III

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LINUS

Ich wache auf und fühle mich so, wie man sich fühlt, wenn man einen Kater hat. Meiner Schätzung nach habe ich gerade einmal vier Stunden geschlafen und die Schuld daran trägt alleine sie. Gestern Nacht, als ich durch die Dunkelheit geirrt bin und nach dem Haus meiner Tante gesucht habe, ist es mir nicht gelungen, ihren Anblick aus dem Kopf zu bekommen. Wie sie da am Fenster stand; traurig, allein aber gleichzeitig auch wunderschön. Irgendwann bin ich dann zu Hause angekommen, wo ich einen Schlüssel auf der Matte vorgefunden habe. Er ist auf einem Zettel mit der Aufschrift:
Du bist ein kleiner Lauser aber ich lasse dich trotzdem herein.
gelegen und ich habe in mich hineingelacht, denn ich hätte nicht gedacht, dass meine Tante im Stande ist, noch bessere Sprüche hervorzubringen als meine Mum. Leise habe ich mich bis ins Gästezimmer geschlichen und mich ohne zu duschen in das Bett gelegt, das unglaublich ungemütlich ist. Ich bin sehr müde gewesen und trotzdem bin ich einige Stunden wachgelegen, weil ich mir Gedanken um das Mädchen gemacht habe. Sie könnte natürlich auch einen festen Freund und daher keine Interesse an neuen Bekanntschaften haben, aber je länger ich darüber nachdenke, desto weniger glaube ich daran.

Während ich mir in der Dusche das heiße Wasser über den Kopf laufen lasse und meiner Tante zuhöre, wie sie unten in der Küche Geschirr ein- und ausräumt, fasse ich einen festen Entschluss. Ich steige aus der Duschkabine, rubble meine Haare trocken und ziehe mich an. Die Sonne scheint jetzt schon direkt in mein Zimmer, obwohl es erst kurz nach zehn Uhr ist. Die Holzstufen knarren laut als ich ins Erdgeschoss hinuntersteige und plötzlich bekomme ich Angst, sie könnten meine Tante aufgeweckt haben als ich nach Hause gekommen bin. Diese umarmt mich jedoch nur übertrieben
herzlich und erwähnt die Nacht mit keinem Wort. Ich begrüße sie mit einem netten: „Guten Morgen" bevor ich zwei Scheiben Brot in den Toaster stecke und mir Milch in ein Glas gieße. Im Augenwinkel beobachte ich, wie sie mich überrascht mustert und ich muss lächeln. Über meine Frühstücksgewohnheiten wundert sich tatsächlich fast jeder aber das ist mir egal. Meine Tante trägt noch immer ihren rosa-geblühmten Morgenmantel. Sie hat gelbe Hausschuhe an den Füßen und in ihren mausgrauen Harren stecken unzählig viele, bunte Lockenwickler. Immer noch lächelnd, setzte ich mich an den Küchentisch, der mit einem karierten Tischtuch überdeckt ist und beginne, meinen Toast mit Butter zu bestreichen.

