Kapitel 10

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In der Nacht schlief ich sehr unruhig, wachte immer wieder auf und schaute auf das Handy in der Hoffnung, dass Greta doch noch antworten würde, aber sie tat es nicht. Ich konnte das nicht so hinnehmen. Den ganzen Tag über grübelte ich, wie ich aus der Situation wieder rauskommen würde. Lina fragte nach einem Treffen, aber ich war für das Gespräch mit ihr nicht bereit. Sie fragte immer wieder nach der Nachricht und schließlich tischte ich ihr eine Lüge auf, dass es sich um einen Mann handelte, den ich über das Internet kennengelernt hatte und sie gab vorerst Ruhe. Opa, dachte ich. Wenn du doch jetzt nur hier wärst. Du hättest die perfekte Lösung parat. Morgen würde Lina mich durchlöchern, wenn wir ins Tattoostudio gingen.

Ich schrieb Greta am Abend noch eine Nachricht. Sie las sie, reagierte aber nicht. Ich war verletzt und auch etwas wütend. Deshalb schrieb ich ihr: »Wenn du nicht antworten möchtest, werde ich jetzt eben zu dir kommen. Wir treffen uns in 15 Minuten zwei Häuser weiter.« Und dann fuhr ich einfach los, ohne an die Konsequenzen zu denken. Ich musste es unbedingt mit ihr klären. Es war schon dunkel und nur die Lichter der Laternen beleuchteten die Wege und Straßen spärlich. Ich stellte das Fahrrad ab und wartete gerade mal eine Minute, da regte sich etwas im Schatten und kam direkt auf mich zu. Ich trat einen Schritt vor und wir standen im Licht.

»Was soll das werden?«, fragte sie und empört antwortete ich: »Das weißt du ganz genau. Ich habe einen Fehler gemacht und das tut mir sehr leid. Ich habe Lina eine Lüge aufgetischt, sie bringt dich damit gar nicht in Verbindung.« Ich musste die Tränen zurückhalten. »Warum schaust du mich jetzt so an?«, fragte ich verletzt und sie sagte: »Jetzt ist es vielleicht gut gegangen, aber irgendwann bekommt sie es wirklich mit und was dann los ist, kannst du dir sicherlich vorstellen.« Es klang nach einem Ende. Nach einem Ende der Geschichte, die noch nicht einmal einen richtigen Anfang hatte. »Was soll das heißen? Willst du jetzt alles wegwerfen, was in den letzten Wochen zwischen uns war?« Sie schaute kurz zum Boden und dann wieder in meine Augen. »Amelie, es tut mir leid, aber zwischen uns war nichts, ist nichts und wird nie etwas sein. Du hast dich da in etwas verrannt«, flüsterte sie mir leise zu und ihre Augen glänzten feucht im Licht der Laterne. Sie sah sich immer wieder ängstlich um. »Wem willst du eigentlich etwas vormachen?«, fragte ich sie ungläubig. »Niemandem, hörst du? Niemandem!« Ihre Stimme war nun etwas lauter, aber ich konnte die Unsicherheit spüren, die sich in ihrem ganzen Körper breit machte. Ich starrte sie nur an. »Und warum hast du mich dann geküsst? Hatte das denn nichts zu bedeuten?« Greta holte tief Luft. »Ich weiß nicht, was los war. Mit Paul läuft es momentan nicht so gut, ich hatte einfach einen schwachen Moment.« Ich lachte auf. »Einen schwachen Moment? Du hast mich immer und immer wieder geküsst!« Sie schüttelte wild mit dem Kopf und eine Träne lief an ihrer Wange herab. »Es geht nicht, akzeptiere das bitte. Wir werden uns nicht mehr sehen, denn du bist die beste Freundin meiner Tochter!«

Ich konnte es nicht fassen. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? »Ich gehe jetzt wohl besser wieder rein.« Ich war wie gelähmt und konnte mich nicht bewegen. »Es tut mir leid, ehrlich.« Ich schnaubte. »Das kannst du dir sparen. Ich merke doch, dass da mehr zwischen uns ist.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe mich vielleicht etwas zu dir hingezogen gefühlt, aber mehr war es nicht. Ich wollte nicht, dass du Gefühle entwickelst. Ich liebe Paul. Er und Lina sind meine Familie.« Sie konnte mich nicht mehr ansehen. Sie log mich an. Das spürte ich. »Ok, dann schaue mir in die Augen und sage mir, dass du nichts für mich empfindest, dann lasse ich dich in Ruhe. Versprochen.« Plötzlich leuchtete ein Bewegungslicht unweit von uns auf. Es kam von ihrem Haus. »Sorry, aber ich muss jetzt gehen. Paul ist zu Hause und fragt sich sicher, wo ich bleibe. Ich habe gesagt, ich gehe nur kurz den Müll rausbringen.« Sie wollte sich umdrehen und gehen, aber ich griff nach ihrem Handgelenk. Ich hörte, wie Paul Gretas Namen rief, aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen. Ich zog sie mit in den Schatten und drückte meinen Mund auf ihren Mund. Voller Verlangen erwiderte sie meinen Kuss. Kurzeitig. Dann stoppte sie ihn abrupt. »Tu das bitte nie wieder.« Sie machte sich von mir los und wollte gehen. »Eine Sache noch, Greta.« Sie blieb stehen und guckte mich fragend an. »Sag mir, dass du nichts für mich empfindest«, forderte ich sie auf, aber sie starrte mich nur an und lief dann los. Dann war sie verschwunden.

