Vor vier Jahren

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Marinas POV

Ich ließ mir besonders viel Zeit beim Wechsel von Deutsch in den Physikunterricht. Dazu musste die gesamte Klasse einmal quer über den Schulhof ins Hauptgebäude und dort in den Physikbereich.

Eigentlich war ich die Letzte aus meiner Klasse und lief somit weit ab vom Schuss der Anderen. Die Schlussleuchte, wenn man es so sieht. Und es interessierte auch wirklich niemanden. Und mich auch nicht, solange es keine Zwischenfälle gab. Doch heute war es anders.

Ich war wie immer am Ende. Alle Klassenkameraden befanden sich schon im Schulgebäude. Bis auf mich und zwei Mädchen aus meiner Klasse. Caro und Marissa. Beide Mädels sind sozusagen die Zicken in der Klasse und hatten es aus einem unerfindlichen Grund auf mich abgesehen. Obwohl... Wenn ich es mir recht überlegte, konnte es auch daran liegen, dass ich auf Mädchenschwarm Jannis stand. Und das tat Marissa nun mal auch. Und wahrscheinlich war ich eine Konkurrentin, die sie ausstechen musste. Bestimmt war das der Grund, aber das ist Nebensache für den Moment.

Ein weiterer Grund könnten meine guten Noten sein, was weder den beiden Mädels noch der Klasse gefiel. Jedenfalls drehten Caro und Marissa kurz vor dem Betreten des Schuldgebäudes um und kamen auf mich zu.

"Hallo Marina", grüßte Caro.

Marissa und Caro kamen auf mich zu, während ich immer weiter zurückwich. Ich war vollkommen alleine. Niemand war mehr auf dem Schulhof. Von meiner Klasse hätte ich keine Hilfe bekommen. Die hätten nur Caro und Marissa weiter angefeuert. Aber ein Lehrer oder sonst außenstehende Person wäre mir echt lieb gewesen.

"Na... haben wir Angst? Wie läuft's mit Jannis? Sieht ja nicht so aus, als stünde er auf Streber", lachte Marissa und packte mich am Arm. Ich schaute sie erschrocken an und versuchte meine Hände aus ihrem Griff zu befreien, doch sie packte dann nur noch fester zu. "Du tust mir weh. Lass mich los", wisperte ich und mied den Augenkontakt mit ihr.

"Hast du das gehört Caro? Ich tue ihr weh", lachte Marissa und zog mich näher zu ihr. "Jetzt hör' mir genau zu. Lass' die Finger von Jannis, sonst hat das böse Folgen für dich. Nicht nur das lapidare Prozedere, was du schon kennst", erklärte sie und stieß mich von sich. Ich stolperte und viel auf den Boden. Dabei machte mein Kopf eine unangenehme Begegnung mit dem Boden. Kurzzeitig wurde es schwarz.

Ich hörte Marissa und Caro lachen. "Was wirst du jetzt tun? Heulen? Nach Mama rufen", lachte Caro und kniete sich zu mir runter. "Sag mal Caro... Hast du das Messer noch bei dir?", fragte Marissa und schaute Caro an. "Ja. Wieso? Was hast du damit vor?", meinte sie und kramte es aus ihrem Rucksack raus, nachdem sie diesen abgesetzt hat. "Nun ja... Wir könnten dafür sorgen, dass Jannis kein Interesse mehr an ihr hat. So... ein paar kleine Schnitte... Nichts, was tief ist, aber dennoch so, dass es Narben gibt", erklärte Marissa und nahm das Messer aus Caros Hand in ihre. Caro schaute sie zweifelnd an.

"Bist du dir da wirklich sicher? Das ist schon Körperverletzung... Das gibt richtig Ärger", entgegnete Caro unsicher und schaute sich um. Marissa stand auf und schaute Caro an: "Entweder du stehst hinter mir oder nicht. Aber wehe dir, wenn nicht, dann weißt du, was dir blüht. Und glaube mir.... das willst du nicht erleben", drohte Marissa ihr. Caro schaute sich abermals um und nickte zögerlich. "Okay... Deine Entscheidung", stotterte sie und trat etwas von Marissa weg.

Ich lag noch immer benommen auf dem Boden, konnte aber ahnen, dass das, was die Beiden vorhaben, nichts Gutes war. Marissa beugte sich über mich und grinste. Sie hob das Messer an und strich damit über meine Wange. Ich schloss die Augen und merkte, wie Blut aus der Wunde lief. Als das Messer verschwand, schaute ich Marissa an. Sie wollte ein weiters Mal ansetzen, doch ich hob meine Hände und drückte gegen das Messer in ihren Händen.

"Jetzt wehre dich nicht so, Schlampe. Das erste Mal tat doch auch nicht weh, oder", sagte sie und drückte weiter. Ich drückte mit aller Kraft dagegen. Langsam konnte ich aber auch nicht mehr dagegen drücken. "Mensch Marissa. Jetzt hör' auf. Du hast schon genug gemacht", flehte Caro und zog Marissa an der Schulter zurück. Dabei rutschte Marissa mit dem Messer ein wenig ab und traf meinen Arm. Ein langer, blutiger Strich zog sich längs bis zum Handgelenk nach unten. Es blutete und es das nicht einmal wenig.