Ich habe mir schon gedacht, dass es ein heißer Tag werden würde, aber das, was mich draußen erwartet, übertrifft alle meine Erwartungen. Es ist so heiß, dass man sich selbst in Shorts und kurzem T-shirt fühlt, als würde man sich gleich komplett in Wasser auflösen. Wenn ich keinen fixen Plan hätte, der mich zum Hinausgehen zwingt, würde ich mich sofort wieder in das kühle, gemauerte Heim zurückziehen. Allerdings habe ich mir in den Kopf gesetzt, dass ich sie finden werde, denn ich möchte sie ansprechen und sie mindestens nach ihrem Namen fragen.
Während ich mich schnellen Schrittes Richtung Zentrum bewege, versuche ich geistig den Weg von gestern Nacht zu rekonstruieren und ich bete, dass ich die Bar wiederfinde. Mein Glück lässt mich nicht im Stich und ich finde mich nur wenige Minuten später direkt vor dem Lokal wieder. Ich spähe hinein, doch ich erkenne nur einen jungen Kellner, mit mahagonifarbenem Haar. Ich betrete den Pub entschlossen und steuere direkt auf die Theke zu. „Entschuldigung", sage ich „Ich war gestern hier und da ist eine Kellnerin hiergewesen. Sie hat blonde, ja, fast goldene Haare und tiefblaue Augen. Wissen Sie zufällig wie ich sie erreichen kann? Oder wenigstens wie sie heißt?" Der Kellner beginnt zu lachen und sieht mir direkt in die Augen, während er mit slawischem Akzent spricht: „Wenn du die Martha meinst, kann ich dir ihre Adresse verraten. Allerdings warne ich dich: das Mädel ist eine harte Nuss und bis jetzt hat noch niemand geschafft, sie zu knacken." „Ja", sage ich, während ich über seine Worte nachdenke „Genau die meine ich." Er nickt und nimmt einen Zettel und einen Kugelschreiber aus einer Schublade, schreibt einen kurzen Namen auf und reicht mir das Papier. Ich bedanke mich, drehe mich um und verlasse die Bar so schnell ich kann. Als ich mich draußen noch einmal umdrehe, sehe ich, wie mir der Junge kopfschüttelnd, aber lächelnd, hinterherblickt.

Kurze Zeit später befinde ich mich glücklicherweise, mithilfe von GoogleMaps, an der besagten Adresse. Martha, wie der Name des Mädchens anscheinend lautet, wohnt in einem roten, kleinen Reihenhaus inmitten einer grün bepflanzten Wohnstraße, welche von einer Allee gesäumt wird. Unschlüssig stehe ich vor der Wohnung. Es ist nicht offensichtlich, welches Zimmer Martha gehört und abgesehen davon, würde ich es niemals schaffen hinaufzuklettern. Und kriminell bin ich bis jetzt auch nicht geworden. Als ich mich umsehe, bemerke ich einen kleinen, roten Briefkasten direkt neben dem Gatter des weißen Zaunes, der den Vorgarten eingrenzt. Mir ist eine Idee gekommen und ich fange an, hektisch in meinen Hosentaschen zu kramen. Als ich dem gesuchten Zettel gefunden habe, hole ich auch noch einen Stift heraus und schreibe eine kurze Nachricht auf das Papier. Ich werfe das Papier in den Briefkasten und wende mich rasch zum gehen, denn ich will nicht, dass mich jemand hier entdeckt. Jetzt kann ich sowieso nur mehr hoffen.

Als ich zu Hause angekommen bin, muss ich wohl ein bisschen besorgt ausgesehen haben, denn meine Tante hat mich fragend angesehen. Ich habe ihr nur zugenickt und bin dann gleich nach oben in das Badezimmer gegangen. Obwohl ich vor wenigen Stunden geduscht habe, stinke ich unglaublich nach Schweiß und fühle mich, als hätte ich gerade eine zweiwöchige Expedition in der Sahara beendet. Seufzend lasse ich mir dass kühle Nass über meinen Körper rinnen, als  mein Blick plötzlich zum Spiegel, der an der gegenüberliegenden Wand hängt, wandert. Ich schalte den Hahn ab und steige aus der Wanne heraus. Wassertropfen rinnen mir die Schläfen hinab, meine Haare stehen wild vom Kopf ab und meine Wimpern kleben durchtränkt aneinander. Ich schaue mir selbst in die Augen, tue das, was ich zwölf Monate lang gemieden habe zu tun und ich weiß auch warum, denn sofort beginnen die Tränen zu fließen und vermischen sich weiter unten mit dem Wasser und Shampoo. Meine Augen sind nussbraun, genau wie meine Haare, allerdings sind sie mit okerfarbenen Partikeln gesprenkelt. Ich habe meine Augen immer sehr gemocht, dieses goldene Leuchten, wenn ich glücklich gewesen bin. Doch jetzt, hängt in meinen Augen nur noch die tiefe Trauer und als wäre das noch nicht genug, sind meine Augen auch noch identisch zu ihren. Zu den Augen, in die ich nie mehr werde blicken können, obwohl es mein größter Wunsch ist.

Was uns trenntDove le storie prendono vita. Scoprilo ora