Die Kündigung

1 0 0
                                    

Ein letzter Blick zurück auf den Schreibtisch und ich weiß, es ist wirklich Zeit, endlich zu gehen. Die unbearbeiteten Posteingänge liegen unsortiert auf einem Stapel. Ein Wirrwarr aus Briefen und aufgerissenen Umschlägen. Dazwischen spitzeln ein paar gelbe und rosa Ecken heraus. Post Its mit dem Vermerk: Dringend!
Von Frau Schneider geschrieben in ihrer zackigen Handschrift. Gerade Linien, keine Schnörkel, immer klar und leserlich, als hätte sie mit dem Lineal Linien gezogen. Hat sie aber nicht. Sie legt nur sehr viel Wert auf Korrektheit und einheitliche Arbeitsweise. Dazu gehört eben eine saubere und deutliche Handschrift. Viel zu krakelig und verspielt sei ihr hingegen meine Schrift, monierte sie des Öfteren in der Vergangenheit. I-Punkte sollte keine Smileys sein und die Schleife des kleinen g's muss nicht unterhalb der halben Zeile entlang geschwungen werden. Nein, muss es nicht, aber es gefällt mir so. Irgendwann gab sie es dann ohnehin auf, mich auf diesen Makel hinzuweisen. Schließlich traten längst schon schwerwiegendere auf.
Aber das ist mir jetzt egal. Ich gehe und soll sich doch jemand anderes um die unerledigten Aufgaben kümmern.

Kurz überlege ich noch, ob ich die Schubladen noch einmal durchschauen soll. Vielleicht habe ich etwas Wichtiges vergessen? Aber eigentlich nicht, denn was war an diesem Arbeitsplatz schon jemals wirklich wichtig?

Also betätige ich die Klinke und verlasse das Büro ohne Wehmut und ohne Bedauern. Ein langes und beschwerliches Kapitel ist an dieser Stelle zu Ende. Ich gehe nach Hause.

Auf dem Weg nach unten, aus dem 15. Stock, begegnen mir viele der Gesichter, die ich alle schon so oft gesehen habe, aber deren Besitzer ich nicht kenne. Unbekannte Kollegen, mit denen man gerne einmal am Kaffeeautomaten plaudert, über Fußballergebnisse oder das Wetter. Kolleginnen, denen man Komplimente macht, während man versucht heimlich in ihr Dekolleté zu starren. Aber die Namen vergisst man. Weil sie nicht wichtig sind. Weil sie nie wichtig waren. Einfach nur kurze Informationen aus peripheren Sphären. Natürlich hat jeder Mensch seine Geschichte und alle haben ein Leben. Man kann bei jedem Dinge finden, die interessant sein mögen, aber am Ende sind alle Geschichten und alle Leben einerlei. Ein Einheitsbrei aus langweiligen Existenzen, so wie meine auch. Nein ich werde niemanden vermissen. Wirklich niemanden...

Außer vielleicht Frau Pospischil aus dem Sekretariat im 12. Stock. Gerade komme ich an ihr vorbei und kurz treffen sich unsere Blicke. Sie steht am Fenster und ihre kurzen dunklen Haare kräuseln sich leicht im Nacken, während sie mit den langen zierlichen Fingern fest die Kaffeetasse umschließt. Wie schon so oft in der Vergangenheit begegnen sich ihre rehbraunen Augen mit meinen kühlen grauen. Ein kurzes Aufeinandertreffen zweier sehnsüchtiger Augenpaare, die so deutlich nach Hilfe rufen. Die angenommen werden wollen, wie sie sind. Aber die Münder darunter bleiben stumm und verlieren sich wortlos in Belanglosigkeiten und das kurze Nicken zum Abschied, der kleine Gruß am Morgen, sie verraten doch nichts von dem Bedürfnis, in den Arm genommen zu werden, berührt zu werden, zu verschmelzen, dort wo einer alleine nichts und zwei das ganze Universum sind. Ängste, Zweifel und Befürchtungen, sie versperren den Weg und es bleibt nur Distanz, wo sie nicht sein müsste, nicht sein dürfte.

Wie oft dachte ich daran, auszubrechen aus diesem Korsett und zu sagen: „Frau Pospischil, ...Sabine..., komm wir gehen und spazieren mit nackten Füßen über den Strand unserer Insel der Hoffnung und Träume", aber nichts brachte ich heraus, als nur ein:" 'n Morgen". Ein unvollständiger Gruß, der als Platzhalter für das Eigentliche viel zu unvollkommen war.

Aber heute winke ich ihr fröhlich zu, denn viele Schranken gibt es für mich jetzt nicht mehr. Ich werfe ihr einen Luftkuss zu und setze meinen Weg fort. Heute bin ich in Eile. Heute hält mich nichts mehr. Aber wir sehen uns wieder Sabine. Wir werden schon bald die Ewigkeit gemeinsam erobern. Nur nicht jetzt, jetzt muss ich gehen und ich kann dich nicht mitnehmen.

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: Sep 03, 2018 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

Was vom Leben übrig bliebWhere stories live. Discover now