natürlich die besten Plätze geschnappt haben.

Total Unfair.

"Und? Wie hat es Mia verkraftet?"

Ich schrecke aus meinen Gedanken und wende mich wieder Eric zu, der meinen Koffer genau in diesem Moment dem Busfahrer überreicht, der ihn dann zu den anderen stellt, die unten verstaut werden sollen.

Ich zucke mit den Schultern. "Wie soll sie es bitte verkraftet haben? Ich bin doch viel mehr diejenige, die leiden muss. Mia hat Ames und ihre Familie um sich, während sie bei ihrer Oma die Sonne genießt und ich bin währenddessen auf meinem langersehnten Sommercamp, jedoch ganz alleine."

Eric schnaubt empört. "Und wer bin ich?"

Ein Lachen entweicht meiner Kehle. Ich wusste, dass er sofort darauf anspringen würde. "Keine Ahnung. Nur irgend so ein Kerl, der meinen Koffer schleppt."

Eric hebt unbeeindruckt die Brauen. "Ach, wenn das so ist, kann ich ja wieder gehen. Ich bin nicht derjenige, der auf den anderen angewiesen ist."

Mit diesen Worten dreht er sich von mir weg und mit einem Mal vergeht mir das Lachen. Er kann mich doch nicht mitten auf dem Platz alleine lassen! Die anderen werden denken, ich sei ein Mädchen ohne Freunde. Der totale Loser. Und wenn sie das denken, werden sie sich mir nicht auf zehn Meter nähren, was bedeutet, dass ich alleine in einer Hütte voller merkwürdigen Menschen landen werde.

Und das überlebe ich nicht.

"Eric, bitte warte! Es tut mir ja leid! Ich meinte das nicht so, wirklich!", rufe ich hysterisch und laufe meinem besten Freund nach, der gerade um den Bus verschwindet. Ich renne und renne und das obwohl ich immer noch erschöpft vom Weg bin.

Gerade als ich um den Bus biege, laufe ich volle Kanne gegen jemanden, der wesentlich größer und auch breiter als ich ist. Ich fliege zurück und knalle mit meinem Rücken gegen den Reisebus, was verdammt schmerzhaft ist, dass könnt ihr mir glauben.

Ich zische unkontrolliert laut auf und schließe aus Reflex die Augen. Warum? Warum muss das ausgerechnet mir passieren? Warum hasst mich das Schicksal so sehr? Isst es deshalb, weil ich diesem Mädchen im Kindergarten den Schokoriegel geklaut habe? Denn wenn ja, dann tut es mir wirklich leid. Aber ich kann es leider nicht rückgängig machen. Ich war noch jung und wusste nicht was ich-

"Ist alles in Ordnung?"

Ich öffne meine Lieder wieder und starre mit geweiteten Augen zu der Person, die mich gerade umgerannt hat. Okay, vielleicht bin ich diejenige gewesen, die gegen ihn gelaufen ist, aber ich bin dennoch die einzige, die Verletzungen davon trägt. "Ja.. ja, alles super. Ich bin nur-" Ich halte mitten im Satz inne, da mir mit einem Mal klar wird, wer da gerade vor mir steht.

Heiliger Bambus..

"Jaron?"

"Aria?" Auch er scheint mich zu erkennen, denn seine Augen weiten sich und mir verschlägt es wortwörtlich die Sprache, ihn seit so langer Zeit wiederzusehen.

Wie lange ist es her? Ein Jahr? Oder vielleicht sogar mehr?

"Was.. was machst du denn hier?" Meine Frage ist nicht besonders schlau, wenn man bedenkt, dass er ziemlich nah neben dem Bus steht, was heißt, dass er auch am Sommercamp mit teilnimmt. Und das trifft mich total unvorbereitet, dass könnt ihr mir glauben.

"Ich gönne mir eine Auszeit.", erwidert er nur kurzgebunden, was meinen vorherigen Gedanken nur bestärkt.

Er kommt tatsächlich mit.

"Und du?" Jaron mustert mich direkt, was meinem Körper nicht sehr guttut. Ich werde augenblicklich nervös, denn seine hellen grünen Augen haben die selbe Auswirkung auf mich, wie noch vor einem Jahr.

"Ich tue genau dasselbe.", antworte ich dann, nachdem ich mich wieder eingekriegt habe und mustere ihn zum ersten Mal so richtig.

Jaron hat sich kaum verändert. Ich würde sagen er sieht einwenig reifer aus als damals und er ist mit der Zeit attraktiver geworden, und dass soll was heißen. Er ist trainierter, dass erkennt man an den Muskeln, die sich an seinem schwarzen T-Shirt abzeichnen und er ist auch ein größer geworden. So kommt es mir jedenfalls vor. Was gleich geblieben ist, sind seine Haare, die wie damals auch ein einziges, aber dafür perfektes durcheinander sind und immer noch im Kontrast mit seinen hellen und besonders intensiven grünen Augen stehen.

"Cool."

Ich blinzle verwirrt und versuche wieder in die Realität zu gelangen, was einen Moment dauert. "Äh... ja, cool." Ich stehe noch eine ganze Weile vor ihm und starre ihn einfach nur an, ehe ich schwach den Kopf schüttle und zur Seite stolpere. "Ich..- ich glaube ich sollte langsam..."

Jaron nickt. "Ich muss auch wieder zurück zu Keyden. Du weißt ja, er hasst es zu warten."

"Keyden ist auch hier?" Die Frage verlässt meinen Mund, ohne es wirklich zu beabsichtigen. Ich kann einfach nicht glauben, wie klein die Welt doch sein kann.

Jaron nickt. "Ja, er ist auch da."

Ich presse die Lippen zusammen und versuche auf unberührt zu tun, was wahrscheinlich auf Außenstehende so wirkt, als wäre mir gerade der Weisheitszahn rausgezogen wurden. "Cool."

Gott Aria, halt den Mund!

Ich tue mir selbst und meinem Herz einen Gefallen, indem ich mich mit einem Mal von Jaron abwende und zurücklaufe, ohne wirklich zu wissen, wohin ich gerade gehe.

Verdammt.

Das werden sechs ziemlich interessante Wochen, dass ist schonmal sicher.

A/N:

Wie findet ihr Aria bisher?

Wir lesen uns.❤️⚡️

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