Kapitel 5: Englisch für Anfänger

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Die erste Unterrichtsstunde war eine Doppelstunde Englisch und wie konnte ein Tag besser anfangen, als durch das Herumirren im Schulgebäude, weil man den Klassenraum nicht findet.
Nicht das mir das schon am Vortag passiert wäre, nee nee..

Etwas abgehetzt klopfte ich an einer Klassenzimmertür nach der anderen ohne überhaupt zu wissen wie der Lehrer oder die Lehrerin aussah, zu der ich musste.
Und da ich noch niemanden kannte mit dem ich Englisch hatte, konnte mir natürlich auch niemand den Weg zeigen.

Erst als ich einen dunkelbraunen Haarschopf um die Ecke verschwinden sah, besserte sich meine Lage.
Ich sprintete los um die Person, die eben verschwunden war einzuholen und erreichte sie tatsächlich nur um festzustellen, dass es Konstantin war, in den ich fast erneut, zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen, reingerannt war.

"Ach du bists", sagte ich etwas enttäuscht, ohne Erwartung, dass er mir vielleicht weiterhelfen konnte.
"Na wohin bist du denn zu spät?", fragte er und drehte sich zu mir um, um mich mit einem verschmitzten Lächeln von oben herab anzuschauen.
"Englisch.", sagte ich kurz angebunden, schaute auf die Uhr und stellte fest, dass es mittlerweile schon 10 nach 8 war.
"Ich auch, bei wem?"
"Dippetz.", antwortete ich etwas gestresst und war total irritiert von seiner Gelassenheit.
"Ich auch. Lass mich raten, du hast keine Ahnung wo der Klassenraum ist?"
"Richtig."
Ohne zu antworten nahm er meine Hand und zog mich hinter sich her.
Er hatte einen so starken Griff, dass ich mich nicht mal wehren konnte.
Er hätte mich jetzt verschleppen können, umbringen, ich wäre völlig wehrlos gewesen.
"Und wieso bist du zu spät?", fragte ich nun und gab meinen gescheiterten Versuch, mich zu befreien, auf.
"Hab verschlafen."
"Wie?", fragte ich etwas doof, genau im Wissen, wie es passierte, dass man verschläft.
"Konnte gestern abend nicht schlafen."
Diese Antwort überraschte mich.

Warum er wohl nicht schlafen konnte?

An Dippetzt Klassenzimmer angekommen, räusperte sich Konstantin, überlegte anscheinend kurz und klopfte dann.
Die Laustärke, die vorher aus dem Klassenzimmer gekommen war, erstarb.
"Ja?"
Konstantin öffnete die Tür und zog mich hinter sich, ohne meine Hand los zu lassen, in den Klassenraum.
Vor uns stand nun ein etwas älterer, in die Jahre gekommener, grauhaariger Mann, mit einem etwas verärgertem Blick.
"Entschuldigen sie, wir mussten noch etwas erledigen."
"Zusammen?", fragte Herr Dippetz skeptisch und zog eine Augenbraue hoch.
"Ja.", etwas schockiert über seine spontane Lüge, verpasste ihm einen leichten Tritt.
Er grinste als Antwort nur und hielt meine Hand immer noch fest in seiner.

"Wie auch immer. Sie sind zu spät. Setzen sie sich bitte. Da dies der erste Schultag ist, mache ich eine Ausnahme."

Leise schlichen wir uns auf zwei freie Plätze an einem Tisch, ganz hinten im Klassenzimmer.

"Da wir ja gerade dabei waren zu besprechen was dieses Jahr im Lehrplan steht-"
"Wieso hast du nicht einfach die Wahrheit gesagt?", zischte ich ihm zu und packte vorsichtig meine Bücher aus, ohne großen Krach zu machen.
Er hatte endlich meine Hand losgelassen und tat es mir nach.
"Was? Dass ich verschlafen habe?"
"Dass ich den Weg nicht kannte du Idiot!"
"Das hätte uns der niemals geglaubt. Ich sag das eine und du das andere. Aber auftauchen tun wir zusammen. Da ist es einfacher eine Lüge aufzutischen."
"Jetzt denken die Leute was weiß ich was."
"Ein literarisches Talent, meine Damen und Herren.", bemerkte er witzelnd und holte einen Notizblock heraus.
"Man, die Leute denken doch jetzt wir wären zusammen!"
"Wäre das denn so schlimm?", er grinste mich von der Seite an und meine Wangen färbten sich rosa.
Ich antwortete nicht sondern holte ebenfalls meinen Notizblock heraus um zu notieren, was Herr Dippetz eben gesagt hatte, auch wenn ich nur halb zugehört hatte.

