28. Von Gedanken und Leere

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Marco

Ich weiß nicht mehr wie genau ich nach Hause gekommen war. Lange hatte ich in Joachims Armen gelegen, geschluchzt und gestottert ohne zu verstehen was mit mir genau passierte. Als ich mich ein wenig beruhigt hatte sprach er leise auf mich ein. Seine Stimme, seine Wortwahl und seine Gesten, alles war weich und tröstend. Er sagte kurze, hoffnungsvolle Sätze zu Mario und dann deutlichere aber fürsorgliche zu mir. Ich hatte frei für den Rest der Woche, sollte mich erholen, auf neue Gedanken kommen und Zeit mit den Liebsten verbringen. Den Liebsten. Was hätte Joachim gesagt, wenn ich ihn gebeichtet hätte, dass Mario mir der Liebste war?
Irgendwann hatte ich das Büro verlassen, ein Stück näher an meiner normalen Fassung und trotzdem so tief in Gedanken verschwunden, dass ich die Außenwelt nicht bewusst erlebte. Ein Wunder, dass ich und alle Mitmenschen meinen Heimweg heil überstanden hatten.
Ich hatte mehrere Anläufe gebraucht bis der Schlüssel im Schloss steckte und sich umdrehen ließ und ich endlich ins Innere verschwinden konnte. Erst hier, im Flur, schaffte ich es meinen Gedanken zu entkommen. Es hatte natürlich etwas Gutes an sich diese düsteren, hoffnungslosen Überlegungen für kurze Zeit zu verlassen, aber gleichzeitig nahm es eine plötzliche Leere in mir Preis. Ich fühlte nichts und dachte nichts. Vielleicht existierte ich noch nichtmal. Nur mein Körper war da, eine nutzlose Hülle im Flur.

"Ja?"
"Hallo, Schü, ich bin's Marco."
"Ich weiß" Er lachte. "Ist ja deine Nummer."
"Stimmt." Ich seufzte leise. "Hast du Zeit?"
"Ja, kann vorbei kommen."
"Gerne."
"Gib mir 10 Minuten."
"Keine Sekunde länger.", entgegnete ich amüsiert. "Schon was gegessen?"
"Nein, kochst du?"
"Ich schieb wohl ne Pizza rein."
"Auch gut."
Sobald er aufgelegt hatte, suchte ich im Gefrierschrank nach der letzten Pizza und  heizte den Ofen vor.
Ich wollte mit Andre reden. Wie und über was genau wusste ich noch nicht, aber ich brauchte das Gespräch. Ich wollte nicht mehr alleine sein mit meinen Gedanken und Gefühlen und der abwechselnden Leere. Auch wenn es albern klang, ich hatte Angst davor, von ihr aufgefressen zu werden bis ich ganz und gar verschwunden war für immer.

Andre kam zwei Minuten später als er angegeben hatte, aber ich machte es ihm nicht zum Vorwurf. Hauptsache er war da. Hauptsache ich war nicht allein.
"Ist die Pizza schon fertig?", fragte er zur Begrüßung. Ich musste lachen und machte eine vage Bewegung Richtung Küche. "Steht auf dem Tisch."
"Prima." Er rieb sich die Hände. "Ich habe nen Riesenhunger."
Und schon verschwand er aus dem Flur. Ich folgte ihm immer noch grinsend, aber dann erstarrte mein Grinsen. Die Szene erinnerte mich unweigerlich an etliche ähnliche Erlebnisse mit Mario als noch alles normal war. Der Junge hatte immer Hunger gehabt, wenn er zu mir gekommen war. Sein erster Weg war immer der in die Küche. Der Gedanke an Sunny krempelte meine Gefühlswelt erneut am diesem Tag komplett um, und ich hieß Sorge, Verzweiflung und Angst wieder herzlich willkommen.
"Alles gut bei dir?", fragte André besorgt, der meine plötzliche Stimmungsschwankung natürlich bemerkt hatte.
"Nein." Ich setzte mich ihn gegenüber. "Aber genau darüber wollte ich mit dir reden."
"Okay... Schieß los." Er klang leicht verunsichert, als hätte er Angst vor einem Gespräch mit mir.
Ich überlegte kurz. Wie sollte ich anfangen? Und viel wichtiger, mit was sollte ich anfangen? Mit Mario? Mit mir? Oder mit der Sache, die mich gerade am meisten beschäftigte, das Gespräch mit Joachim?

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