Ich schnappte mir mein Fahrrad und radelte los. Richtung Meer. In neuer Rekordzeit erreichte ich den Strand und lief zu einem Strandkorb. Dort ließ ich mich fallen und fing bitterlich an zu weinen. Warum lief nur alles so fürchterlich schief? Nach einer Weile beruhigte ich mich. Warum saß ich hier und weinte? Ich war eine Kämpferin. Ich würde nicht alles einfach so aufgeben. So war ich nicht, das passte nicht zu mir. Sie konnte mir nicht sagen, dass sie nichts für mich empfand. Ich konnte mir ein Leben ohne ihre Nähe und Küsse nicht mehr vorstellen und das wollte ich auch gar nicht. Plötzlich entfachte sich die Eifersucht in mir. Ich konnte nichts dagegen tun. Warum durfte Paul, der nie da war, nun neben ihr sitzen, sie küssen, neben ihr einschlafen und nicht ich? Warum war ich nicht an seiner Stelle? Hatte ich dieses Glück nicht verdient?

Aber dann fiel mir ein: Sie liebte Paul nicht mehr. Warum war ich dann auf ihn eifersüchtig? Sie hatte mich immer wieder geküsst. Das tat man nicht, wenn man jemanden liebte und glücklich mit der Person war. Ich konnte wirklich verstehen, dass sie Angst hatte. Die hatte ich auch, aber es ging doch darum, was einen glücklich machte, oder? Ihre Ehe lief schon lange nicht mehr rosig. Vielleicht sollte es so sein. Wenn sie die Fassade einer tollen Ehe weiterhin aufrechterhielt, würde sie irgendwann unter den Trümmern zusammenbrechen. Natürlich war mir bewusst, dass ein großes Problem noch immer Lina war. Sie war nun mal ihre Tochter und meine beste Freundin. Wir würden sie damit sehr verletzen und das wollten wir beide nicht.

Etwas regte sich in meiner Nähe. Ich war ganz still, wollte keine anderen Menschen treffen. Eine Gestalt ging an mir vorbei, hielt kurz inne auf meiner Höhe und ging dann weiter. Wenige Minuten später erreichte mich eine Nachricht von Lina. »Hey, ich bin gerade unten am Strand und könnte jetzt echt etwas Gesellschaft vertragen. Ich würde mich freuen, wenn du vorbeikommst, falls du noch nicht schläfst.« War die Gestalt gerade Lina gewesen? Leise rief ich ihren Namen. Keine Regung. Dann rief ich etwas lauter und sie leuchtete mit ihrem Display. »Amelie?«, fragte sie erstaunt und ich ging zu ihr. »Bist du geflogen?«, wollte sie wissen. »So ungefähr. Ich brauchte noch etwas frische Luft. Was liegt dir denn auf dem Herzen?«, hakte ich vorsichtig nach und setzte mich zu ihr. Sie schmiegte sich an meine Schulter und fing an zu erzählen: »Ich weiß nicht, was zu Hause los ist. Meine Eltern haben sich vorhin heftig gestritten. Ich weiß nicht worüber, aber es hörte sich nicht gut an. Er hat etwas von einem angeblich neuen Freund gesagt, dass sie eine Affäre hätte. Aber das ist doch Quatsch. Das hätte ich doch mitbekommen und meine Mama ist doch gar nicht der Typ dafür, oder? Kannst du dir vorstellen, dass sie ihm fremdgehen würde?« Mir wurde etwas schwindelig und ich hatte große Mühe, normal zu atmen. Warum dachte Paul so etwas? Uns hatte nie jemand gesehen und er sprach auch von einem neuen Freund, das passte nicht ganz zusammen. Oder hatte sie versucht, es ihm zu beichten? Mir wurde ganz anders im Bauch. »Ich weiß nicht. Deine Mama ist toll, Lina. Und alt genug. Das ist eine Sache zwischen deinen Eltern, sie werden es schon klären.« Sie nickte zustimmend. »Ja, das stimmt. Aber ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Wie kommt er darauf? Klar, sie streiten in den letzten Monaten viel, aber deshalb springt sie doch nicht gleich mit dem nächstbesten Mann ins Bett. Nein, das würde sie uns nicht antun.« Mir fehlten die Worte. Und ich musste die nächsten mit Bedacht wählen. Ich durfte kein Aufsehen erregen und mich selbst verraten. Unmöglich konnte ich meiner besten Freundin erzählen, wer die wirkliche Affäre ihrer Mutter war, es würde ihr so das Herz brechen. Wir sprachen noch etwas über das Thema und danach ging es ihr besser. »Danke für deine Aufmunterung. Was würde ich nur ohne dich machen?« Ich lächelte etwas gequält. Wahrscheinlich wäre sie ohne mich besser dran, dachte ich. »Ich hoffe, sie haben sich beide etwas beruhigt«, rief sie mir noch zu, als sie ihr Fahrrad bestieg und losfuhr. "Bis morgen Nachmittag!" Auch ich radelte nach Hause und musste immer wieder an das Gespräch denken. Total emotional erledigt für heute legte ich mich ins Bett, dann leuchtete mein Handy auf. Eine Nachricht von Lina.

»Papa ist weg. Er sagt, er braucht ein paar Tage für sich und hat sich ein Hotelzimmer gebucht. Scheiße, ich will nicht, dass meine Familie auseinander bricht, Amelie.« Und ich wollte nicht einer der Gründe dafür sein, dass es passierte, dachte ich noch, bevor ich einschlief.

The way I feel for her || gxgWhere stories live. Discover now