"Okay ich möchte, dass ihr alle jetzt erstmal einen kleinen Text schreibt, was ihr in den Ferien getan habt und anschließend eurem Nachbarn vorlest."
"Und wenn man nichts erlebt hat?", fragte Konstantin plötzlich laut und erntete somit ein paar Lacher der Klasse.
"Sehr lustig."
"Ich fands lustig", flüsterte mir Konstantin zu und wollte anfangen zu schreiben.
"Hast du mal nen Stift für mich?", fragte er mich und ignorierte dabei völlig die Tatsache, dass ich zu seinem Witz vorher nichts gesagt und nicht mal gelacht hatte.
Ich nickte nur und schob ihm einen rosa Kugelschreiber rüber, auf dessen Motiv zwei Pandas miteinander tanzten und sich umarmten.
"Aw wie süß!"
"Verhälst du dich eigentlich immer so nervig?", fragte ich etwas launisch und schnappte mir ebenfalls einen meiner Stifte und fing konzentriert an zu schreiben.
"Meistens."
"Na super."

Nach einer halben Stunde sollten wir die Texte uns gegenseitig vorlesen und meiner wurde persönlicher als gewollt.
Mulmig fing ich an zu lesen und kam nicht drum herum zu bemerken, dass mir Konstantin an den Lippen hing.

Wenigstens hörte er gut zu...

"[...] I spent my days off, with my family and friends, enjoying the time we had left. The reason why this was so important for me is my school change. I had to move to this school. I didn't want to, but I knew it was the best thing I could do for my mother. My mother had no time for me at all. She was busy working at the hospital, as a nurse. Of course this made me sad but when I turn 18, there is a chance I can go back and meet my friends again.[...]"
"Dir ist aber klar, dass du über die Ferien schreiben solltest und nicht über deinen emotionalen Seelenstand?"
"Das ist doch Teil meiner Ferien.", sagte ich etwas bedrückt und kritzelte noch ein paar Verbesserungen an den Rand.
"Jedenfalls war dein Text gut, auch wenn es vielleicht ein bisschen umgangsprachlich ist und ein paar Fehler drin sind. Auch wenn das Thema ein bisschen verfehlt ist."
"Na dann lass doch mal hören was du so preiszugeben hast.", forderte ich etwas beleidigt und schaute ihn erwartungsvoll an.
"Okay... [...] My holidays were boring. At least I met my best friend Charlie again. We played videogames all day. I got a playstation for my birthday and in summer I had a chance to use it. I had to use my holidays like that because our damn school rules prohibit game consoles. [...]"
"Das war ja furchtbar. Und ich hab das Thema verfehlt?", ich beäugte ihn skeptisch und schnappte mir seinen Text um hier und da eine Stelle zu streichen oder zu verbessern.

Mal abgesehen davon, dass der Text furchtbar war, erzählte er nicht die Wahrheit... Wieso schrieb er sowas? Andererseits erwähnte er einen Freund namens Charlie... war da was wahres dran?

"Hast du vielleicht Lust mir Englisch Nachhilfe zu geben?", fragte Konstantin plötzlich und schaute mich an.
Damit riss er mich total aus meinen Gedanken.
"Ich? Dir?"
"Jaa mal abgesehen davon, dass dein Englisch umgangsprachlich ist und.. naja. Aber besser als meins ist es alle Mal." 
Er grinste mich ernst an und griff auch schon nach meinem Schulplaner.
"Hey! Du kannst gar nicht bewerten ob mein Englisch umgangsprachlich ist, wenn du selbst so ein grottiges Englisch hast."
"Na siehst du, dann sind wir uns ja einig. Wie wärs Mittwoch, nach der Mittagspause? Da hab ich aus und so wie ich es sehe du auch."
Ich konnte nicht mal antworten.
"Dann wäre das ja klar."
Etwas überrumpelt nickte ich und betrachtete die krakelige Handschrift die sich nun groß über mein 'Mittwoch' Feld zog.
"Achja und den Kulli hier konfisziere ich."
Er ließ den rosanen Kugelschreiber vorsichtig in seinen Händen kreisen und betrachtete ihn grinsend.

Dieser Kerl ist echt ne Nummer für sich.

Konstantin & June - "dormitories this way"Where stories live. Discover now