"Fuck!", rief Marissa und schmiss das Messer erschrocken weg. "Was hast du getan?", schrie sie dann Caro an und schubste sie. "Was ich getan habe? Du hattest doch das Messer in der Hand", schrie sie zurück. "Aber es wäre alles nicht passiert, wenn du mich nicht zurückgezogen hättest", warf Marissa ihr vor und schaute sich dann um. "Komm... wir müssen hier weg", sagte sie schließlich und hob ihren Rucksack auf. Sie zog dann an Caros Arm. "Na komm jetzt", sagte sie und zog an ihrer Freundin. "Aber wir können sie doch hier nicht so liegen lassen. Sie wird sterben", entgegnete Caro und wollte in die entgegen gesetzte Richtung.

"Jetzt komm. Es wird sie schon jemand finden und Hilfe holen", argumentierte Marissa und lief dann voraus. Caro war unsicher. Bis zur nächsten Pause vergingen locker noch 75 Minuten. Bis dahin wäre jede Hilfe zu spät.

Ich schaute Caro flehend an. Sie musste mir einfach helfen. Ich wollte noch nicht sterben. Klar hatte ich aufgrund der Attacken schon einige Mal an sowas gedacht, aber diesen Gedanken gleich wieder verdrängt. Caro ging auf mich zu und nahm mein Handy. Mir war es mittlerweile egal, was jetzt noch kam. Sie machte irgendwas damit, legte es auf laut neben mich. "Es tut mir leid", sagte sie und rannte dann weg.

Ich schwieg. Ich konnte nicht mehr. Ich fühlte mich einfach nur noch müde und konnte nicht mehr. Ich schaute einfach nur noch auf das Blut, welches sich um meinen verletzten Arm am Boden verteilte. "Notruf Feuerwehr, Rettungsdienst. Wo ist ihr Notfall?", hörte ich eine Stimme. "Hallo? Ich brauche hier Hilfe", flüsterte ich und hoffte, dass mich die Person am anderen Ende hörte. "Wie heißen sie?", wurde gefragt. "Marina... Marina Reiter", sagte ich. "Okay... Wo befindest du dich, Marina?" "Ich bin auf dem Schulhof... Schweizer-Gymnasium. Mein... Ich bin verletzt... Ich bin gestürzt und mein Arm blutet", flüsterte ich und mir fielen langsam die Augen zu. "Ist noch jemand bei dir?" "Nein... ich bin alleine", antwortete ich und wurde immer leiser. "Du musst wach bleiben. Am besten du redest mit mir weiter bis die Einsatzkräfte eintreffen", schlug der Mann vor.

"Ich bin aber so müde", meinte ich. "Du darfst jetzt auf keinen Fall die Augen schließen.", rief der Mann, "Wie alt bist du?" "15...", entgegnete ich und schloss die Augen. "Marina? Hallo... hörst du mich noch?", fragte die Stimme am anderen Ende, doch es kam keine Antwort wieder. Minutenlang war es still, bis jemand rief: "Marina!"

Jemand ließ sich neben mich nieder und hielt meine Hand. "Hallo? Wer ist da?", fragte der Mann. "Hier ist Jannis. Ein Mitschüler", sagte Jannis. "Okay Jannis. Was ist mit Marina?", fragte er. "Sie... sie ist bewusstlos", stotterte der Junge. "Atmet sie noch?", kam die nächste Frage. "Ja. Aber sie blutet... Hier ist alles voller Blut", stammelte Jannis panisch. "Wo blutet sie? Am Arm hat sie erwähnt, aber sonst noch wo?", fragte der Retter. "Ich glaube am Kopf und eine Wunde an der Wange", antwortete Jannis.

"Das habe ich mit. Wie stark blutet die Wunde am Arm?" "Die blutet sehr stark. Da ist schon eine Lache", meinte Jannis. "Hast du was da um das zu versorgen? Am besten etwas, womit du einen Druckverband machen kannst?", fragte der Mann. "Ja. Im Eingangsbereich der Schule ist ein Erste-Hilfe-Kasten. Ich gehe den eben holen", rief Jannis und rannte los. Er holte den Kasten und begab sich wieder zu mir. "Jannis? Hast du den Kasten?" "Ja. Ich habe ihn hier. Was soll ich tun?", fragte Jannis. "Hole aus dem Kasten eine Kompresse und zwei Verbände. Die Kompresse legst du auf den Arm. Anschließend wickelst du den Verband drum. Zwischendrin den zweiten Verband ungeöffnet dazwischen. Du machst also einen Druckverband", erklärte der Mann am Notruf. Jannis tat es und schaute sich um. "Ist denn jemand schon unterwegs?", fragte Jannis nervös. "Ja. Der müsste gleich eintreffen. Kannst du nochmal versuchen, sie zu wecken?"

Jannis versuchte mich zu wecken, blieb aber ohne Erfolg. Nur wenig später wurde Jannis abgelöst und ich wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Auf der Fahrt wurde ich kurz im RTW wach. "Ich wollte das nicht. Ich habe mich doch nur gewehrt", flüsterte ich leise.

Ich gegen die WeltWhere stories live. Discover now