Früher Abend

6 1 1
                                    

Er saß zuhause auf seinem Stuhl und starrte aus dem Fenster. Tränen liefen seine Wangen hinunter.
Vor ihm, auf dem Schreibtisch, leuchtete das Display seines Handys auf. Kurz zuckte sein Blick zum Handy, richtete sich aber schnell wieder in die stürmische Nacht. Eine Flugzeug flog weit oben im Himmel vorbei. Er fuhr sich durch die Haare, sie fielen ihm wieder über die Augen. Wieder blinkte das Display auf, doch diesmal sah er gar nicht erst hin. Ihm war kalt. Seine Finger zitterten, als er das Handy aufhob und es entsperrte. Drei Anrufe in Abwesenheit. Der Anrufer leuchtete in grüber Schrift neben den Informationen: Amanda. Wieder traten Tränen aus seinen Augen und er wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Langsam stand er auf. Der Junge lief schwankend zur Tür und verließ sein Zimmer. Im Flur nahm er die dritte Tür rechts, aus der ein sanfter Geruch nach Zimt kam. Die Kekse, die seine Mutter vor ein paar Stunden gebacken hatte, lagen noch unberührt auf dem Küchentisch, inzwischen waren sie abgekühlt. Das Handy vibrierte in seiner Tasche.
Sie gab nicht auf, dachte er, und kurz verschwand seine Trauer und wich einem warmen Gefühl von Geborgenheit, von Sicherheit. Aber dann fiel sein Blick auf das Familienfoto auf dem Tisch. Ein kleiner Junge stand fröhlich grinsend zwischen einem Mann und einer Frau, die beide seine Hände hielten. Im Hintergrund konnte man ganz klein den Eiffelturm sehen. Es klingelte an der Tür.
Es wunderte den Jungen, wer jetzt klingeln sollte, aber in seiner Traurigkeit dachte er kaum darüber nach. Den Türspion übersah er einfach und drückte die Klinke. Da stand sie. Eingehüllt in einen schwarzen Mantel, von dem Regenstropfen auf die Fußmatte perlten, die langen, blonden Haare völlig durchnässt unter eine Wollmütze gesteckt und zu zu einem Zopf gebunden.
„Jake..", flüsterte sie und kam näher. „Es tut mir so leid." Sie umarmte ihn. Er stand regungslos da, während sie ihn durchnässte und ganz fest an sich zog. Trotzdem wurde ihm warm ums Herz. Sie löste sich von ihm und schob ihn vorsichtig zurück, um die Tür hinter sich zu schließen.
„Geh doch schonmal in dein Zimmer, okay? Ich komme gleich nach.", sagte sie leise, und drückte ihm vorsichtig einen Kuss auf die Wange. Jake wankte den Flur entlang, kraftlos und niedergeschlagen. Auf halbem Weg holte Amanda ihn ein. Sie hatte den Mantel ausgezogen und aus der Küche zwei Teller und Besteck geholt. Jake öffnete die Tür seines Zimmers und ließ sich aufs Bett sinken. Amanda stellte das Geschirr auf den kleinen Couchtisch und setzte sich dann neben ihn. Sie sagte nichts. Sie saß einfach da, ihren Arm um seine Hüfte gelegt und kuschelte sich an ihn.
Seine Hand legte sich vorsichtig auf ihre Schläfe. Da begann Jake, richtig zu weinen. Sein Schluchzen hallte durch die leere Wohnung. Amanda richtete sich auf und umarmte ihn. Sein Kopf sank auf ihre Schulter. Regelmäßig schüttelten Schluchzer seinen Körper. Als er langsam verstummte, löste sie sich und sagte vorsichtig: „Hey. Ich muss mich umziehen, bevor ich dein ganzes Bett volltropfe, also..." Jake nickte teilnahmslos. Sie bedachte ihn mit einem traurigen Blick und streifte sich die Hose ab. Ihr Freund widmete ihr nicht einmal einen Blick, sondern starrte stumm auf sein Handy. Tränen tropften auf den Bildschirm, aber er machte keine Anstalten, sie wegzuwischen. Amanda ging zum Kleiderschrank, griff nach einer seiner Jogginghosen und schlüpfte hinein. Dann zog sie ihr Top aus, und zog sich einen dicken Pullover an, der auf dem Boden lag. Jake hatte sich ein Stück bewegt. Sie ging zu ihm hinüber und warf einen Blick auf das Display. Jake hatte die Galerie aufgerufen und sah sich das alte Familienfoto an, das auch in der Küche stand. „Willst du was essen?", fragte sie mitfühlend. Er nickte dankbar. Sie machte sich auf den Weg in die Küche. Normalerweise kochte er immer, sie war eine grauenhafte Köchin.
Hoffnungsvoll öffnete sie die Vorratsschublade und fand tatsächlich eine Dosensuppe. Erleichtert füllte sie die Suppe in einen Topf, drehte den Herd auf und wartete. Als die Suppe fertig war, kehrte sie mit dem Topf in Jakes Zimmer zurück. Der hatte den Couchtisch leergeräumt und das Geschirr verteilt. Wie schon so oft setzte Amanda sich mit dem Rücken zur Tür auf den Boden und schüttete etwas Suppe in seinen und ihren Teller. „Du siehst gut aus.", sagte er. Sie musste lächeln.
„Danke.", sagte sie und beugte sich vor. Jake kam ihr entgegen. Jetzt war der Tisch im Weg.
Jake rutschte auf die andere Seite des Tisches, direkt neben Amanda. Er umfasste ihr Gesicht.
„Es tut mir so leid.", flüsterte sie. Jake küsste sie. Er fühlte sich schuldig. Er hätte sie nicht ignorieren sollen. All das legte er in den Kuss. Und er spürte, dass sie ihn verstand. Ihr sanfter Kuss schien zu flüstern: „Schon okay. Entschuldigung angenommen."

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: Oct 18, 2018 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

Du bist nicht alleinWhere stories live. Discover now