Kapitel 1

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Er würde sauer sein. Er würde ausrasten vor Wut. Oh nein, was hatte ich nur getan? Wieso hatte ich nicht eher auf die Uhr gesehen? In nicht einmal fünf Minuten würde er da sein und das Essen stand noch nicht auf dem Tisch. Er hasste Unpünktlichkeit. Und er hasste mich.

Winselnd versuchte ich Schadensbegrenzung zu betreiben. Ich schnappte mir ohne hinzusehen das erstbeste Stück Fleisch aus dem Kühlschrank, kramte hektisch eine gusseiserne Pfanne heraus und schmiss das Stück Schwein mit etwas Öl hinein. Mit zitternden Fingern versuchte ich verzweifelt das Touchpad des Elektroherdes zu bedienen. „Nun mach schon! Geh an, du blödes Ding!" Gestresst grub ich meine Schneidezähne in meine Unterlippe. Endlich! Schnell drehte ich die Herdplatte auf die höchste Stufe und stellte die Pfanne darauf ab.

Fleisch, Fleisch, was passte gut zu Fleisch? Ich brauchte Gemüse. Und eine Sauce. Keine Zeit! Noch zwei Minuten und das Fleisch war noch immer roh. Kein einziges Zischen war zu hören, nur meine abgehakten Keucher. „Nein, das sind keine Schluchzer", versuchte ich mir tapfer einzureden und wischte mit fahrigen Bewegungen die ersten aufkommenden Tränen weg. Doch wem machte ich etwas vor? Ich war erledigt.

Mein Blick huschte zu der Wanduhr neben dem Eingang zur Küche. Noch eine Minute. 60 Sekunden. Scheiße!

Meine sensiblen Ohren vernahmen nun das lang ersehnte Zischen von brutzelndem Fleisch. Das Öl spritzte heraus, traf mich an meinen nackten Armen, aber das war mir egal. Wenn es doch nur schneller braten würde!

30 Sekunden. Ich konnte schon die knirschenden Reifen in unserer Auffahrt wahrnehmen. Schnell griff ich nach einem Pfannenwender und versuchte das Fleisch von der Pfanne zu lösen. Eine zuknallende Autotür ließ mich zusammenzucken. Beinahe wäre dabei das Essen auf dem Boden gelandet. Mit Schwung drehte ich mein Handgelenk und beförderte alles wieder in die Pfanne. Hektisch wanderten meine Augen durch den Raum.

Der Tisch! Ich hatte den Tisch vergessen! Nichts war gedeckt, nichts vorbereitet! Ein waghalsiger Sprung beförderte mich quer durch den Raum. In den Schubladen suchte ich nach Besteck und Servietten. Ich war zu langsam. Viel zu langsam. Als ich alles gefunden hatte, schmiss ich es regelrecht auf den Platz an der Stirnseite des alten Eichentisches und hechtete zurück zur Pfanne.

10 Sekunden. Wo waren die Schritte? Ich hatte vergessen auf die Schritte zu achten! Da. Näher als erhofft. Nur zwei Räume weiter, im Vorzimmer. Ich hörte Rascheln, er schien sich die Jacke auszuziehen. Ein dumpfes Geräusch, dann noch eines. Das mussten seine Schuhe gewesen sein. Und dann diese furchtbare Stimme, diese leicht säuselnde Albtraum verursachende Stimme, die viel zu unschuldig für solch ein Monster klang: „Schatz, ich bin wieder zu Hause!"

Die Schritte kamen näher, ohne Hast, vollkommen entspannt. Schritt. Für. Schritt.

Den Alkohol konnte ich bereits von hier aus riechen. Wir waren zwar Werwölfe, doch auch wir konnte mit der richtigen Dosierung und einige „Helferchen" betrunken werden. Die Drogen in dieser Gleichung werden stets vernachlässigt. Es ging ja schließlich um den Rausch. Die Trunkenheit.

Ich richtete meine volle Konzentration auf das Fleisch. Es war noch viel zu blutig. Doch das konnte ich jetzt nicht ändern. Aus dem Oberschrank über der Spüle holte ich rasch einen Teller. Es blieb keine Zeit mehr! Ohne auf das unangenehme Brennen des heißen Fettes auf meiner Haut zu achten, griff ich mit meinen Fingern nach dem Essen, warf es förmlich auf das Porzellan und drehte mich anschließend mit Schwung um.

Unwillkürlich begann ich wie Espenlaub zu zittern. Da stand er, nicht einmal drei Meter von mir entfernt im Rahmen der Tür, die das Wohnzimmer von der Küche trennte. Strähnige schmutzig-blonde Haare, dumpfe braune Augen, die mich hasserfüllt musterten. Ein ungepflegter Wochenbart. Ein schmieriges Grinsen im Gesicht.

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⏰ Last updated: Nov 12, 2018 ⏰

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