Kapitel 1

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Das erste Mal, dass ich ihm begegnete, war in der Schule. Meine Noten ließen damals zu wünschen übrig und da mein Vater sich bei der Schulleitung eingeschleimt hatte, sollte mir der Schulsprecher höchstpersönlich dabei helfen, mindestens zum Durchschnitt zurück zu kehren.

Wir wurden beide ins Büro des Direktors gerufen und standen uns dort erstmalig direkt gegenüber. Ich hatte ihn zwar schon öfters auf dem Schulgelände gesehen, allerdings hatte ich mich da nie wirklich um ihn gekümmert. Ich war mehr damit beschäftigt gewesen, Leuten aus dem Weg zu gehen, als sie mir genauer anzusehen.

Er war größer als ich, das ist mir sofort aufgefallen. Seine haselnussbraunen Haare fielen ihm lässig in die Stirn, doch es sah noch immer ordentlich aus.

Seine Augen hatten einen dunklen Braunton, etwa wie die Bitterschokolade mit dem hohen Kakaoanteil. Sie schienen sich geradezu durch mich hindurch zu bohren, weshalb ich stattdessen den unteren Teil des Gesichts vom Schulsprecher in Augenschein nahm.
Böser Fehler, denn diese wunderschön geschwungenen, vollen Lippen erweckten das Bedürfnis in mir, von ihnen berührt zu werden - wo auch immer er wollte.
Die Uniform saß tadellos und stand ihm meiner Meinung nach von allen Schülern am Besten, als wäre sie nur für ihn gemacht. Die Schuhe sahen ziemlich teuer aus und wirkten, als wenn er sie eben erst angezogen hätte.
Kurz gesagt: er war perfekt.

Und genau da war das Problem. Kim Seokjin war so dermaßen perfekt, dass ich direkt vom ersten Moment an einen Crush auf ihn entwickelte.

Der Schulleiter stellte uns einander vor und so erfuhr ich, dass er in die Abschlussklasse ging. Dies würde erklären, weshalb ich wie ein Zwerg neben ihm wirkte, obwohl ich mich nie klein für mein Alter gefühlt habe.

Obwohl bereits sein Anblick mich schon an meiner bisherigen Sexualität zweifeln ließ, überkam mich unglaubliche Angst. Er war der erste Schüler seit über einem Monat, dem ich in die Augen sah. Er würde der erste Schüler seit Jahren sein, mit dem ich mich außerhalb der Schule treffen müsste. Und vor allem würde ich mit ihm reden müssen...

Als der ältere Herr seinen Redeschwall unterbrach, während dem ich - nach dem kurzen Blick nach oben in Seokjins Augen - die Maserungen des Bodens analysiert hatte, schob sich plötzlich eine Hand in mein Blickfeld.

Ich hatte eigentlich gedacht, dass unsere Vorstellung beendet war, wenn wir uns voreinander verbeugt haben, doch mein Gegenüber hatte wohl andere Pläne. Er wollte ernsthaft meine Hand schütteln...
Mit geweiteten Augen starrte ich darauf, nahm seine Stimme nur wie durch Watte wahr, während ich zitternd jedes einzelne Detail dieser Hand in mich aufnahm. Bis heute sind mir besonders die krummen Finger im Gedächtnis geblieben...

Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und rannte. Ich stürmte einfach durch die Tür und rannte kopflos dorthin, wohin meine Füße mich trugen. Ich dachte nicht nach. Ich wollte nicht denken.

Als ich realisierte, wo ich war, stand ich bereits vor meiner Haustür. Zitternd schloss ich auf und stürmte an meiner verwirrten Mutter vorbei in mein Zimmer.
Ihre Fragen ignorierte ich erstmal. Ich brauchte noch Zeit, um mir passende Antworten zu überlegen...

Als ich mich endlich unter meiner Decke verkriechen konnte, brachen alle mühsam aufgebauten Dämme und ich begann lauthals zu Schluchzen. Dummerweise war unser Haus ziemlich hellhörig, um also zu vermeiden, dass meine Mutter etwas mitbekommen würde, griff ich blindlings im Bett herum, bis ich meinen Kuschelhasen zu fassen bekam.
Mit dem unterdrückte ich meine Laute, während ich ihnen freien Lauf ließ.

Es war befreiend. Mit einem Mal fiel der Druck, der sich durch die erzwungene Begegnung in mir aufgebaut hatte, einfach ab. Irgendwie war mir, als könne ich immer freier atmen, obwohl sich das in meiner Position eher als schwierig gestalten sollte.

Die Situation eben hatte mir wieder gezeigt, in wie weit mich meine Angst schon im Griff hatte. Es war erschreckend, zu sehen, wie sehr mich kleinste Dinge überforderten, wenn es zum Thema Menschen kam.

Doch behandeln lassen? Praktisch unmöglich, immerhin bräuchte ich einen Therapeuten, also eine fremde Person, mit der ich ständig alleine in einem Raum sein und ihr dazu noch alles über mich erzählen müsste. Das hatte ich schon versucht und war gescheitert.

Doch ich hatte eine andere Möglichkeit: Das Internet. Dort hatte ich eine Möglichkeit gefunden, mich mitzuteilen und mit anderen ins Gespräch zu kommen - ich schrieb einen Blog. Er war zwar nicht erfolgreich, aber so etwas wie ein Tagebuch Ersatz und ich hatte zwei feste Leser.

Allerdings musste ich mich zuerst einmal beruhigen, sonst würde ich keinen vernünftigen Satz herausbekommen. Meinen Hasen mittlerweile fest an mich gedrückt, ging ich darin über, meine Laute in meinem Kopfkissen zu ersticken. Diese Methode war meiner Meinung nach effektiver, weil das Kissen eine größere Fläche darbot und ich zudem mein Kuscheltier umarmen konnte. Das tat unheimlich gut...

Der wundervolle Duft von Lavendel und anderen Kräutern, der von dem Säckchen kam, das meine Mutter in den Hasen eingenäht hatte, lullte mich völlig ein und nach einer Weile war ich wieder in der Lage, ruhig durchzuatmen. 

Nur setzte diesmal direkt die Müdigkeit ein und ich sank, erschöpft von dem Ereignis am Morgen, in einen tiefen Schlaf.

- - -

Hey^^

Ich habe es endlich geschafft, das erste Kapitel zu beenden. Es hat etwas gedauert, aber hier ist es. Ich hoffe, es gefällt euch~

DeadTear

(844 Wörter)

You hurt me - JinkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt